Amnesty Report Thailand 24. April 2024

Thailand 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Behörden gingen weiterhin scharf gegen die Rechte auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung vor. Zahlreiche Menschen wurden wegen ihrer Teilnahme an friedlichen Protesten vor Gericht gestellt und angeklagt, darunter auch Hunderte Minderjährige. Auch Menschenrechtsverteidiger*innen waren strafrechtlichen und anderen Schikanen ausgesetzt. Ein neues Gesetz stellte Folter und Verschwindenlassen unter Strafe. Die für diese Verbrechen Verantwortlichen wurden jedoch auch weiterhin nicht wirksam zur Rechenschaft gezogen, wie der Fall eines im Jahr 2014 verschwundenen Verteidigers der Rechte indigener Gemeinschaften zeigte. Zwar wurde ein neuer Mechanismus zur Überprüfung von Flüchtlingen und Asylsuchenden eingeführt, doch waren auch 2023 viele von ihnen auf unbestimmte Zeit unter mangelhaften Bedingungen inhaftiert. Die schlechten Haftbedingungen führten zum Tod zweier uigurischer Männer.

Hintergrund

Die für demokratische Reformen eintretende Fortschrittspartei (Move Forward Party MFP) gewann bei den nationalen Wahlen im Mai 2023 die meisten Sitze im Parlament, erhielt jedoch von den Abgeordneten nicht genügend Stimmen für eine Regierungsbildung. Am 5. September 2023 übernahm die zweitplatzierte Partei Pheu Thai zusammen mit ihren Koalitionspartnern die Regierungsgeschäfte. Der neuen Regierung gehören auch zwei Parteien mit engen Verbindungen zum Militär an.

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Die Regierung ging weiterhin scharf gegen die überwiegend friedlichen Proteste vor, bei denen politische und soziale Reformen gefordert wurden. Nach Angaben der lokalen NGO Thai Lawyers for Human Rights (TLHR) wurden zwischen 2020 und Dezember 2023 mindestens 1.938 Personen wegen ihrer Teilnahme an Protesten angeklagt. 1.469 von ihnen waren auf Grundlage einer Notstandsverordnung angeklagt worden, die öffentliche Versammlungen während der Coronapandemie verboten hatte und Ende 2022 wieder aufgehoben worden war. Hunderte weitere waren wegen Majestätsbeleidigung (Lèse-Majesté – Verleumdung, Beleidigung oder Bedrohung des Monarchen) oder wegen Aufwiegelung angeklagt. Im Dezember 2023 liefen noch Strafverfolgungen in 795 Fällen.

Unter den Verurteilten befand sich auch der bekannte Menschenrechtsanwalt Anon Nampa, der am 26. September 2023 der Majestätsbeleidigung für schuldig befunden wurde und eine Haftstrafe von vier Jahren erhielt, weil er während einer Protestveranstaltung im Oktober 2020 eine Rede gehalten hatte, in der er zu einem nationalen Gespräch über die Rolle der Monarchie aufrief. Er war noch mit 13 weiteren Anklagepunkten wegen Majestätsbeleidigung konfrontiert.

Die Gerichte lehnten wiederholt Kautionsanträge von Anon Nampa und 23 weiteren Personen ab, die wegen ihrer Teilnahme an Protestveranstaltungen inhaftiert waren. Im Januar 2023 wurden die Demokratiebefürworterinnen Tantawan Tuatulanon und Orawan Phuphong in ein Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie in den Hungerstreik getreten waren, um dagegen zu protestieren, dass ihnen die Freilassung gegen Kaution verweigert worden war. Beide waren im Jahr 2022 wegen Majestätsbeleidigung angeklagt worden, weil sie öffentliche Meinungsumfragen über königliche Fahrzeugkolonnen durchgeführt hatten.

