Amnesty Report Sri Lanka 28. März 2023

Sri Lanka 2022

Menschen, die auf blauen Gasbehältern sitzen und sich mit Schirmen vor der Sonne schützen

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Als Reaktion darauf, dass Tausende Menschen gegen die katastrophale wirtschaftliche Lage protestierten, verschärfte die Regierung den harten Kurs gegen Andersdenkende. Personen, die ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wahrnahmen, wurden von Ordnungskräften ins Visier genommen. Diese wandten zuweilen rechtswidrige Gewalt an, die Tote und Verletzte zur Folge hatte. Protestierende wurden willkürlich festgenommen, auf Grundlage drakonischer Antiterrorgesetze inhaftiert und in Gewahrsam misshandelt. Schwere Menschenrechtsverletzungen, die während des internen bewaffneten Konflikts begangen worden waren, wurden nicht aufgearbeitet. Die Familien "verschwundener" Personen bemühten sich weiterhin, Wahrheit und Gerechtigkeit zu erlangen. Bei der Novellierung des Antiterrorgesetzes (Prevention of Terrorism Act – PTA) wurden wichtige menschenrechtliche Bedenken außer Acht gelassen. Das PTA wurde weiterhin eingesetzt, um Muslim*innen und Tamil*innen strafrechtlich zu verfolgen.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Sri Lankas Wirtschaftskrise hatte 2022 verheerende Auswirkungen auf die Menschenrechte. Die Inflationsrate stieg im September auf 73,7 Prozent, bei Lebensmitteln lag sie sogar bei 85,8 Prozent. Der Zugang zu Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung und Bildung war stark beeinträchtigt, und die bestehenden Programme für soziale Sicherheit reichten nicht aus, um den wachsenden Bedarf an staatlicher Unterstützung zu decken. Brennstoffmangel führte zu Stromausfällen von bis zu 13 Stunden täglich. Auf Tageslöhne angewiesene Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen litten besonders stark unter der schlechten wirtschaftlichen Lage.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Als die Menschen auf die Straße gingen, um gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu protestieren, verstärkte die Regierung ihren harten Kurs gegen Andersdenkende. Ab Ende März 2022 versammelten sich Hunderte Protestierende vor Regierungsgebäuden und Wohnsitzen der politischen Elite. Obwohl die Proteste weitgehend friedlich verliefen, setzten die Behörden verschiedene Mittel ein, um die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken.

Mindestens dreimal wurde in den Monaten April, Mai und Juli der Ausnahmezustand verhängt; der letzte lief Mitte August 2022 aus. Die im Zuge des Ausnahmezustands erlassenen Notstandsverordnungen gaben den Behörden weitreichende Befugnisse zur Festnahme und Inhaftierung von Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren oder richterliche Prüfung. Am 9. Mai 2022 wurde das friedliche Protestcamp vor dem Amtssitz des Präsidenten von Anhänger*innen der Regierung angegriffen, woraufhin Gruppen von Regierungsgegner*innen Vergeltungsangriffe starteten. Laut Angaben der Behörden verloren bei den darauffolgenden gewaltsamen Zusammenstößen neun Menschen ihr Leben, darunter ein Parlamentsabgeordneter. Mehr als 220 Menschen wurden verletzt.

Die Strafverfolgungsbehörden beantragten regelmäßig präventive gerichtliche Anordnungen, um Proteste zu verhindern, ohne dass dafür hinreichende Gründe vorlagen. Auch verweigerten sie die Genehmigung für geplante Demonstrationen und verletzten damit das Recht auf friedliche Versammlung.

Die Regierung führte weiterhin Beratungen zur Änderung des Gesetzes über Freiwilligendienste (Voluntary Social Service Organizations [Registration and Supervision] Act) durch. Die vorgeschlagenen Änderungen würden das Recht auf Vereinigungsfreiheit einschränken und könnten NGOs in ihrer Arbeit behindern. So würden u. a. langwierige Registrierungsverfahren sowie Geld- und Haftstrafen bei fehlender Registrierung eingeführt, und die Behörden hätten die Befugnis, NGOs zu suspendieren, zu verbieten oder aufzulösen.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Das gesamte Jahr über nahmen die Sicherheitskräfte Protestierende willkürlich und ohne Einhaltung eines ordnungsgemäßen Verfahrens fest. In einigen Fällen führten Personen in Zivil die Festnahmen durch, ohne dass ein Haftbefehl vorgelegt wurde und auf eine Weise, die Entführung gleichkam. Die Gründe für die Festnahme und der Ort der Inhaftierung wurden häufig nicht mitgeteilt. Diese Art der Festnahmen verletzten das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person sowie das Recht auf ein faires Verfahren. Die Inhaftierten standen nicht unter dem Schutz des Gesetzes und waren der Gefahr von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt.

