Iran: Deutsch-Iraner droht die Todesstrafe

Ein Mann in einem kariertem Hemd

Der deutsch-iranische Dissident Jamshid Sharmahd (Archivaufnahme)

Seit September 2021 wird Jamshid Sharmahds Aufenthaltsort geheim gehalten, die Behörden haben seinen Familienangehörigen jeglichen Kontakt mit ihm verboten. Er ist in großer Gefahr, gefoltert und in anderer Weise misshandelt zu werden.

Appell an

Oberste Justizautorität

Head of Judiciary, Gholamhossein Mohseni Ejei

c/o Embassy of Iran to the European Union

Avenue Franklin Roosevelt No. 15

1050 Brüssel

BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran

S. E. Herr Mahmoud Farazandeh

Podbielskiallee 65-67

14195 Berlin

Fax: 030-83 222 91 33

E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Hiermit fordere ich Sie auf, den Aufenthaltsort von Jamshid Sharmahd offenzulegen und ihn freizulassen, da er willkürlich inhaftiert wurde und für ihn als ältere Person mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko besteht, schwer zu erkranken oder zu sterben, sollte er sich in seiner Haft mit Covid-19 infizieren.
  • Bitte stellen Sie bis zu seiner Freilassung sicher, dass er eine angemessene medizinische Versorgung, einen Rechtsbeistand seiner Wahl und konsularische Unterstützung durch die deutschen Behörden erhält und regelmäßig mit seiner Familie sprechen kann.
  • Sollte er einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden, sorgen Sie bitte dafür, dass er in Übereinstimmung mit internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren in einem Verfahren vor Gericht gestellt wird, das erzwungene "Geständnisse" und einen Rückgriff auf die Todesstrafe ausschließt.

Amnesty-Tweet mit Jamshids Tochter Gazelle Sharmahd:

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Sachlage

Der 66-jährige Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd ist Ende September 2021 dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen. Er befindet sich in Foltergefahr und könnte zum Tode verurteilt werden. Nach seiner willkürlichen Inhaftierung Ende Juli 2020 war es ihm immerhin erlaubt gewesen, gelegentlich in Anwesenheit von Geheimagenten mit Familienangehörigen zu telefonieren. Seit September 2021 sind diese Telefonate jedoch verboten. Zuletzt erschien er am 6. März 2022 wegen der Anklage "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) vor dem Teheraner Revolutionsgericht. Diese Anklage steht im Zusammenhang mit seiner Verbindung zu einer oppositionellen Gruppierung namens Kingdom Assembly of Iran, die sich von außerhalb der iranischen Landesgrenzen dafür einsetzt, die Islamische Republik zu stürzen. Die Staatsanwaltschaft verweigert Jamshid Sharmahd sein Recht, von einem Rechtsbeistand seiner Wahl vertreten zu werden. Man zwang ihn somit, einen Rechtsbeistand von einer Liste zu wählen, die zuvor von der Obersten Justizautorität zugelassen worden war. Der Rechtsbeistand wurde nur 24 Stunden vor seiner ersten Anhörung am 6. Februar 2022 informiert und hat seinen Mandanten erst zweimal gesehen. Dieses Vorgehen stellt eine Verletzung des Rechts von Jamshid Sharmahd dar, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen. Die Behörden weigern sich außerdem, seinen Haftort gegenüber seinen Familienangehörigen und seinem Rechtsbeistand offenzulegen. Somit wird ihm weiterhin der Schutz des Gesetzes entzogen und er befindet sich in ernstzunehmender Gefahr, gefoltert oder misshandelt zu werden. Darunter fallen auch die Verweigerung von fachärztlicher Behandlung, sowie täglichen Medikamenten zur Behandlung seiner ernsthaften gesundheitlichen Probleme, denn Jamshid Sharmahd leidet unter Diabetes, einer Herzkrankheit und Parkinson.

