Aktuell Nigeria 14. April 2023

Neun Jahre nach Entführung aus Chibok: Noch immer 98 Schülerinnen in Boko-Haram-Gefangenschaft

Menschen demonstrieren mit geballten Fäusten. Sie halten ein Banner vor sich, auf dem steht: "Just bring back our girls alive".

"Bringt unsere Mädchen lebend zurück!": Protest am 6. Mai 2014 in der nigerianischen Hauptstadt Abuja, nachdem drei Wochen zuvor die islamistische Gruppierung Boko Haram in der Stadt Chibok 276 Schülerinnen entführt hatte.

Diese unfassbare Tat sorgte weltweit für Entsetzen: Im April 2014 entführte die islamistische Gruppierung Boko Haram in der Stadt Chibok 276 Schülerinnen einer Mädchenschule. Heute, neun Jahre später, befinden sich 98 von ihnen noch immer in Gefangenschaft. Außerdem hat es seitdem eine Reihe von weiteren Entführungen gegeben. Dies zeigt, dass die nigerianischen Behörden aus dem Drama von Chibok nichts gelernt haben und dass sie letztlich unfähig sind, Kinder zu schützen.

Seit der Entführung der Schülerinnen aus Chibok durch Boko Haram wurden zahlreiche Schulen angegriffen und die Schülerinnen entführt, vergewaltigt, getötet oder zur "Ehe" gezwungen. Die nigerianischen Behörden haben jedoch bisher keine einzige glaubwürdige Untersuchung zu den Sicherheitsmängeln durchgeführt, die dazu geführt haben, dass die Kinder den Gräueltaten von Boko Haram und bewaffneten Männern ausgeliefert waren.

Das Foto zeigt eine Gruppe Frauen und Mädchen mit zumeist traurigen Gesichtern auf Stühlen sitzend in einem Raum.

Drei Jahre nach ihrer Entführung ließ die bewaffnete Gruppe Boko Haram 82 Schülerinnen aus Chibok wieder frei. Hier warten sie in den nigerianischen Hauptstadt Abuja auf ihre medizinische Untersuchung (8. Mai 2017).

"Die Eltern der 98 noch immer von Boko Haram festgehaltenen Chibok-Schülerinnen und anderer Kinder, die von Bewaffneten entführt wurden, leben in Angst und Schrecken, da sie wissen, dass sich ihre Kinder in den Händen von skrupellosen Menschen befinden, die ihnen grausame Gewalt antun", sagt Isa Sanusi, stellvertretender Direktor von Amnesty International in Nigeria.

"Die nigerianischen Behörden hätten längst wirksame Maßnahmen ergreifen müssen, um gegen bewaffnete Gruppen wie Boko Haram vorzugehen. Nigeria ist verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz aller Kinder zu ergreifen, und die fehlende Rechenschaftspflicht für diese grausamen Verbrechen fördert die Straflosigkeit. Die vermissten Chibok-Schülerinnen müssen zu ihren Familien zurückgebracht werden und alle, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, vor Gericht gestellt werden."

Eine Frau hält in der rechten Hand eine Kerze und in der linken Hand ein Plakat. Sie steht vor einer größeren Gruppe Menschen, die ebenfalls Kerzen und Plakate und Banner halten.

Weltweite Solidarität: Mahnwache in der pakistanischen Stadt Lahore für die Freilassung der 276 Schülerinnen, die in der nigerianischen Stadt Chibok von Boko Haram entführt wurden (Archivaufnahme vom 24. Juli 2014).

Zwischen Dezember 2020 und März 2021 wurden im Norden Nigerias mindestens fünf Entführungsfälle gemeldet, unter anderem aus Schulen in Kankara, Kagara, Jangebe, Damishi Kaduna, Tegina und Yawuri. Die Gefahr weiterer Angriffe hat zur Schließung von über 600 Schulen im Norden des Landes geführt.

Vermisste Chibok-Schülerinnen im Stich gelassen

Ende März dieses Jahres befragte Amnesty International fünf Chibok-Schülerinnen, die Boko Haram entkommen waren, und deren Eltern. Sie gaben an, fast alle Hoffnung aufgegeben zu haben, dass die anderen 98 Mädchen je gerettet würden.

Unser Schmerz ist unermesslich.

Elternteil einer von Boko Haram entführten Schülerin

Ein Mädchen sagte Amnesty International: "Die nigerianische Regierung darf die übrigen 98 Mädchen nicht vergessen. Sie müssen gerettet werden. Jeden Morgen beim Aufwachen denke ich daran, in welcher Verfassung ich sie zurückgelassen habe. Ich weine und habe Mitleid mit ihnen. Neun Jahre sind zu lang für einen so erbärmlichen Zustand. Die Regierung muss ihr Versprechen, alle Mädchen zu befreien, einlösen."

