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"The Dissident": Mord in staatlichem Auftrag
Filmplakat von "The Dissident" (2020)
© dcm world
Aufrüttelnd, informativ und drastisch: Bryan Fogel beleuchtet in seinem Dokumentarfilm "The Dissident" die Ereignisse, die zur Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi führten.
Von Jürgen Kiontke
Ein Mensch geht in ein Gebäude und verschwindet - für immer: Jamal Khashoggi betritt am 2. Oktober 2018 das saudische Konsulat in Istanbul, um Scheidungsunterlagen abzuholen. Eine Routinesache, wie es scheint. Der prominente Journalist und ehemalige Medienberater saudischer Regierungsmitglieder, der schon verschiedene Medien des Landes geleitet hat und nach seinem Umzug in die USA unter anderem für die "Washington Post" schreibt, will die türkische Journalistin Hatice Cengiz heiraten und benötigt die Dokumente. Sie wartet draußen und fragt nach drei Stunden nach, wo ihr Verlobter bleibt. Ein Konsulatsmitarbeiter teilt ihr mit, er habe das Gebäude bereits vor einiger Zeit durch die Hintertür verlassen. Eine Lüge.
In der nächsten Zeit fragt nicht nur Cengiz nach dem Verbleib Khashoggis. Der Fall nimmt internationale Dimensionen an. Was ist mit dem renommierten Kritiker des saudischen Königshauses unter Kronprinz Mohammed bin Salman geschehen? Medien berichten von Protokollen verschiedener Geheimdienste, die Nachrichten saudischer Funktionäre abgefangen haben. Inhalt: Gespräche über eine geplante Entführung des Journalisten.
Wenige Tage später bestätigen Regierungsstellen Saudi-Arabiens, dass Khashoggi kurz nach seiner Ankunft im Konsulat ermordet wurde. "Versehentlich", wie das ein Minister später nennen soll. Eine Leiche wird nie gefunden, und bis heute ist nicht klar, wer in dieses Verbrechen involviert ist. Eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen kommt zu dem Schluss, dass der Mord von höchsten saudischen Stellen angeordnet worden ist. Später werden elf Menschen in Saudi-Arabien für den Mord zur Verantwortung gezogen. Salman selbst kommentierte die Ereignisse so: "Wie soll ich wissen, was drei Millionen Regierungsbeamte den ganzen Tag tun?"
Nun hat sich der Regisseur und Oscar-Gewinner Bryan Fogel ("Ikarus") dieser Ereignisse angenommen. In seinem Dokumentarfilm "The Dissident" geht er dem Fall nach, spricht mit türkischen Ermittlern und Regierungsbeamten, bringt amerikanische Geheimdienst-Chefs vor die Kamera, lässt Hatice Cengiz und enge Mitarbeiter ausführlich zu Wort kommen. Der heute in Kanada lebende Aktivist Omar Abdulaziz berichtet breit über Khashoggis Arbeit zu Meinungsfreiheit und freier Presse in Saudi-Arabien. Beide wollten vor allem über soziale Medien wie Twitter die Unterdrückung skandalisieren und den konservativen Eliten Paroli bieten. Über die dürfe nur Positives berichtet werden, sagt einer der Interviewten. An diese Abmachung habe sich Khashoggi nicht gehalten.
Trailer "The Dissident":
Schnell wird in diesem Film klar: Der Mord war mit Sicherheit kein Versehen, wie das Gericht in Saudi-Arabien befand, das den Fall verhandelte; er war lange geplant. Eigens wurde dafür ein Team eingeflogen, unter anderem mit einem Pathologen zur Beseitigung der Leiche.
Fogel macht darüber hinaus die internationalen Verflechtungen in den Bereichen staatlicher Cyber-Kriminalität, Waffen- und Ölhandel sichtbar. Insbesondere die Ereignisse rund um den arabischen Frühling und die damit verbundenen Forderungen nach mehr Demokratie in den arabischen Staaten spielen dabei eine Rolle: Hat der Westen überhaupt ein Interesse an Demokratisierungsprozessen, wo die Geschäfte doch so gut laufen?
Dass bei der Aufklärung nicht viel mehr internationaler Druck auf Saudi-Arabien ausgeübt wurde, wird mehrmals im Film kritisiert. Zu groß sei das Interesse anderer Regierungen am Markt und Umschlagplatz Saudi-Arabien. Sanktionen könnten dazu führen, dass Aufträge für heimische Konzerne ausfallen. Niemand stelle sich gegen die saudische Monarchie, um nicht Gefahr zu laufen, die Geld- und Ölströme zu unterbrechen.
Zu den Akten gelegt ist der Fall Khashoggi noch lange nicht, und seine Hintergründe sind bis heute nicht genügend geklärt. So hat Cengiz Klage gegen Mohammed bin Salman eingereicht und gerade erst erstattete die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" beim Bundesgerichtshof Anzeige gegen den saudischen Kronpinzen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Auch Fogels Film selbst dürfte die Ereignisse erneut auf die internationale Bühne bringen. Er ist spannungsreich geschnitten und gut komponiert, arbeitet mit verschiedenen Stilmitteln. Und er geizt nicht mit schlimmen Szenen, zeigt etwa Hatice Cengiz, als sie unter Tränen eine Ansprache vor dem UN-Menschenrechtsrat hält und die Delegierten Saudi-Arabiens einfach aus dem Sitzungssaal abhauen.
Dabei geht er auch an den Rand des Erträglichen: Zu den Ereignissen im Konsulat gibt es Ton- und Videoprotokolle, die auch das Zerteilen des Leichnams des Opfers dokumentieren. Es kann aber kaum verwundern, dass in einem engagierten politischen Film drastische Vorgänge drastisch geschildert werden.
Vorgänge, wie Fogel sagt, die weltweit Auswirkungen haben: "Die globale Gemeinschaft akzeptiert Zensur, Unterdrückung, Mord, Völkermord und sieht tatenlos dabei zu. Bei dieser Geschichte wird deutlich, dass die Regierungen Menschenrechte als eine Ware ansehen, die gehandelt und eingetauscht werden kann. Menschenrechte dürfen nicht verhandelbar sein."
Und weiter: "Wir hoffen, dass dieser Film dem Allgemeinwohl dienen wird, indem er diese schrecklichen Tatsachen beleuchtet, damit wir sie ändern können."
"The Dissident". USA 2020. Regie: Bryan Fogel. Streaming-Start ab 16. April 2021 auf Amazon, Apple TV, Sky, Maxdome/Joyn, Videoload, Google, Videobuster, Videociety, Kino on Demand.
Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.