Die Behörden nutzten den Ausnahmezustand und Strafgesetze, darunter das drakonische Antiterrorgesetz PTA und das Gesetz über staatliches Eigentum (Public Properties Act), um Proteste aufzulösen und die Teilnehmenden zu bestrafen. Demonstrierende, darunter Menschenrechtsverteidiger*innen, Gewerkschafter*innen und Studierende, wurden wegen der Teilnahme an "rechtswidrigen Versammlungen" angeklagt. Einige Demonstrierende wurden zudem mit Reiseverboten belegt oder wegen Straftaten im Zusammenhang mit zivilem Ungehorsam angeklagt.

Das PTA wurde exzessiv und auf unverhältnismäßige Weise gegen Demonstrierende eingesetzt. Im August 2022 genehmigte Präsident Ranil Wickremesinghe eine auf Grundlage des PTA ausgestellte Haftanordnung gegen Hashan Jeewantha, Galwewa Siridhamma Thero und Wasantha Mudalige, drei Anführer von Studierendenprotesten. Die Vorwürfe gegen Hashan Jeewantha wurden im Oktober fallen gelassen. Galwewa Siridhamma Thero kam im November gegen Kaution frei, während sich Wasantha Mudalige Ende 2022 noch in Haft befand.

Exzessive Gewaltanwendung

Im Laufe des Jahres 2022 gab es mehrere Fälle, in denen exzessive und unnötige Gewalt gegen Menschen angewandt wurde, die in langen Schlangen vor Tankstellen darauf warteten, sich mit Treibstoff versorgen zu können. Im Mai 2022 ermächtigte das Verteidigungsministerium die Streitkräfte, auf plündernde Personen oder "Personen, die anderen Schaden zufügen", zu schießen. Die Armee wurde mehrfach bei Protesten von Zivilpersonen eingesetzt.

Der routinemäßige missbräuchliche Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern gegen Unbeteiligte und Demonstrierende, darunter auch Kinder, führte bei einer Demonstration im Juli 2022 zu mindestens einem Todesfall. Bei mehreren Gelegenheiten wurde mit scharfer Munition auf Demonstrierende geschossen, wobei im April 2022 in Rambukkana eine Person getötet und über 20 Personen verletzt wurden. Im Juli erlitten in der Hauptstadt Colombo mehrere Demonstrierende durch Schüsse schwere Verletzungen. Ebenfalls im Juli 2022 griffen die Sicherheitskräfte Journalist*innen an, die über eine Demonstration vor der Residenz des Präsidenten berichteten. Der Angriff wurde im Fernsehen live übertragen.

Am 21. Juli 2022 führten Militär, Polizei und Spezialkräfte unangekündigt eine gemeinsame nächtliche Operation durch, um Protestierende, die vor dem Sitz des Präsidenten in Zelten schliefen, und einige wenige, die den Amtssitz besetzt hatten, gewaltsam zu vertreiben. Die Protestierenden sowie Journalist*innen, die über den Vorfall berichteten, wurden geschlagen. Das Gebiet wurde abgeriegelt, sodass keine weiteren Medien, Anwält*innen und Aktivist*innen Zugang erhielten. Berichten zufolge wurden bei der Aktion mehr als 50 Personen verletzt und neun Personen festgenommen. Einige der Festgenommenen gaben an, dass sie in der Haft gefoltert oder anderweitig misshandelt wurden.

Im Juli 2022 wurde ein Mann im Kandakadu Rehabilitation Centre getötet, einer Einrichtung in der Nord-Zentralprovinz, in der vor allem Drogenabhängige untergebracht sind. Eine Obduktion ergab, dass sein Tod auf Verletzungen zurückging, die man ihm am ganzen Körper mit einer stumpfen Waffe zugefügt hatte. Im Zusammenhang mit dem Vorfall wurden Angehörige der Streitkräfte festgenommen. Die Regierung brachte im September einen Gesetzentwurf zur Schaffung einer Behörde für Rehabilitation (Bureau of Rehabilitation Bill) ins Parlament ein, der die obligatorische Inhaftierung von "drogenabhängigen Personen" gegen ihren Willen in vom Militär betriebenen "Rehabilitations"-Zentren vorsieht.