Die Behörden gingen auch weiterhin mit dem Gesetz über Computerkriminalität (Computer Crimes Act CCA) gegen ihre Kritiker*innen vor. Nach Angaben von TLHR wurden seit 2020 mindestens 195 Personen auf Grundlage dieses Gesetzes angeklagt. Darunter befand sich auch der politische Aktivist Ekachai Hongkangwan, der im Juni 2023 vom Vorwurf freigesprochen wurde, eine königliche Fahrzeugkolonne während eines Pro-Demokratie-Protests behindert zu haben. Er wurde im Juli 2023 jedoch auf Grundlage einer mehrdeutigen Bestimmung des CCA, die die Weitergabe obszöner Informationen unter Strafe stellt, zu einem Jahr Haft verurteilt.

Kinderrechte

Recherchen von Amnesty International zeigten, dass die Behörden die Rechte von Kindern auf vielerlei Weise unterdrückten. Junge Leute, die bei den Massenprotesten stark vertreten waren, wurden kriminalisiert, überwacht und eingeschüchtert.

Zwischen 2020 und Oktober 2023 wurden 286 Minderjährige angeklagt, weil sie an Protestkundgebungen teilgenommen hatten. Darunter befand sich auch die 15-jährige Yok, die im März 2023 festgenommen wurde, weil sie im Jahr 2022 an einer Demonstration für die Abschaffung des Gesetzes über Majestätsbeleidigung (Lèse-Majesté-Gesetz) teilgenommen hatte. Sie wurde 51 Tage lang in Untersuchungshaft festgehalten, bevor ein Gericht ihre Freilassung anordnete.

Am 20. Juli 2023 verurteilte das Zentrale Jugend- und Familiengericht den Minderjährigen Noppasin "Sainam" Treelayapewat zu einer für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzten einjährigen Haftstrafe, nachdem er der Majestätsbeleidigung für schuldig befunden worden war. Er hatte im Jahr 2020 an einer Modenschau teilgenommen, die die Monarchie persiflierte. Sainam war zu diesem Zeitpunkt erst 16 Jahre alt.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Menschenrechtsverteidiger*innen waren Schikane im Internet ausgesetzt. Im August 2023 kritisierten sechs UN-Menschenrechtsexpert*innen in einem Schreiben an die thailändische Regierung, dass die Menschenrechtsverteidigerinnen Angkhana Neelapaijit und Anchana Heemmina nicht angemessen vor digitaler Einschüchterung und Drangsalierung geschützt worden waren und dass niemand dafür zur Rechenschaft gezogen worden war. Zuvor hatte ein Zivilgericht im Februar 2023 eine Klage der beiden Frauen gegen die thailändische Armee und das Büro des Premierministers abgewiesen. Die Frauen warfen den Institutionen vor, wegen ihrer legitimen Menschenrechtsarbeit eine Online-Verleumdungskampagne gegen sie geführt zu haben.

Recht auf Privatsphäre

Im April 2023 wandten sich vier UN-Sonderberichterstatter*innen in einem Schreiben an den Premierminister und äußerten ihre Besorgnis darüber, dass während der landesweiten Proteste 2020 und 2021 die Mobiltelefone von 35 Personen, darunter Menschenrechtsverteidiger*innen, Politiker*innen und zivilgesellschaftliche Aktivist*innen, mit der Spionagesoftware Pegasus des Cyberspionage-Unternehmens NSO Group infiziert worden waren. Zudem warfen die UN-Sonderberichterstatter*innen der Regierung vor, Personen nicht angemessen geschützt zu haben, die mutmaßlich rechtswidrig überwacht worden waren. Am 13. Juni 2023 reichte der Menschenrechtsverteidiger Jatupat Boonpattararaksa, dessen Telefon mit der Spyware infiziert war, Klage gegen die NSO Group ein und forderte eine finanzielle Entschädigung für die Verletzung seines Rechts auf Privatsphäre.

Folter und andere Misshandlungen sowie Verschwindenlassen

Nach jahrelangem Druck seitens der Zivilgesellschaft und der Betroffenen trat im Februar 2023 ein Gesetz in Kraft, das Folter und andere Misshandlungen sowie Verschwindenlassen erstmals unter Strafe stellte und verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen gegen solche Praktiken einführte. Das Gesetz enthielt jedoch keine Bestimmungen, um Aussagen, die unter Folter oder während des erzwungenen "Verschwindens" einer Person von dieser erlangt wurden, als Beweismittel in Gerichtsverfahren auszuschließen.

