Aktuell Bangladesch 21. April 2023

Zehn Jahre Rana-Plaza-Unglück: Eine Mahnung für bessere Arbeitsbedingungen in Bangladesch

Das Bild zeigt ein eingestütztes Gebäude aus Vogelperspektive und viele Menschen

Das Fabrikgebäude Rana Plaza in der bangladeschischen Stadt Savar zwei Tage nach dem Einsturz am 24. April 2013



Am 24. April 2013 stürzte in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza in der Stadt Savar ein. Bei dem weltweit größten Unglück in der Geschichte der Textilindustrie kamen mehr als tausend Menschen ums Leben. Zehn Jahre nach dem Einsturz des Gebäudes sind die gesetzlichen Vorgaben in Bangladesch weiterhin unzureichend.

Von Bernhard Hertlein, Sprecher der Bangladesch-Ländergruppe von Amnesty International

Savar ist nur eine Autostunde von der Metropole Dhaka entfernt. Vor zehn Jahren erschütterten Bilder aus der Industriestadt die Welt. Rana Plaza, ein in die Jahre gekommenes Betongebäude, war komplett eingestürzt. In dem Fabrikkomplex befanden sich vor allem Textilwerkstätten, aber auch Geschäfte und eine Bank. Verschiedene europäische Modefirmen wie Primark, Mango, KiK oder C&A ließen dort Kleidung für den Export produzieren. Bei dieser weltweit größten Katastrophe in der Geschichte der Textilindustrie starben nach offiziellen Angaben 1.135 Menschen, knapp 2.500 wurden verletzt.

Heute bietet der Ort ein befremdliches Bild. Das Gelände, auf dem das Fabrikgebäude stand, ist von der Straße aus frei zugänglich. Ein Zaun, der früher die Sicht behinderte und ein Betreten unmöglich machte, ist weg. Mit ihm verschwanden auch alle Spruchbänder, Transparente, Fotos, Kerzen. Sämtlicher Schutt ist abgeräumt. Nur zwei kleine steinerne Gedenktafeln erinnern noch an das Unglück. Auch ein etwas größeres Monument mit Hammer und Sichel, das politisch linksorientierte Studierende 2013 in den Wochen nach der Katastrophe aufgestellt haben, überlebte.

Auf dem größten Teil der Fläche wächst Kochu Shak, eine nahrhafte einheimische Pflanze. Auf einem Teil des Geländes hat sich sehr viel Müll angesammelt. Am Rande hat ein Losverkäufer seinen kleinen Stand aufgebaut und verspricht das große Glück.

Das Bild zeigt eine Grünfläche mit Pflanzen, umringt von Gebäuden

Hier stand einst die Textilfabrik Rana Plaza, deren Einsturz mehr als 1.100 Menschen das Leben kostete (Aufnahme vom 10. April 2023).

In Rana Plaza wurde vor der Katastrophe viel Geld verdient. Neben westlichen Bekleidungsproduzenten lebte auch der 47-jährige Eigentümer der maroden Immobilie, Sohel Rana, gut von den Einnahmen. Wenige Tage nach dem Unglück, am 29. April 2013, wurde er verhaftet. Er hatte versucht, sich nach Indien abzusetzen. Seitdem sitzt er in Haft.

Wegen dreier Delikte soll ihm der Prozess gemacht werden. Da ist zum einen der mehr als tausendfache Tod, für den ihn die Staatsanwaltschaft Rana verantwortlich macht. Denn er ließ trotz der großen Risse im Mauerwerk die Menschen weiter in dem Gebäude arbeiten. Dafür droht ihm – und bis zu 41 weiteren Angeklagten – die Todesstrafe. In einem zweiten Verfahren geht es um den nicht genehmigten Bau der Textilfabrik auf einem Gelände, auf dem ursprünglich ein niederstöckiges Einkaufszentrum hätte entstehen sollen. Außerdem soll Sohel Rana, der früher auch Politiker der regierenden Awami League war, ein Prozess wegen Korruption gemacht werden.

Das Bild zeigt ein Protestplakat und viele Menschen

"Ich will nicht für Mode sterben": Protest am 24. April 2015 in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, anlässlich des zweiten Jahrestages des Einsturzes des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes.

Weil sich Sohel Rana weigerte, seine Vermögensverhältnisse offen zu legen, wurde er 2017 in einem vierten Verfahren zu drei Jahren Haft verurteilt. Diese Zeit ist abgelaufen. Doch wegen der anderen Verfahren halten ihn die Behörden weiter in Haft. Inzwischen hat Rana einige Anträge auf Freilassung gegen Kaution gestellt. Trotz der überlangen U-Haft von fast zehn Jahren wurden sie zunächst alle abgelehnt. Dem letzten Antrag allerdings stimmte ein Gericht am 6. April 2023 überraschend zu. Ein anderes Gericht verhinderte indessen, dass Sohel Rana das Gefängnis tatsächlich noch vor dem zehnten Jahrestag der Katastrophe verlassen konnte. In einer einstweiligen Verfügung ordnete es eine nochmalige Überprüfung an.

Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza hat bei nicht wenigen westlichen Verbraucher*innen und auch bei importierenden Unternehmen Nachdenken ausgelöst. In den folgenden Jahren haben die Textilfirmen in Bangladesch, weitgehend finanziert von den westlichen Importeuren, erhebliche Summen in den Arbeitsschutz investiert. Auch der Mindestlohn hat sich innerhalb von zehn Jahren erhöht – von monatlich etwas über 50 auf 85 Euro. In manchen, doch nicht in allen Unternehmen werden den Arbeiter*innen Kost, Logis in einer Sammelunterkunft und medizinische Grundversorgung gestellt. Geblieben aber sind oft ein hoher Arbeitsdruck, sexuelle Belästigung der Arbeiterinnen und der in der Praxis nicht vorhandene Kündigungsschutz. Während der Corona-Pandemie wurde in den meisten Betrieben monatelang nicht produziert, und die Arbeiterinnen – 85 Prozent der Beschäftigten in der Textilindustrie sind weiblich – erhielten in vielen Fällen keinen Lohn.

Das Bild zeigt mehrere Menschen mit Protestplakaten

Gerechtigkeit für die durch die eingestürzte Textilfabrik Rana Plaza getöteten Menschen: Aktivist*innen und Angehörige demonstrieren in der Stadt Savar in Bangladesch am 24. April 2016. 

Bangladesch ist trotz der Katastrophe von Rana Plaza und trotz der Turbulenzen durch die Corona-Pandemie nach China weiterhin der weltweit zweitgrößte Hersteller von Bekleidung. Auch Deutschland importiert nur aus China mehr Textilien als aus Bangladesch. Entgegen des verbreiteten Bildes, in Bangladesch würden doch nur Billigtextilien produziert, investieren die dortigen Produzent*innen inzwischen auch mehr in die sogenannte Veredelung – also in die vor allem chemische Aufbereitung der Fasern.

In einem Bericht zum ersten Jahrestag der Katastrophe von Rana Plaza kritisierte Amnesty International 2014 die fortdauernde "unheilige Allianz" zwischen Regierung und Wirtschaft in Bangladesch. Besonders bedrückend sei die Tatsache, dass die Beschäftigten nur durch enormen Druck gezwungen werden konnten, das baufällige Fabrikgebäude überhaupt zu betreten.

Nach internationalen Standards sind Unternehmen dazu verpflichtet, Menschenrechte, Arbeitnehmer*innenrechte und Umweltstandards zu achten – und zwar entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette. So haben auch europäische Unternehmen, die in Fabriken wie Rana Plaza Kleidung produzieren lassen, eine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht.

Das deutsche Lieferkettengesetz, das zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, bleibt bisher aber hinter internationalen Standards zurück. So erhalten Betroffene in dem Gesetz insbesondere nicht die Möglichkeit, von den verantwortlichen Unternehmen Schadensersatz einzuklagen. Dass dies wichtig ist, zeigte sich auch nach dem Einsturz von Rana Plaza: Tausende Familien verloren nicht nur ihre Angehörigen in dem Unglück, sondern mussten plötzlich ohne deren Einkommen überleben.

Das Bild zeigt einen Stein mit Inschrift, der auf verstaubtem Boden liegt

"Wir werden nie vergessen": Gedenkstein an dem Ort, wo einst die Textilfabrik Rana Plaza stand (10. April 2023).

Zum diesjährigen zehnten Jahrestag fordert Amnesty ein starkes europäisches Lieferkettengesetz, das Katastrophen wie die von Rana Plaza zukünftig verhindert. Zurzeit wird eine entsprechende Richtlinie auf EU-Ebene verhandelt. Dabei besteht die historische Chance, wirksame menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für europäische Unternehmen zu verankern und die Lücken im deutschen Gesetz zu schließen. Ende Mai wird das Europäische Parlament über den Gesetzesentwurf abstimmen. Danach verhandeln Kommission, EU-Rat und das europäische Parlament über das finale Gesetz.

Zusammen mit mehr als 130 zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bündnis "Initiative Lieferkettengesetz" fordert Amnesty eine starke Richtlinie ohne Schlupflöcher durch Zertifizierungen oder Branchenstandards, die Unternehmen aus der Haftung befreien würden. Auch das Gebäude der Textilfabrik Rana Plaza hatte eine Zertifizierung - trotz eklatanter Sicherheitsmängel. Dies zeigt: Zertifizierungen können eine eigene menschenrechtliche Sorgfaltspflicht der Unternehmen nicht ersetzen.

Tweet der "Initiative Lieferkettengesetz":

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Darüber hinaus bleibt auch die Regierung Bangladeschs in der Verantwortung, die internationalen Standards für Arbeitnehmer*innen-Rechte durchzusetzen und den Katastrophenschutz auch außerhalb der Textilindustrie zu verbessern. In den zehn Jahren nach dem Gebäudeeinsturz kam es im Land mehrfach zu Explosionen und schweren Bränden in Fabriken mit zum Teil mehr als 100 Toten. Erst Anfang April 2023 wurden bei einem Großbrand auf einem Markt in der Hauptstadt Dhaka 3.000 kleine Shops zerstört.

Dies verdeutlich einmal mehr: Sowohl die Unternehmen als auch die Regierung müssen endlich ihrer Pflicht nachkommen,  die Menschenrechte der Beschäftigten zu wahren und zu schützen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass sich Katastrophen wie in Rana Plaza nie mehr wiederholen.

Das Bild zeigt die Trümmer eines eingestürzten Gebäudes, in den Trümmern stehen Menschen

Das Fabrikgebäude Rana Plaza in der bangladeschischen Stadt Savar wurde bei dem Einsturz vollständig zerstört (Aufnahme vom 25. April 2013).

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