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Kino im Kopf, Flucht vor der Linse
Engagiert für Menschenrechte: Die Schauspielerin Katja Riemann.
© Arte
Die Schauspielerin und Menschenrechtsaktivistin Katja Riemann hat im griechischen Flüchtlingslager Moria einen überraschenden Film gedreht – über eine Filmschule.
Von Jürgen Kiontke
Nazanin sagt: "Ich wollte von meinem Traum erzählen, Ballerina zu werden."
Yaser sagt: "Bevor ich mit dem Filmen angefangen habe, dachte ich, ich sei eine nutzlose Person."
Katja Riemanns Beitrag, in dem Yaser und Nazanin eine wichtige Rolle spielen, ist ein Film über das Kino, erzählt vom Kino, ist Kino. Es ist ein Film über die Ursprünge des Filmemachens. Um ihn zu drehen, fuhr die Regisseurin in Europas bekanntestes Flüchtlingslager Moria. Was man dort am wenigsten erwarten würde – eine Filmschule – darüber berichtet "...and here we are!".
2018 gründeten der US-Amerikaner Douglas Herman und die Polin Sonia Nandzik die Filmschule "Refocus Media Labs". Ihr Ziel war es, jungen Menschen das Filmen näherzubringen, mit allem, was dazu gehört – Regie, Darstellung, Ton, Schnitt, Aufführung – und sie zu befähigen, selbst Dokumentationen, Reportagen, fiktionale Kurzfilme zu produzieren. Seminare wie diese hatten sie in der Vergangenheit bereits mit Highschool-Schüler_innen in den USA gemacht.
Film als universelle Sprache
Riemann lernte die beiden Filmprofis im vergangenen Jahr kennen, als sie für eine Buchrecherche längere Zeit in Griechenland war – und drehte ihrerseits mit ihnen. Für den Fernsehsender Arte entstand so ihr 40-minütiger Film. Neben den jungen Filmemacher_innen kommen auch die Lehrer_innen ausgiebig zu Wort. Durchbrochen wird die Erzählung von Ausschnitten aus dort entstandenen Filmen. Sie habe den Studierenden die Möglichkeit geben wollen, von ihren Studien und ihrer Filmleidenschaft zu erzählen – und vor allem von den Möglichkeiten, die das Medium Film für die jungen Geflüchteten bietet.
Riemann gehört zu den prominentesten Schauspielerinnen in Deutschland und spielte in vielen erfolgreichen Filmen mit. Darüber hinaus aber besucht sie seit vielen Jahren Menschenrechtsprojekte auf der ganzen Welt. Im vergangenen Jahr erschien ihr Buch "Jeder hat. Niemand darf", das Berichte über Projektreisen aus zwei Jahrzehnten enthält. Dem Amnesty Journal sagte sie: "Ich bin nur die Botin, eine Geschichtenerzählerin, die berichtet, die für eine kleine Weile vor Ort sein und Zeit verbringen durfte mit jenen, die humanitäre Arbeit leisten, und jenen, an die sich diese Arbeit wendet." In "...and here we are!" hat Riemann ihren Beruf und ihr Engagement verbunden.
Großes Kino im Hinterkopf
Film ist eine universelle Sprache. Wenn es darum geht, Szenen zu konzipieren, benutzt Lehrer Douglas Herman in Moria auch durchaus populäre Beispiele. "Erinnert ihr euch an Neo, wie er zwischen der blauen und der roten Pille entscheiden muss? Die Szene ist sehr kurz, aber sie hat 72 Einstellungen." Neo ist der Held aus der Filmtrilogie "Matrix", einem dystopischen Sci-Fi-Thriller. Und "Moria" – das ist auch der Name eines düsteren zerstörten Ortes in der Filmtrilogie "Herr der Ringe".
Großes Kino im Hinterkopf, so gehen die jungen Filmemacher_innen durch das Lager, interviewen Kinder und Erwachsene. Ihre Filme sind schnell geschnitten, nutzen Elemente aus dem Kino wie aus Nachrichtenreportagen. Stoff, so sagt Regisseur Yaser, gebe es im Camp genug, aber Filmarbeit sei auffällig. "Hey du, du läufst hier mit Kamera rum, warum?", heißt es dann.