Straflosigkeit

Das PTA, das in den vergangenen Jahren genutzt worden war, um Folter, Verschwindenlassen und lang andauernde Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren zu ermöglichen, wurde trotz eines von der Regierung zugesicherten Moratoriums weiterhin angewandt. Die im Jahr 2022 vorgenommenen Änderungen des PTA brachten das Gesetz nicht mit dem Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang, da es weiterhin die Inhaftierung von Verdächtigen ohne Anklage über lange Zeiträume hinweg ermöglicht und andere menschenrechtlich bedenkliche Bestimmungen enthält.

Die Behörden machten keine Fortschritte dabei, mutmaßlich Verantwortliche für Verstöße gegen internationale Menschenrechtsverträge und das humanitäre Völkerrecht während des internen bewaffneten Konflikts (1983–2009) in fairen Verfahren vor Gerichten der zivilen Justizbehörden zur Verantwortung zu ziehen. Auch in einigen emblematischen Fällen wurden keine nennenswerten Fortschritte erzielt. Da die Regierung Sri Lankas nicht dafür sorgte, dass die von Völkerrechtsverbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen betroffenen Personen Wiedergutmachung erhielten, verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat im Oktober 2022 eine neue Resolution zum Rechenschaftspflicht-Projekt des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR Sri Lanka accountability project). Mit der Resolution wurden das Mandat und die Kapazitäten im Hinblick auf das Projekt erweitert. Dieses zielt darauf, Informationen und Beweise für zukünftige Prozesse zu sammeln, zu konsolidieren, zu analysieren und zu sichern.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Das Vertrauen von Angehörigen der Opfer des internen bewaffneten Konflikts in die Arbeit der nationalen Behörden der Übergangsjustiz, einschließlich des Amts für vermisste Personen (Office on Missing Persons) und des Amts für Wiedergutmachung (Office for Reparations), sank, nachdem diese Mitglieder ernannt hatten, deren Unabhängigkeit angezweifelt wurde. Die Familien "Verschwundener" beklagten sich darüber, dass sie überwacht, eingeschüchtert und daran gehindert wurden, friedliche Proteste und Gedenkveranstaltungen abzuhalten. Sie seien zudem unter Druck gesetzt worden, finanzielle Entschädigungen und Sterbeurkunden anstelle von Vermisstenbescheinigungen (Certificates of Absence) zu akzeptieren, obwohl das Schicksal der "Verschwundenen" noch nicht geklärt war.

Die Regierung zeigte neuerliches Interesse an der Einsetzung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission, um den vom internen bewaffneten Konflikt Betroffenen Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zukommen zu lassen. Bis Ende 2022 war jedoch noch kein solcher auf den Ergebnissen öffentlicher Konsultationen zu Versöhnungsmechanismen basierender Prozess angestoßen worden.

Die innerstaatlichen Entschädigungsmechanismen wie z. B. die Nationale Menschenrechtskommission von Sri Lanka (HRCSL) waren weiterhin politisch beeinflusst. Im Oktober 2022 verabschiedete das Parlament eine Verfassungsänderung, die vorgeblich die Unabhängigkeit der Nominierungen für Schlüsselämter stärken sollte. Die Mitglieder des Gremiums, welches die Nominierungen vornehmen sollte, mussten jedoch von einer Mehrheit der Regierungsvertreter*innen gewählt werden, wodurch die Unabhängigkeit ihrer Nominierung fraglich war. Die Global Alliance of National Human Rights Institutions empfahl, den Status der HRCSL aufgrund ihrer mangelnden Unabhängigkeit und weiterer Bedenken herabzustufen.

Diskriminierung

LGBTI+

In einer wegweisenden Entscheidung stellte der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) im März 2022 fest, dass die Kriminalisierung einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen Frauen gemäß Abschnitt 365A des Strafgesetzbuchs von Sri Lanka (1883) gegen das Recht der Frauen auf Nichtdiskriminierung verstößt. Der CEDAW-Ausschuss forderte deshalb die Behörden auf, einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zu entkriminalisieren. Im August 2022 beantragte ein Parlamentsmitglied die Abänderung dieser strafgesetzlichen Bestimmungen, allerdings war diese sogenannte Private Member’s Bill bis zum Jahresende noch nicht durch die Regierung unterstützt worden.

Minderheiten

Angehörige muslimischer und tamilischer Minderheiten wurden nach wie vor unverhältnismäßig oft auf Grundlage des PTA strafrechtlich verfolgt. Selbst in Fällen, in denen Tatverdächtige gegen Kaution freikamen, wie im Fall von Hejaaz Hizbullah, Ahnaf Jazeem, Davaniya Mukunthan und Mohamed Imran, wurde ihre Lebensgrundlage weiterhin durch Auflagen beeinträchtigt, z. B. durch das Einfrieren ihres Vermögens und die Einschränkung ihrer existenzsichernden Tätigkeit.

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