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Ukraine: Russischer Angriff setzt ältere Menschen mit Behinderungen Isolation und Vernachlässigung aus
Olha Tsibinyova (73) lebt seit März 2022 in Krankenhäusern und Heimen, nachdem sie ihr Dorf im Osten der Ukraine wegen des russischen Angriffskriegs verlassen musste.
© Amnesty International
In einem neuen Bericht zeigt Amnesty International, dass viele Notunterkünfte für Geflüchtete mit körperlichen Behinderungen unzugänglich sind und dass das überlastete Pflegesystem nur wenig Alternativen zur Unterbringung in Heimen für ältere Menschen bietet. Es braucht eine inklusive humanitäre Antwort, die ältere Menschen mitdenkt.
Ältere Menschen mit Behinderungen, die in der Ukraine in Folge des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands vertrieben wurden, haben angesichts physischer oder finanzieller Einschränkungen oft keinen Zugang zu angemessenen Unterkünften und Pflege. Deshalb gibt es für sie nur wenige Alternativen zur Unterbringung in Heimen, so Amnesty International in einem neuen Bericht, der kurz vor dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen veröffentlicht wurde.
Der Bericht They Live in the Dark’: Older people’s isolation and inadequate access to housing amid Russia’s invasion of Ukraine dokumentiert, wie der russische Einmarsch das ohnehin schon überstrapazierte ukrainische Pflegesystem in einem noch nie dagewesenen Ausmaß belastet. Viele ältere Menschen, darunter auch Menschen mit Behinderungen, wurden von ihren Familien getrennt, was zu ihrer Ausgrenzung und Isolation führte.
Janine Uhlmannsiek, Expertin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Russlands brutaler Angriffskrieg trifft ältere Menschen in der Ukraine besonders schwer. Selbst nach der Evakuierung in sicherere Teile der Ukraine haben ältere Menschen, insbesondere solche mit Behinderungen, enorme Schwierigkeiten, sich wieder ein menschenwürdiges Leben aufzubauen und Zugang zu angemessenem Wohnraum, Hilfsleistungen und medizinischer Versorgung zu erhalten. Russland muss seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg endlich beenden."
Die anhaltenden wahllosen Angriffe Russlands, von denen viele Kriegsverbrechen darstellen, haben Millionen von ukrainischen Zivilpersonen aus ihren Häusern vertrieben. Die Ukraine hat weltweit einen der höchsten Bevölkerungsanteile älterer Menschen: Fast 10 Millionen der rund 41 Millionen Einwohner*innen, waren vor Februar 2022 über 60 Jahre alt.
Die russische Invasion belastet das ohnehin schon unter Druck stehende Sozialsystem der Ukraine enorm. Es mangelt an barrierefreiem Wohnraum und Zugang zu Unterstützungsdiensten. Infolgedessen werden Tausende ältere Menschen mit Behinderungen in Heimen untergebracht, weit weg von ihren Angehörigen und isoliert von ihren Gemeinschaften.
Uhlmannsiek sagt: "Heime sollten nicht als Standardoption für vertriebene ältere Menschen angesehen werden. Die ukrainischen Behörden sollten die Kosten und die Logistik für ein inklusives Vorgehen nicht allein tragen müssen. Die Bundesregierung und weitere Geberländer sowie humanitäre Organisationen müssen finanzielle und technische Unterstützung bereitstellen, so dass alle älteren Menschen unabhängig und in Würde als Teil der Gesellschaft leben können."
Eine Schule in der ukrainischen Stadt Mykolaiv wurde zur einer Unterkunft für geflüchtete Menschen umgebaut. 80 Prozent der Bewohner*innen der Unterkunft sind ältere Menschen, viele haben eine Behinderung (September 2023).
© Amnesty International, Foto: Olga Ivashchenko
Der schnellste Weg zum Schutz der Rechte der ukrainischen Zivilbevölkerung, einschließlich älterer Menschen, besteht darin, dass Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beendet.
Für den aktuellen Bericht befragte Amnesty International zwischen Mai und September 2023 insgesamt 159 Personen, darunter 89 ältere Menschen, von denen viele eine Behinderung hatten, und 22 Sozialarbeiter*innen und Beschäftigte im Gesundheitswesen. Amnesty-Mitarbeiter*innen besuchten auch 24 Notunterkünfte.
Fehlender Zugang zu Wohnungen und Unterstützungsdiensten
Während die meisten Vertriebenen in der Ukraine in Mietwohnungen leben, machen extrem niedrige Renten und hohe Mietkosten diese Wohnungen für viele ältere Menschen unerschwinglich. Somit leben viele Ältere in Notunterkünften für Vertriebene. Fast alle Unterkünfte, die Amnesty International besuchte, waren jedoch für Menschen mit körperlichen Behinderungen teilweise oder vollständig unzugänglich. Es wurde wiederholt berichtet, dass aufgrund des Mangels an physisch zugänglichen Unterbringungsmöglichkeiten keine andere Möglichkeit vorhanden ist, als ältere Menschen mit Behinderungen in Heimen unterzubringen. Bei der Unterbringung in Heimen werden die Betroffenen jedoch häufig von ihren Verwandten getrennt, die wiederum in Unterkünften für die allgemeine Bevölkerung leben.
Ältere Menschen mit Behinderungen, einschließlich der wachsenden Zahl von Menschen mit konfliktbedingten Behinderungen, haben oft keinen Zugang zu behindertengerechten Dienstleistungen oder zur Gesundheitsversorgung. Dieser Mangel an Pflege und Unterstützung wird dadurch verschärft, dass viele jüngere Verwandte, die früher ältere Menschen bei ihren Pflegebedürfnissen unterstützt hätten, geflohen sind oder zum Militär eingezogen wurden.
Hintergrund
Die unabhängige ukrainische Filmemacherin Marina Chankova hat im Auftrag von Amnesty International einen 15-minütigen Dokumentarfilm produziert. Der Film Dreaming in the Shadows portraitiert drei ältere Menschen, die vertrieben wurden bzw. noch immer im direkten Kriegsgebiet leben. Er kann hier angesehen werden.
Seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs in der Ukraine dokumentiert Amnesty International dort Kriegsverbrechen und andere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Dazu gehört auch der Bericht 'I used to have a home’: Older people’s experience of war, displacement, and access to housing in Ukraine.
Amnesty International hat in den vergangenen Monaten wiederholt dazu aufgerufen, die Verantwortlichen für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine sowie für Menschenrechtsverstöße, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen.