Amnesty Report Tadschikistan 24. April 2024

Tadschikistan 2023

Drei Kinder unterschiedlichen Alters stehen in einer kargen Berg-Region, im Hintergrund ist neben wenigen kleinen grünen Pflanzen auch ein dünner Flusslauf zu erkennen.

Junge Angehörige der Minderheit der Pamiri in der Autonomen Region Gorno-Badachschan in Tadschikistan (undatiertes Foto)

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Rechte auf Versammlungs-, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit wurden weiter eingeschränkt. Nach wie vor nahmen die Behörden Menschenrechtsverteidiger*innen, unabhängige Journalist*innen, Blogger*innen und weitere Andersdenkende ins Visier, indem sie sie willkürlich inhaftierten und in unfairen Gerichtsverfahren zu Haftstrafen verurteilten. Das Vorgehen gegen die Religionsausübung von Ismailit*innen verschärfte sich. Folter und andere Misshandlungen blieben weit verbreitet. Die Diskriminierung und Ausgrenzung der Gemeinschaften der Pamiri und der Rom*nja/Jughi hielt an. 

Hintergrund

Die Grenze zu Kirgisistan blieb auch 2023 infolge der Zusammenstöße in den Jahren 2021 und 2022 geschlossen. 

Die großflächigen Stromausfälle in verschiedenen Regionen des Landes und die steigenden Preise zählten weiterhin zu den Hauptsorgen der Bevölkerung. 

Internationalen Menschenrechtsgruppen blieb der Zugang zu Tadschikistan faktisch weiter verwehrt. In Verbindung mit den harten Vergeltungsmaßnahmen gegen lokale Menschenrechtsbeobachter*innen erschwerte dies die Informationsbeschaffung erheblich. 

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die wenigen verbliebenen unabhängigen Medienkanäle, Menschenrechtsverteidiger*innen und Blogger*innen waren gezwungen, Selbstzensur zu üben. Taten sie dies nicht, riskierten sie, zum Ziel politisch motivierter Strafverfolgungsmaßnahmen zu werden. 

Die Behörden griffen weiter hart gegen unabhängige Medienkanäle durch, die Kritik an der Regierung äußerten. Im Juli 2023 wurden das Nachrichtenportal Pamir Daily News und die Website New Tajikistan 2, die mit der willkürlich verbotenen oppositionellen Gruppierung Gruppe 24 verbunden war, als "extremistische Organisationen" verboten. Dieser Status bedeutete, dass alle Personen innerhalb Tadschikistans, die mit solchen Medienkanälen zusammenarbeiteten, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden konnten. 

Am 26. Mai 2023 wurde der Journalist Khurshed Fozilov, der über soziale Probleme im Serafschantal berichtet hatte, unter dem Vorwurf der Beteiligung an den Aktivitäten verbotener Organisationen zu sieben Jahren Haft verurteilt. Das Verfahren gegen ihn hatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einer Hafteinrichtung stattgefunden.

Auch im Exil lebende Oppositionelle wurden ins Visier genommen, indem man ihre Angehörigen in Tadschikistan einschüchterte. Die Journalistin Anora Sarkorova und der Journalist Rustami Joni, die über Menschenrechtsverletzungen berichtet hatten, wurden unter Druck gesetzt, indem man ihre Angehörigen Berichten zufolge Drohungen, strafrechtlicher Verfolgung, Einschüchterung und Verhören aussetzte. 

Recht auf Versammlungsfreiheit

Seit der brutalen Unterdrückung von Demonstrationen im Distrikt Ruschon der Autonomen Region Berg-Badachschan im Mai 2022 gab es keine Berichte mehr über größere Protestaktionen. Am ersten Jahrestag dieser gewaltsamen Niederschlagung sollen die Behörden Zusammenkünfte mehrerer Personen verhindert und Online-Aktivitäten zum Gedenken an die Opfer überwacht haben.