Am 28. September 2023 sprach ein Gericht vier Nationalparkbedienstete frei, denen vorgeworfen wurde, den indigenen Karen-Menschenrechtsverteidiger Pholachi "Billy" Rakchongcharoen entführt und getötet zu haben. "Billy" verschwand im April 2014 im Kaeng-Krachan-Nationalpark, nachdem er kurz zuvor unter dem Vorwurf des Besitzes von wildem Honig festgenommen worden war. Er war an einer Klage gegen Bedienstete des Nationalparks beteiligt, denen man vorwarf, Angehörige lokaler Gemeinschaften vertrieben und Häuser niedergebrannt zu haben. Einer der Angeklagten wurde für schuldig befunden, "Billys" Festnahme nicht bei der Polizei gemeldet zu haben. Er wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, später jedoch gegen Kaution freigelassen.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Am 22. September 2023 trat eine Verordnung in Kraft, mit der ein Prüfverfahren eingeführt wurde, um Asylsuchenden, die Schutz vor Verfolgung suchten, einen Schutzstatus zu gewähren. Menschenrechtsorganisationen zeigten sich besorgt darüber, dass Arbeitsmigrant*innen aus Myanmar, Laos, Vietnam und Kambodscha vom Zugang zu Schutz ausgeschlossen waren. Kritisiert wurden auch Bestimmungen, die es den Behörden erlaubten, den Schutzstatus aus Gründen der "nationalen Sicherheit" zu verweigern, ohne die Gründe für diese Entscheidung erläutern zu müssen.

Migrant*innen ohne offiziellen Aufenthaltsstatus, darunter auch Asylsuchende, wurden willkürlich und auf unbestimmte Zeit in verwahrlosten Hafteinrichtungen für Migrant*innen festgehalten. Die beiden ethnischen Uiguren Aziz Abdullah und Mattohti Mattursun starben im Februar bzw. April 2023 im Suan Phlu Immigration Detention Center in der Hauptstadt Bangkok. Sie hatten zu einer Gruppe von rund 50 Uiguren aus der autonomen Region Xinjiang in China gehört, die sich seit ihrer Ankunft in Thailand im Jahr 2014 in Haft befanden.

Am 13. April 2023 verschwand der vietnamesische Youtuber Đường Văn Thái aus seinem Haus in Bangkok. Die Umstände seines Verschwindens ließen auf eine Beteiligung vietnamesischer Staatsbediensteter schließen. Kurz darauf wurde er in Vietnam festgenommen und wegen "Verbreitung staatsfeindlicher Propaganda" angeklagt.

Am 17. Mai 2023 erschoss in der Provinz Ubon Ratchathani im Nordosten Thailands ein Unbekannter den vom UNHCR anerkannten laotischen Flüchtling Bounsuan Kitiyano. Menschen wie er, die aus Laos kommen und sich für die Menschenrechte einsetzen, sind in Vietnam anhaltender Verfolgung ausgesetzt.

Am 7. Juli 2023 nahmen die Behörden den kambodschanischen politischen Aktivisten und Angehörigen der Candlelight-Partei Thol Samnang fest. Samnang war zum Zeitpunkt seiner Festnahme auf dem Weg zum UNHCR-Büro in Bangkok, um dort den Flüchtlingsstatus zu beantragen.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Am 21. Dezember 2023 wurde ein Gesetzespaket debattiert, mit dem die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert werden soll. Nachdem der Gesetzentwurf im Repräsentantenhaus breite Unterstützung erhielt, begann der schrittweise Prozess hin zu einer möglichen Verabschiedung des Gesetzes.

Straflosigkeit

Für den im Jahr 2004 erfolgten Tod von 85 Menschen wurde auch 2023 niemand zur Rechenschaft gezogen. Damals kam es in der südlichen Grenzprovinz Narathiwat zu Demonstrationen für die Freilassung von sechs malaiischen Muslimen aus der Polizeistation Tak Bai. Die Betroffenen wurden entweder erschossen oder starben nach ihrer Festnahme in Gewahrsam.

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