Mehrere Mädchen und junge Frauen in bunten Kleidern sitzen mit teilweise apathischem Blick auf Stühlen in einem Saal.

Im Oktober 2016 ließ Boko Haram in Nigeria 21 aus Chibok entführte Schülerinnen frei. Hier warten sie in der Hauptstadt Abuja auf ein Treffen mit dem nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari.

Die Eltern der Opfer sind in Sorge, dass die Mädchen, die sich weigern, von Boko Haram "verheiratet" zu werden, jeden Tag Gewalt angetan wird. Ein Elternteil sagte Amnesty International: "Unser Schmerz ist unermesslich, denn 14 der Mädchen sind mit 24 Kindern zurückgekommen. Bei uns sind Enkel, deren Väter wir nicht kennen. Unsere Last hat sich vervielfacht, denn wir haben nicht genügend Geld, um die zusätzliche Belastung der Ernährung, Bildung und gesundheitlichen Versorgung unserer heimgekehrten Kinder und Enkelkinder tragen zu können. Hinzu kommt die gesellschaftliche Ablehnung und Stigmatisierung, mit der wir alle konfrontiert sind. Unsere Lage ist einfach hoffnungslos!"

Eltern von Schülerinnen aus Chibok, die sich noch immer in den Händen von Boko Haram befinden, teilten Amnesty International mit, dass die nigerianischen Behörden nicht mehr mit ihnen kommunizieren und sie letztlich im Stich gelassen haben.

Das Foto zeigt eine größere Gruppen von Personen, die durch die Straße ziehen und Plakate hochhalten mit der Aufschrift "Bring back our girls". An der Spitze der Gruppe läuft eine Frau mit Megafon und einem Plakat, auf dem steht: "276 stolen dreams".

"276 gestohlene Träume": Protestaktion der neuseeländischen Amnesty-Sektion in Auckland für die Freilassung der 276 Schülerinnen, die in der nigerianischen Stadt Chibok von Boko Haram entführt wurden (Archivaufnahme vom Mai 2014).

Seit Februar 2021 gab es im Norden Nigerias wiederholte Angriffe auf Schulen und religiöse Einrichtungen. Von mehr als 780 Kindern, die zur Erpressung von Lösegeld entführt wurden, befinden sich mehr als 61 auch zwei Jahre nach ihrer Entführung durch bewaffnete Männer noch immer in Gefangenschaft. Viele Schulen in der Region wurden aufgrund der zunehmend kritischeren Sicherheitslage geschlossen – und sind es geblieben.

"Die Rettung der verbliebenen Chibok-Schülerinnen muss höchste Priorität haben; die Aufgabe, sie zu finden, darf kein weiteres gescheitertes Projekt der Regierung werden. Die scheidende nigerianische Regierung muss alles in ihrer Macht Stehende tut, um diese Mädchen – wie auch alle anderen Kinder, die von diversen bewaffneten Gruppen festgehalten werden – zurück zu ihren Familien zu bringen", sagte Isa Sanusi von Amnesty International in Nigeria.

Personen stehen eng nebeneinander auf einer Treppe und halten Schilder und Plakate hoch, auf denen unter anderem steht "Bring back our girls".

Amnesty-Protestaktion in Nepal am 26. Mai 2014 nach der Entführung der 276 Schülerinnen in Chibok in Nigeria durch Boko Haram.

Hintergrund

Im April 2014 wurden 276 Schülerinnen einer staatlichen weiterführenden Schule in der Stadt Chibok im Bundesstaat Borno entführt. Einige der Schülerinnen konnten aus eigener Kraft entkommen, andere wurden später nach intensiven Bemühungen durch zivilgesellschaftliche Organisationen und Verhandlungen durch die Regierung freigelassen. Von den anfänglich entführten Schülerinnen befinden sich jedoch 98 nach wie vor in Gefangenschaft. Auch bei späteren Angriffen wurden Kinder entführt. Amnesty International dokumentiert die Gräueltaten der bewaffneten Gruppe Boko Haram und deren Angriffe auf Schulen seit 2012. Im Mai 2020 hat Amnesty International außerdem einen Bericht zu den schrecklichen Folgen des Konflikts im Nordosten Nigerias für Kinder veröffentlicht. Im März 2021 belegten Amnesty-Recherchen, dass Boko Haram Kriegsverbrechen an Frauen und Mädchen verübt.

Das Bild zeigt ältere und jüngere Frauen und Kinder, die in einer Gruppe auf dem Boden sitzen

Frauen und Kinder, die vor der islamistischen Miliz Boko Haram fliehen mussten, haben in einem Flüchtlingscamp im Nordosten Nigerias Schutz gefunden (Oktober 2020).

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