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Nigeria: Mädchen nach Flucht aus Boko-Haram-Gefangenschaft im Stich gelassen
Nicht mehr als der Plastikdeckel einer Flasche: Eine ehemalige Boko-Haram-Gefangene zeigt, wie wenig Wasser sie am Tag zu trinken bekam, als sie 2018 in einem Militärlager in der nigerianischen Stadt Maidugur festgehalten wurde (Aufnahme vom Juli 2023).
© Amnesty International
Mädchen, die im Nordosten Nigerias von der bewaffneten Gruppe Boko Haram entführt und versklavt wurden, sind nach ihrer Flucht auf sich allein gestellt. Viele erlebten danach erneut Menschenrechtsverletzungen und waren etwa in Militärhaft, wie eine Recherche von Amnesty International aufzeigt.
Mädchen und junge Frauen in Nigeria haben im Anschluss an ihre Gefangenschaft bei Boko Haram durch nigerianische Behörden weitere Menschenrechtsverletzungen erfahren und erhalten nicht genug Unterstützung, um sich ein neues Leben aufzubauen. Der Amnesty-Bericht "Help us build our lives: Girl survivors of Boko Haram and military abuses in north-east Nigeria" untersucht, wie Mädchen Menschenhandel und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Boko Haram überlebten.
Boko Haram hat bei Angriffen auf die Zivilbevölkerung im Nordosten Nigerias in großem Umfang Kinder und minderjährige Jugendliche entführt. Die bewaffnete Gruppe hat die Mädchen zwangsverheiratet, versklavt und vergewaltigt. Nach ihrer Flucht haben nigerianische Behörden die Überlebenden teilweise in Militärhaft festgehalten. Wer nicht rechtswidrig inhaftiert war, wurde in Vertriebenenlagern inmitten von Millionen anderer Menschen sich selbst überlassen. Von dort aus wurden einige in einem von der Regierung betriebenen Durchgangslager mit ihren Boko-Haram-"Ehemännern", die sich den Behörden gestellt hatten, "wiedervereint". Dadurch waren sie erneut der Gefahr ständiger Misshandlungen ausgesetzt.
Amnesty-Video auf YouTube:
Lisa Nöth, Nigeria-Expertin bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Diese Mädchen, von denen viele heute junge Frauen sind, wurden ihrer Kindheit beraubt und waren unzähligen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Sie zeigen jetzt bemerkenswerten Mut und versuchen, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Die nigerianischen Behörden müssen endlich ihre Rechte schützen und die internationale Gemeinschaft muss sie dabei unterstützen, ihr Leben in Würde und Sicherheit wiederaufzubauen."
Der Bericht basiert auf 126 Interviews, darunter 82 mit Überlebenden, die zwischen 2019 und 2024 im Nordosten Nigerias persönlich und aus der Ferne geführt wurden. Am 4. April 2024 übermittelte Amnesty International den nigerianischen Bundes- und Landesbehörden sowie den UN-Büros schriftlich die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung. In seiner Antwort bestritt das nigerianische Militär alle Vorwürfe, erklärte, dass es bei seinen Operationen die Menschenrechte einhalte, und bezeichnete die Quellen von Amnesty International, bei denen es sich in erster Linie um Überlebende handelte, als "inhärent unzuverlässig". UNICEF antwortete vertraulich.
Mary Dauda war eine der 276 Schülerinnen, die im April 2014 von Boko Haram in der nigerianischen Stadt Chibok enführt wurden. Sie ist nun wieder bei ihrer Familie und berichtet von ihrer jahrelangen Gefangenschaft (Aufnahme vom März 2024).
© Amnesty International Nigeria
Menschenrechtsverletzungen durch Boko Haram
Mindestens acht interviewte Mädchen mussten mitansehen, wie Boko Haram ihre Angehörigen tötete. Die meisten entführten Mädchen wurden anschließend zwangsverheiratet. Sie wurden dann als "Ehefrauen" missbraucht und von ihren "Ehemännern" sexualisiert versklavt. Mindestens 33 Überlebende von Zwangsehen berichteten Amnesty International, dass ihre "Ehemänner" sie vergewaltigt hätten. Insgesamt 28 Befragte gaben an, nach Vergewaltigungen schwanger geworden zu sein und Kinder geboren zu haben. Mindestens 20 von ihnen waren selbst noch Kinder, als sie ihre Kinder zur Welt brachten.
Boko Haram nahm öffentliche Bestrafungen vor, um unter ihren Gefangenen Angst zu verbreiten. Mindestens 31 befragte Mädchen wurden gezwungen, Bestrafungen wie Auspeitschungen, Amputationen und Enthauptungen mitanzusehen. Boko Haram setzte auch in großem Umfang Mädchen als Selbstmordattentäterinnen ein. Zwischen Mitte 2014 und 2019 waren die meisten Selbstmordattentäter*innen von Boko Haram weiblich.
Menschenrechtsverletzungen durch nigerianische Behörden
Nach der Flucht vor Boko Haram gingen für viele Betroffene die Menschenrechtsverletzungen weiter – durch nigerianische Behörden. 31 Mädchen und junge Frauen gaben an, dass sie zwischen 2015 und Mitte 2023 von einigen Tagen bis zu fast vier Jahren rechtswidrig in Militärgewahrsam gehalten wurden. Mehrere berichteten von Schlägen oder entsetzlichen Haftbedingungen, die Folter oder andere Misshandlungen darstellten. Sie wurden weder wegen einer Straftat angeklagt, noch hatten sie Zugang zu einem Rechtsbeistand.
Für ehemalige männliche Boko-Haram-Kämpfer gibt es seit Jahren Rehabilitationsprogramme, die von den USA und der EU finanziert werden. Amnesty International fordert die nigerianischen Regierungsbehörden, die UN-Organisationen und die internationale Gemeinschaft auf, endlich auch speziell zugeschnittene Wiedereingliederungsdienste für entführte Mädchen und junge Frauen zur Verfügung zu stellen.
Niedergebrannte Unterkünfte im Muna-El-Badawy-Flüchtlingslager im Nordosten Nigerias nach dem Ausbruch eines Feuers (Aufnahme vom Mai 2020)
© Amnesty International
Hintergrund zum Konflikt in Nigeria
Der bewaffnete Konflikt zwischen Boko Haram und den nigerianischen Streitkräften hat seit seinem Beginn vor mehr als einem Jahrzehnt brutale Auswirkungen auf Millionen von Menschen im Nordosten Nigerias. Der Konflikt hat zu einer humanitären Krise geführt, die Millionen von Menschen zu Binnenvertriebenen gemacht hat. Alle Konfliktparteien haben Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere Menschenrechtsverletzungen begangen. Besonders betroffen sind Frauen, Kinder und ältere Menschen.