Amnesty Report Tschechische Republik 24. April 2024

Tschechien 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

In einem Umfeld zunehmender wirtschaftlicher und politischer Spannungen waren ukrainische Flüchtlinge von Hassreden, Diskriminierung, Schikanen und Hassverbrechen betroffen. Die jüngsten Schritte hin zu einer Definition von Vergewaltigung auf Grundlage des Zustimmungsprinzips waren unzureichend. Rom*nja-Kinder wurden im Bildungswesen faktisch segregiert. Gleichgeschlechtliche Paare hatten noch immer nicht das Recht auf eine gleichberechtigte Eheschließung. Trans Menschen, die ihr amtliches Geschlecht ändern wollten, mussten sich nach wie vor zuerst sterilisieren lassen. Es wurde bekannt, dass die tschechische Polizei Gesichtserkennungssoftware testete. Die Klimaschutzmaßnahmen waren weiterhin unzureichend. 

Hintergrund

Im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat (UPR-Prozess) im Januar 2023 verpflichtete sich Tschechien dazu, gleichgeschlechtlichen Paaren mehr Rechte einzuräumen, eine auf dem Zustimmungsprinzip basierende Definition von Vergewaltigung einzuführen und Körperstrafen für Kinder zu verbieten. Die Umsetzung dieser Verpflichtungen sowie einiger Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verlief 2023 jedoch schleppend oder stagnierte ganz.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Etwa 350.000 ukrainische Flüchtlinge hielten sich weiter in Tschechien auf. In einem von wirtschaftlicher Rezession und steigender Inflation geprägten Umfeld waren die Ukrainer*innen Hassreden, Schikanen und Hassverbrechen ausgesetzt. Im August wurden in der Stadt Plasy zwei geflüchtete Ukrainerinnen aufgrund ihrer Nationalität gewaltsam angegriffen. 

Ukrainische Flüchtlinge waren bei der Integration mit Hindernissen konfrontiert, darunter Sprachbarrieren in den Schulen. Nur wenige aus der Ukraine geflüchtete Kinder besuchten weiterführende Schulen. Zwar lag die Beschäftigungsquote unter ukrainischen Flüchtlingen bei 64 Prozent, die überwiegende Mehrheit von ihnen ging jedoch schlecht bezahlten und gering qualifizierten Beschäftigungen nach.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Die Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) wurde 2023 im Parlament diskutiert. Es gab jedoch starken Widerstand von Regierungs- und Oppositionspolitiker*innen, von denen einige Fehlinformationen verbreiteten. 

Das Justizministerium legte ein neues Gesetz vor, um eine auf dem Zustimmungsprinzip basierende Definition von Vergewaltigung ins Strafgesetzbuch einzuführen. Das Gesetz war bis zum Ende des Jahres noch nicht vom Parlament gebilligt worden.

Der Begriff "häusliche Gewalt" wurde zwar im Strafgesetzbuch verwendet, war dort jedoch nicht näher definiert. Entsprechende Änderungen des Zivil- und des Strafgesetzbuchs befanden sich in Vorbereitung, waren dem Parlament bis zum Ende des Jahres jedoch noch nicht vorgelegt worden.

Diskriminierung

Die Einweihung eines Mahnmals für den Holocaust an Sinti*zze und Rom*nja im ehemaligen Konzentrationslager Lety wurde für Anfang 2024 anberaumt. Im Kontrast zu diesem positiven Schritt wurde jedoch nur wenig unternommen, um konkret gegen die anhaltende faktische Segregierung von Rom*nja-Kindern im Bildungswesen vorzugehen.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Das Gesetz zur Anerkennung der gleichberechtigten Eheschließung durchlief 2023 die erste Lesung im Parlament. Gleiches galt jedoch auch für eine geplante Verfassungsänderung, mit der die Ehe als eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definiert wurde. Dies schuf Unsicherheiten bezüglich der Zukunft eines Rechts auf die gleichberechtigte Ehe. 

Trans Menschen, die eine Änderung des amtlichen Geschlechts beantragen wollten, mussten sich nach wie vor sterilisieren lassen, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2017 entschieden hatte, dass dies einen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellte. Das Strafgesetzbuch stufte Gewalttaten aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität noch immer nicht als Hassverbrechen ein.

Kinderrechte

Der Minister für Legislative gründete eine Arbeitsgruppe, um im Laufe des Jahres 2024 das Amt einer Ombudsperson für Kinder einzurichten. 

Körperstrafen für Kinder blieben weiter erlaubt. Eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, durch die Körperstrafen als "inakzeptabel" bezeichnet, aber nicht unter Strafe gestellt würden, befand sich in Vorbereitung.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Das Gesetz über den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen wurde auch 2023 nicht reformiert. Viele medizinische Einrichtungen verweigerten Frauen aus anderen EU-Staaten Schwangerschaftsabbrüche. Grund dafür waren falsche Behauptungen der tschechischen Ärzt*innenkammer, wonach Abbrüche gesetzlich nicht erlaubt wären. Das Gesundheitsministerium und das Büro der Ombudsperson hatten diesen Behauptungen mehrfach widersprochen.

Unverantwortliche Rüstungsexporte

Tschechien lieferte 2023 weiter Waffen an Israel, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, obwohl ein erhebliches Risiko bestand, dass mit ihnen schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht verübt werden könnten.

Massenüberwachung

Das tschechische Innenministerium kippte die Entscheidung der Polizei, keine Informationen über ihren verdeckten Einsatz von Gesichtserkennungssoftware herauszugeben. Das Ministerium wartete noch auf eine Antwort der Polizei, in der diese entweder die geforderten Informationen lieferte oder einen Grund dafür nannte, sie zurückzuhalten.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Ein Versuch des Bürgermeisters von Prag, Protestmärsche auf einer Hauptstraße in der Innenstadt einzuschränken, wurde vom Stadtgericht in der Hauptstadt unterbunden. Das Gericht entschied, dass eine solche Einschränkung ohne hinreichende Begründung gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit verstoße.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Die Regierung bestätigte ihr Ziel, die Kohlenutzung bis 2033 auslaufen zu lassen und bis 2050 klimaneutral zu werden. 

Tschechien hatte 2023 noch kein rechtsverbindliches Klimagesetz verabschiedet, das klare Ziele festschreibt und konkrete Klimaschutzmaßnahmen vorgibt.

Weitere Artikel