Angehörige von Mitgliedern der oppositionellen Diaspora, die im Ausland demonstrierten, erlebten ebenfalls Vergeltungsmaßnahmen. Nachdem es während des Besuchs von Präsident Emomali Rahmon im September 2023 in Deutschland zu Protesten gekommen war, wurden laut der NGO Human Rights Watch etwa 50 in Tadschikistan lebende Familienmitglieder von Protestierenden inhaftiert und verhört. Tadschikische Sicherheitsbehörden schüchterten Berichten zufolge auch Aktivist*innen in der Diaspora ein, die gegen die Abschiebung von Abdullohi Shamsiddin (siehe "Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren") protestiert hatten, indem sie Druck auf deren Verwandte in Tadschikistan ausübten.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Der Handlungsspielraum für NGOs blieb 2023 stark eingeschränkt. Nach dem harten Durchgreifen in Berg-Badachschan ordneten Gerichte die Schließung von fünf NGOs wegen angeblicher Verbindungen zu kriminellen Gruppierungen an. Zu den betroffenen Organisationen gehörte auch die pamirische Anwält*innenvereinigung, deren Direktor, der Anwalt und Menschenrechtsverteidiger Manuchehr Kholiknazarov, 2022 nach einem unfairen Gerichtsverfahren zu 16 Jahren Haft verurteilt worden war. Hunderte NGOs im ganzen Land wurden von Sicherheitsbehörden oder anderen Stellen inoffiziell dazu genötigt, ihre Aktivitäten "freiwillig" einzustellen oder sich aufzulösen.

Die Behörden diffamierten informelle Organisationen in Berg-Badachschan nach wie vor als kriminelle Gruppen. 

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Im April 2023 unterzeichnete Präsident Rahmon Berichten zufolge einen Erlass, der es den Behörden erlaubte, die Leichen von Personen, die bei mutmaßlichen "Antiterroreinsätzen" ums Leben gekommen waren, ohne Beachtung religiöser Riten in vom Staat ausgewählten und vor den Angehörigen geheim gehaltenen unmarkierten Gräbern zu bestatten. 

Das Vorgehen gegen die religiösen Praktiken der Ismailit*innen, einer religiösen Minderheit aus Berg-Badachschan, verschärfte sich 2023 weiter. Seit 2022 gingen die Behörden mittels der Zerstörung religiöser Symbole, der Schließung von Gebetsstätten und einem Verbot religiöser Feierlichkeiten gegen die Gemeinschaft vor. Die Behörden verhängten weiterhin Strafen für gemeinsames Beten in Privathäusern, drohten Glaubensvermittler*innen mit Strafverfolgung, konfiszierten Schriften zur religiösen Bildung und versuchten Berichten zufolge, bestimmte Praktiken durch solche zu ersetzen, die von der sunnitisch-muslimischen Mehrheit befolgt wurden. 

Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren

Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren blieben an der Tagesordnung. Am 23. Januar 2023 äußerten sich mehrere Sonderverfahren des UN-Menschenrechtsrats besorgt über die zu weit gefasste Definition von "Terrororganisation" in der tadschikischen Gesetzgebung. Anklagen mit mutmaßlichem Terrorismusbezug ermöglichten die Anwendung von Ausnahmebefugnissen, die Umsetzung von Notstandsmaßnahmen und die Einschränkung von Verfahrensrechten.

Von den Behörden im Ausland ins Visier genommene und unter Zwang nach Tadschikistan zurückgeführte tadschikische Staatsangehörige wurden in unfairen Gerichtsverfahren zu Haftstrafen verurteilt. Am 18. Januar 2023 wurde Abdullohi Shamsiddin, ein Emigrant, der mit mehreren führenden Mitgliedern der willkürlich verbotenen Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans eng verbunden war, von Deutschland nach Tadschikistan abgeschoben. Inoffiziellen Quellen zufolge fiel er nach seinem Eintreffen in Tadschikistan dem Verschwindenlassen zum Opfer und wurde vom Komitee für Staatssicherheit in Einzelhaft festgehalten. Am 29. März 2023 verurteilte ein Gericht in der Hauptstadt Duschanbe Abdullohi Shamsiddin wegen "öffentlicher Aufrufe zur gewaltsamen Störung der verfassungsmäßigen Ordnung" in einem Verfahren, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, zu sieben Jahren Haft. 