Seit seiner Festnahme hat das Staatsfernsehen Propaganda-Videos veröffentlicht, die Jamshid Sharmahd zeigen, wie er "gesteht", an einer Bombenexplosion im April 2008 in Shiraz in der Provinz Fars beteiligt gewesen zu sein, bei der 14 Menschen getötet wurden. Mit dieser Ausstrahlung wurde gegen die Unschuldsvermutung verstoßen sowie gegen das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Jamshid Sharmahds Familienangehörige bestreiten, dass er mit den Gewalttaten etwas zu tun hat. Im Iran fällen Revolutionsgerichte Todesurteile nach unfairen Gerichtsverfahren, in denen erzwungene "Geständnisse" als Beweismittel verwendet werden, um Schuldsprüche zu fällen. Dies geschieht auch, wenn diese "Geständnisse" vor Gericht wieder zurückgezogen werden oder wenn sie unter Folter aufgenommen worden sein sollen. In Anbetracht dessen verschlimmern sich die Befürchtungen, dass Jamshid Sharmahd in einem derartigen unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt werden könnte. Um politische Dissident_innen und andere kritische Stimmen zu unterdrücken, greifen die iranischen Behörden vermehrt auf die Todesstrafe zurück und klagen Andersdenkende daher zum Beispiel wegen "Verdorbenheit auf Erden" an. Anklagen wie diese sind im iranischen Recht nicht klar definiert und verstoßen gegen das Legalitätsprinzip. Gemäß dem Völkerrecht können Haftstrafen, die für Straftaten verhängt werden, die nur vage oder übermäßig breit definiert sind, willkürlich sein.

 

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der in den USA lebende Jamshid Sharmahd war Sprecher der Gruppe Kingdom Assembly of Iran (auch bekannt als Anjoman-e Padeshahi-ye Iran), einer iranischen Oppositionsgruppe mit Sitz in den USA, die für den Sturz des Systems der Islamischen Republik, auch durch Gewalt, und eine Rückkehr zum vorislamischen Iran eintritt. Er hat auch die Webseite der Gruppe, Tondar.org, erstellt und verwaltet sowie ihre Radio- und Videoübertragungen moderiert. Auf der Webseite finden sich auch Erklärungen der Kingdom Assembly of Iran, in denen sie die Verantwortung für Bombenanschläge im Iran übernimmt. Die Familie von Jamshid Sharmahd hat seine Beteiligung an den ihm von den Behörden zugeschriebenen Gewalttaten jedoch bestritten. Amnesty International befürchtet, dass Jamshid Sharmahd die Todesstrafe droht, da im Januar 2010 zwei Männer, Mohammad Reza Ali Zamani und Arash Rahmanipour, im Iran hingerichtet wurden, nachdem sie im Zusammenhang mit ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Mitgliedschaft in der Kingdom Assembly of Iran in grob unfairen Prozessen wegen "Feindschaft zu Gott" (moharebeh) zum Tode verurteilt worden waren.

Amnesty International hat im Iran häufige systematische Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren ab dem Zeitpunkt der Festnahme und während der gesamten Ermittlungs-, Gerichts- und Berufungsverfahren dokumentiert. Iranische Gerichte ignorieren routinemäßig Vorwürfe von Folter und anderen Misshandlungen, ohne eine Untersuchung anzuordnen, und verlassen sich auf durch Folter erlangte "Geständnisse", um Urteile und Strafen zu erlassen, auch in Fällen, in denen Angeklagten die Todesstrafe droht.

Auch wenn jede Regierung die Pflicht hat, die Verantwortlichen für Gewalttaten vor Gericht zu stellen, müssen alle, die aufgrund einer strafrechtlichen Anschuldigung festgenommen oder inhaftiert werden, in voller Übereinstimmung mit den Menschenrechtsverpflichtungen des Iran behandelt werden, einschließlich des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren. Dies gilt auch bei Vorwürfen, die mit "Terrorismus" in Verbindung stehen. Das Recht auf ein faires Verfahren beinhaltet: das Recht auf die Wahl des eigenen Rechtsbestands; das Recht auf Zugang zu einem wirksamen Rechtsbeistand ab dem Zeitpunkt der Festnahme und während des gesamten Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens; das Recht, unverzüglich einem Richter vorgeführt zu werden; das Recht, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor einem unabhängigen, unparteiischen Gericht anzufechten; das Recht auf die Unschuldsvermutung; das Recht, zu schweigen und nicht gezwungen zu werden, sich selbst zu belasten oder sich schuldig zu bekennen; das Recht, umfassenden Zugang zu relevantem Beweismaterial zu erhalten; das Recht, nicht aufgrund vager Anschuldigungen inhaftiert zu werden; das Recht, Zeug_innen zu benennen und ins Kreuzverhör zu nehmen; das Recht auf eine faire, öffentliche Anhörung vor einem zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht; und das Recht auf ein öffentliches und rechtlich begründetes Urteil. Die Verhängung der Todesstrafe nach einem Strafverfahren, das bei weitem nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht, ist ein willkürlicher Entzug des Rechts auf Leben und zu ener außergerichtlichen Hinrichtung führen. Gemäß dem Völkerrecht ist dies eine Straftat.