Douglas Herman und Sonia Nandzik nehmen in ihren Aufgabenstellungen aber auch individuelle Strategien in den Blick: "Finde einen Ort, der dich beruhigt."
Nazanin, die aus Afghanistan kommt, arbeitet mittlerweile auch für Sender wie Al-Jazeera und die BBC. "Im ersten Semester war ich die einzige Frau", sagt sie. "Im nächsten war das Verhältnis von Männern und Frauen schon 50 zu 50." Das Kino im Camp verändert auch die Sicht der Menschen auf sich selbst. "Es war eine völlig neue Erfahrung", erzählt Zahra aus dem Filmkurs: "Ich als Frau sage, dass ich mir die Kamera nehme."
Die Filme, die nach dem Brand des Lagers im vergangenen Jahr entstanden, zeigen bedrückende Bilder. Die Zerstörung war so groß, dass die griechischen Behörden das neue Camp Moria 2, auch bekannt als Kara Tepe, einrichteten. Bei heftigen Regenfällen versanken die Bewohner_innen in ihren Zelten im Schlamm. Herman filmte Material für eine BBC-Reportage und wurde daraufhin festgenommen und aus dem Schengen-Raum ausgewiesen.
Auf Augenhöhe solle man den Absolvent_innen der Filmschule begegnen, sagt Riemann. Ihr Film ist ein Musterbeispiel, was Kino zu leisten vermag. Im nächsten Jahr will sie selbst im Lager unterrichten. Was die Menschen im Kino zusammenbringt? Jungregisseur Yaser kennt die Antwort: "Kunst ist Schönheit."
Arte / Carte blanche für Katja Riemann: "...and here we are! Eine Filmschule in Moria". F 2021. Ausstrahlung: Am 2. Mai 2021 um 00.00 Uhr, auch verfügbar in der Mediathek.
INTERVIEW MIT KATJA RIEMANN
Interview: Jürgen Kiontke
Wie kamen Sie auf die Idee, diesen Film zu machen?
Ich hatte das Angebot von Arte, für die Reihe "Carte blanche" einen Film zu machen und konnte mir das Thema selbst überlegen. Als ich im August 2020 vier Wochen in Griechenland war, auf Chios, Lesbos und in Athen, um für mein nächstes Buch zu recherchieren, lernte ich Douglas Herman und Sonia Nandzik kennen, und da wusste ich, was mein Thema sein würde. Voilà. Weil sich hier die Schnittmenge ergibt, als Filmschaffende und humanitär arbeitende Künstlerin.
Stehen Sie noch in Kontakt mit den beiden?
Na klar, konstant. Sie hoffen im Sommer zurück auf der Insel zu sein, ich werde dann auch hinfahren und ein Schauspielseminar geben.
Können Sie etwas darüber sagen, wie die aktuelle Situation der Filmschüler_innen ist?
Die Mädchen leben mit ihren Familien in Mythilini und haben Jobs. Yaser A. und Milad hatten einen sehr schweren Winter und ich hatte teilweise Angst, dass sie aufgeben, weil sie erschütternde Textnachrichten schrieben. Aber jetzt sind sie wieder positiver gestimmt. Der Online-Unterricht geht nach wie vor weiter. Ich versuche, Computer zusammenzutrommeln, um sie ihnen zu schicken, damit sie besser arbeiten können. Und Yaser T. ist mit seiner gesamten Familie vor ein paar Wochen in Deutschland angekommen. Er ist ein so kluger Kopf und hat sich an der Humboldt-Universität bereits für einen Deutschkurs angemeldet. "Give me six months and I speak German", schrieb er mir, und ich glaube ihm.
Was müsste aus Ihrer Sicht am dringendsten geschehen, um die Lage der Geflüchteten zu verbessern?
Welche Lage? Zum einen ist da Moria 2, auch Kara Tepe genannt, zum anderen sind da einige andere Geflüchtetenlager, wie zum Beispiel auf Chios oder Samos oder die homeless refugees in Athen. Was ist in Bosnien los? Im Januar war ich in Lipa, das ist ein Desaster… Die Lage, von der wir sprechen, hat mit der Ungleichverteilung von Kapital und Macht zu tun. Wie damit zu verfahren ist, sehe ich mich nicht in der Lage zu beurteilen.
Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.