Amnesty Report Österreich 24. April 2024

Österreich 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Leistungen der Sozialhilfe waren nach wie vor nicht angemessen. Es gab Einschränkungen beim Zugang zu sicheren und leistbaren Schwangerschaftsabbrüchen. Unbegleitete geflüchtete Kinder, die internationalen Schutz suchten, erhielten weiterhin keine Obsorge. Das Parlament verabschiedete ein Gesetz, mit dem eine Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibedienstete geschaffen wurde, doch gab es weiterhin Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit dieser Stelle. Die Polizei hinderte Journalist*innen an der Beobachtung von und Berichterstattung über Demonstrationen. Rechtswidrige Gewalt durch die Polizei blieb noch viel zu oft straflos. Die Maßnahmen zum Klimaschutz reichten nicht aus, um die Ziele, die sich Österreich gesetzt hatte, zu erreichen.

Recht auf soziale Sicherheit

Im Juni 2023 stellte die Regierung Maßnahmen zur Abfederung der gestiegenen Lebenshaltungskosten vor, darunter eine verstärkte Unterstützung für Familien, die von Armut betroffen waren und/oder Sozialhilfe/Mindestsicherung bezogen. Trotz wiederholter Forderungen aus der Zivilgesellschaft, ein neues Sozialhilfe-Grundsatzgesetz zu verabschieden, das internationalen Menschenrechtsnormen und -standards entspricht, wurden keine strukturellen Gesetzesänderungen verabschiedet, die das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard für Menschen, die Sozialhilfe/Mindestsicherung beziehen, hinreichend gewährleistet hätten. Im März 2023 erklärte der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes für verfassungswidrig, weil sie dem geltenden Sozialhilfe-Grundsatzgesetz widersprach.

Recht auf angemessenes Wohnen

Trotz entsprechender Forderungen durch NGOs unternahm die Regierung nichts, um eine nationale Wohnstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Die Stadt Wien erhöhte zwar die Kapazität in den Notunterkünften, doch waren noch immer nicht genügend Plätze vorhanden, um den Bedarf zu decken.

Rechte von Frauen und Mädchen

Im Jahr 2023 wurden insgesamt 26 mutmaßliche Femizide dokumentiert. Es herrschte weiterhin Besorgnis angesichts des Fehlens nachhaltiger Strategien zur Verhinderung derartiger Gewalt. Schwangerschaftsabbrüche waren weiterhin nicht vollständig entkriminalisiert. Der Zugang zu leistbaren und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen blieb beschränkt, insbesondere weil sie nicht vom staatlichen Gesundheitssystem abgedeckt waren. 

Die im Juni 2023 vom Bundesministerium für Soziales vorgelegte Pflegereform sah auch weiterhin weder eine faire Entlohnung noch eine ausreichende soziale Absicherung von sogenannten "24-Stunden-Betreuer*innen" vor, bei denen es sich in der Mehrheit um Migrant*innen handelte.

Recht auf friedliche Versammlung

Bei mehreren Protesten in der Bundeshauptstadt Wien hinderte die Polizei Journalist*innen an der Beobachtung und Berichterstattung. 

Politiker*innen schlugen öffentlich vor, Klimaaktivist*innen für ihre Form des Protests und des zivilen Ungehorsams zu kriminalisieren, insbesondere für das Blockieren von Straßen.

Am 11. Oktober 2023 verbot die Polizei eine pro-palästinensische Demonstration in Wien unter Verweis auf Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit. Die Demonstration fand trotz des Verbots statt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Oktober 2023 wurde ein Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt, das nicht den internationalen Standards entsprach, weil es die meisten Gemeinden von der Verpflichtung ausnahm, Informationen von öffentlichem Interesse proaktiv zu veröffentlichen.

Es gab eine besorgniserregende Zunahme von Angriffen auf die Pressefreiheit sowie von strategischen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP-Klagen) gegen Journalist*innen und Menschenrechtler*innen.

Rechte von geflüchteten Menschen und Migrant*innen

Nach wie vor verschwanden unbegleitete minderjährige Asylsuchende, ohne dass ihr Aufenthaltsort ermittelt werden konnte. Trotz eines bereits vorliegenden Gesetzesvorschlags des Justizministeriums erließ die Regierung jedoch auch 2023 keine bundesweiten Bestimmungen, um eine sofortige Obsorge für alle unbegleiteten geflüchteten Kinder unmittelbar nach ihrer Ankunft zu gewährleisten.

In seinem Bericht vom Juni 2023 bezeichnete das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe die Einrichtungen zur Unterbringung von Migrant*innen, die auf ihre Abschiebung warteten, als "stark verfallen, baufällig und schmutzig".

Diskriminierung

Die Strafverfolgungsbehörden setzten weiterhin ohne eindeutige Rechtsgrundlage Technologien zur Gesichtserkennung ein, ungeachtet der potenziell diskriminierenden Auswirkungen aufgrund von Geschlechtszuschreibung oder Zuschreibung zu ethnischen Minderheiten.

Österreich sorgte auch 2023 nicht für menschenrechtskonforme Antidiskriminierungsgesetze auf Bundes- und Länderebene.

Nach Angaben von zwei NGOs nahm die Zahl der gemeldeten antisemitischen und antimuslimischen Übergriffe im Laufe des Jahres zu.

Rechte von Inhaftierten

Im Juni 2023 äußerte das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe Besorgnis angesichts der Bedingungen in österreichischen Gefängnissen. Kritisiert wurden u. a. die psychiatrische Versorgung, die Praxis der Einzelhaft sowie die Behandlung von Jugendlichen.

Exzessive Gewaltanwendung die durch Polizei

Polizeikräfte wurden für die Anwendung rechtswidriger Gewalt auch 2023 nicht ausreichend zur Rechenschaft gezogen. Im März machte die Polizei auf einer Klimademonstration in Wien unnötigen und unverhältnismäßigen Gebrauch von Pfefferspray und Schlagstöcken. Der Nationalrat verabschiedete ein Gesetz, das die Einrichtung einer Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei vorsah, es gab jedoch Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Stelle, die ihre Arbeit 2024 aufnehmen sollte. Für die Polizei bestand nach wie vor keine Kennzeichnungspflicht, was die Rechenschaftspflicht weiterhin erschwerte.

Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

Das Bundesverwaltungsgericht hatte das gesamte Jahr über keine formale Führung. Andere leitende Ämter innerhalb der Justiz blieben ebenfalls vakant, wodurch der Anscheinsverdacht der Postenschieberei bestand. 

In Ermangelung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft hatte weiterhin die Justizministerin das Weisungsrecht über die Staatsanwaltschaften.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Österreich verfehlte seine Klimaziele, insbesondere was die nachhaltige Reduzierung der Kohlenstoffemissionen anging. Auch 2023 wurde kein neues Klimaschutzgesetz beschlossen.

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