Am 1. August 2020 gab das Geheimdienstministerium in einer Erklärung bekannt, dass seine als "unbekannte Soldaten von Imam Zaman" bezeichneten Geheimdienstagenten Jamshid Sharmahd nach einer "komplexen Operation" festgenommen hätten, ohne weitere Details zu nennen. Am selben Tag erklärte der iranische Geheimdienstminister Mahmoud Alavi, dass Jamshid Sharmahd "starke Unterstützung von den Geheimdiensten der USA und Israels" erhalte und er im Rahmen "komplexer Operationen" in den Iran "geführt" worden und in den Gewahrsam des Geheimdienstministeriums genommen worden sei. Dies wurde weithin so verstanden, dass er von Angehörigen des iranischen Geheimdienstes aus dem Ausland entführt – Jamshid Sharmahd hatte sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgehalten – und gegen seinen Willen in den Iran gebracht wurde. Die erzwungenen "Geständnisse" von Jamshid Sharmahd wurden während seiner Untersuchungshaft mehrfach im iranischen Staatsfernsehen ausgestrahlt. In einem Propagandavideo, das im Januar 2021 veröffentlicht wurde, werden seine "Geständnisse" mit Ausschnitten aus seinen Sendungen für die Kingdom Assembly of Iran vermischt und er als Anführer der Gruppe und als "Terrorist" bezeichnet. In einer Folge der vom Iran produzierten fiktiven Fernsehserie "Safe House", die Ende Dezember 2020 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, wurde Jamshid Sharmahd als Mitglied der Kingdom Assembly of Iran erwähnt, der "geheime" Arbeit leiste und Verbindungen zu den USA und Israel habe. Wie Mahmoud Alavi am 14. Februar 2021 in einem Medieninterview mitteilte, war das Geheimdienstministerium an der Produktion dieser Fernsehserie beteiligt. Ende November 2020 teilte Jamshid Sharmahd seiner Familie in einem Telefonat mit, dass er im Evin-Gefängnis in Teheran festgehalten werde. In späteren Telefonaten sagte er jedoch, er sei nicht mehr dort, konnte aber nicht sagen, wo er sich jetzt befand. In einem Telefonat am 23. März 2021 berichtete er außerdem, dass er fast 20 kg an Gewicht verloren habe und dass ihm während der Haft einige Zähne gezogen worden seien, ohne dies jedoch näher zu erläutern.

Amnesty International hat seit 2019 zwei weitere Fälle dokumentiert, in denen Dissidenten von iranischen Sicherheits- und Geheimdienstangehörigen im Ausland entführt und in den Iran zurückgebracht wurden. Der regierungskritische Journalist Rohoullah Zam, dem in Frankreich Asyl gewährt worden war, wurde während eines Besuchs im Irak im Oktober 2019 offenbar mit Unterstützung irakischer Geheimdienste von den Revolutionsgarden entführt und gegen seinen Willen in den Iran zurückgebracht. Er wurde nach einem grob unfairen Gerichtsverfahren im Dezember 2020 hingerichtet (weitere Informationen siehe https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/12/iran-execution-of-journalist-rouhollah-zam-a-deadly-blow-to-freedom-of-expression/). Ein weiteres Beispiel ist der politische Dissident Habib Chaab. Der iranisch-schwedische Staatsangehörige gehörte zur arabischen Minderheit der Ahwazi im Iran und verschwand kurz nach seiner Ankunft in der Türkei am 9. Oktober 2020. Ende Oktober 2020 gaben iranische Staatsmedien seine Inhaftierung im Iran bekannt, und im staatlichen Fernsehen wurden seine "Geständnisse" von Kapitalverbrechen gezeigt, die mit der Todesstrafe geahndet werden. +++ Update 8. Mai 2023: Der schwedisch-iranische Habib Chaab ist am 6.5.2023 im Iran hingerichtet worden. +++