Im Juli 2023 wurde die Haftstrafe des Menschenrechtsanwalts Buzurgmehr Yorov, der sich seit 2016 in Haft befand, um zehn Jahre verlängert. Er war aufgrund konstruierter Anklagen wegen der Vertretung von Mitgliedern der willkürlich verbotenen Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans zu 28 Jahren Haft verurteilt worden und hatte zuvor einen Straferlass von zehn Jahren erhalten. 

Am 29. September 2023 wurde Nizomiddin Nasriddinov, ein Aktivist, der mit der verbotenen Gruppe 24 zusammengearbeitet hatte, Berichten zufolge wegen ähnlicher Vorwürfe zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt, nachdem er am 8. Januar 2023 aus Belarus nach Tadschikistan abgeschoben worden war. Weder in diesem noch im zuvor geschilderten Fall wurden Beweismittel oder offizielle Informationen über das Gerichtsverfahren veröffentlicht. 

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen blieben 2023 an der Tagesordnung und wurden Berichten zufolge von verschiedenen Sicherheitsbehörden, insbesondere vom Komitee für Staatssicherheit und der sogenannten Sechsten Abteilung des Innenministeriums, eingesetzt, um "Geständnisse" zu erzwingen und Dritte zu belasten. Zu den mutmaßlich genutzten Foltermethoden gehörten das Einschieben von Nadeln unter die Fingernägel, Elektroschocks, Schläge, sexualisierte Gewalt, Schlafentzug, das Erzeugen von Erstickungsgefühlen durch das Überstülpen von Plastiktüten über den Kopf und die Injektion von Drogen. 

Abdukakhkhor Rozikov starb am 2. Januar 2023 in der Stadt Kulob in Polizeigewahrsam. Sein Tod wurde weithin auf Folter zurückgeführt, was durch Fotos und Videos von seinem Leichnam untermauert wurde. In einem seltenen Versuch, die Täter zur Verantwortung zu ziehen, wurden am 25. Juli drei ehemalige Polizisten wegen ihrer Mitschuld am Tod von Abdukakhkhor Rozikov zu jeweils 14 Jahren Haft verurteilt.

Inhaftierte meldeten weiterhin Misshandlungen, darunter Schläge, mangelnder Zugang zu Nahrung und Wasser sowie Kälte und Feuchtigkeit in den Zellen. Berichten zufolge litten viele Gefangene an Tuberkulose und wurden nicht angemessen medizinisch behandelt. 

Diskriminierung

Pamiri

Im April 2023 äußerte sich der UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD) besorgt über die Ausgrenzung und Diskriminierung der Pamiri, einer ethnischen und religiösen Minderheit, die überwiegend in Berg-Badachschan ansässig ist. Zwar hatte Tadschikistan 2022 ein Gesetz über Gleichstellung und die Abschaffung aller Formen von Diskriminierung verabschiedet, Pamiri fielen jedoch nicht unter dessen Schutz, da die Behörden bestritten, dass es sich bei ihnen um eine ethnisch oder sprachlich eigenständige Gruppe handelte. Die Behörden setzten ihre Bemühungen zur zwangsweisen Assimilierung der pamirischen Bevölkerung fort und unterdrückten den Gebrauch der pamirischen Sprachen sowie den Ausdruck der pamirischen Identität in staatlichen Einrichtungen, Schulen, Medien, künstlerischen Darbietungen und im öffentlichen Raum. 

Rom*nja/Jughi 

Der CERD-Ausschuss betonte 2023 die Notwendigkeit einer umfassenden Strategie, um gegen Ausgrenzung und die Voreingenommenheit der Medien gegenüber der Gemeinschaft der Rom*nja/Jughi vorzugehen. Die strukturelle Diskriminierung zeigte sich besonders im Bereich Bildung, so war die Einschulungsquote unter Rom*nja/Jughi niedrig.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Tadschikistan war auf internationale Finanzhilfen angewiesen, um seine Klimaziele zu erreichen. Projekte zur Anpassung an den Klimawandel wurden hauptsächlich von internationalen Organisationen betrieben. Im August 2023 erklärte die Weltbank, dass die Luftverschmutzung in Tadschikistan gravierende Gesundheitsprobleme und wirtschaftliche Verluste zur Folge habe. Geschätzte 78 Todesfälle pro 100.000 Einwohner*innen seien auf Luftverschmutzung zurückzuführen. 

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