Amnesty Report 28. März 2023

Nordmazedonien 2022

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

Es wurden Gesetze zum Schutz von Journalist*innen und der Medienfreiheit vorgeschlagen. Ein Gesetz, das Frauen vor Gewalt schützen soll, wurde nicht vollständig umgesetzt. Die Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen nahmen durch Hassreden weiter zu. Mindestens 18.000 Flüchtlinge und Migrant*innen wurden nach Griechenland zurückgeschoben.

Hintergrund

Bulgarien widersetzte sich weiterhin einer möglichen EU-Mitgliedschaft Nordmazedoniens. Das Nachbarland machte geltend, dass die Geschichte, kulturelle Identität und Sprache Nordmazedoniens bulgarisch seien. Eine von Frankreich vorgeschlagene Lösung des Konflikts sah vor, die in Nordmazedonien lebende bulgarische Minderheit zum ersten Mal in der Verfassung des Landes anzuerkennen und ihre Rechte zu garantieren. Dies stieß in Nordmazedonien auf politischen Widerstand und führte im Juli 2022 zu großen Protesten. Im September 2022 leitete die Europäische Kommission den Screening-Prozess im Hinblick auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft ein.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Mehr als 20 Jahre nach Ende des internen bewaffneten Konflikts wurden immer noch mindestens 22 Personen vermisst.

Im Juli 2022 wurde der frühere Ministerpräsident Nikola Gruevski in Abwesenheit zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er 1,3 Mio. Euro veruntreut und gewaschen haben soll.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im Juli 2022 wurden Reformvorschläge für das Strafgesetzbuch vorgelegt, die Bestimmungen zum Schutz der Rechte von Journalist*innen beinhalteten. Unter anderem sollten Angriffe auf Journalist*innen und Morde an ihnen in Zukunft schärfer geahndet und die Behörden zum Einleiten von Strafverfahren verpflichtet werden.

Folter und andere Misshandlungen

Im Mai 2022 wurde ein als "GP" bekannter Polizist in einem Wiederaufnahmeverfahren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Damit war er der erste Polizist, der in Nordmazedonien wegen Misshandlung eine Freiheitsstrafe verbüßen musste. GP war im Jahr 2020 dabei gefilmt worden, wie er auf den am Boden liegenden Rom Nevzat Jasharov eintrat.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Jahr 2022 wurden zwei Frauen von Familienangehörigen getötet. Das Gesetz über die Verhütung von und den Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt aus dem Jahr 2021 war noch nicht vollständig umgesetzt worden. Die Behörden hatten keine einschlägigen Verordnungen, Budgets und Verfahrensweisen eingeführt, und die Polizei handelte oft nur zögerlich.

Nach scharfer Kritik durch Frauenrechtsorganisationen wurde im Februar 2022 der gegen Pale Ilovska erhobene Vorwurf des Totschlags in Notwehr umgeändert. Sie hatte ihren Mann, einen Polizisten, im September 2021 erstochen, als er sie schlug, trat und zu erwürgen versuchte. Nachbar*innen und Verwandte sagten aus, dass sie die Gewalttaten des Mannes schon oft bei der Polizei angezeigt hätten, die jedoch nicht reagiert habe.

Im März 2022 erschien ein Bericht der Gruppe für die Rechte von Rom*nja aus Šuto Orizari, einem Vorort der Hauptstadt Skopje. Dieser zeigte auf, dass die niedrige Anzeigenquote bei häuslicher Gewalt auf strukturelle Diskriminierung zurückzuführen war, darunter Armut, unzureichender Zugang zu medizinischer Versorgung sowie Misstrauen gegenüber NGOs und Behörden.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Aufgrund mangelnder parlamentarischer Unterstützung zog die Regierung im März 2022 abrupt den von NGOs unterstützten Gesetzentwurf über die Anerkennung der Geschlechtsidentität aus dem Jahr 2021 zurück, der vorsah, dass trans Menschen ihre Geschlechtsidentität durch ein vereinfachtes notarielles Verfahren offiziell anerkennen lassen können. Ein neuer Entwurf des Gesetzes wurde für 2023 erwartet.

Im Mai 2022 wurde Bekim Asani, der Leiter der in der Stadt Tetovo ansässigen NGO LGBT United, von vier Männern verbal attackiert, als er mit seiner Mutter am Grab seines Vaters saß. Einer der Männer griff ihn tätlich an. Im August wurde er zweimal angegriffen – in einem der Fälle wurde der Täter zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, der andere Fall war Ende 2022 noch anhängig.

Rund um die zehnte Pride-Veranstaltung in Skopje im Juni 2022 kam es vermehrt zu Hassreden und Beleidigungen im Internet.

Diskriminierung

Das Helsinki-Komitee mahnte, dass interethnische Hassreden in den Sozialen Medien gegen Gesetze verstießen, die die Verbreitung rassistischer Inhalte im Internet verbieten. NGOs und internationale Akteur*innen äußerten sich besorgt über die weit verbreitete diskriminierende Rhetorik, die durch Bulgariens Widerstand gegen den möglichen EU-Beitritt Nordmazedoniens noch verstärkt wurde.

Rom*nja

Das Europäische Zentrum für die Rechte der Roma war mit Diskriminierungsklagen gegen Kommunalbehörden erfolgreich: In einem Fall hatten die Behörden von Skopje Rom*nja-Kinder von anderen Kindern getrennt, in einem anderen hatten die Behörden von Prilep Rom*nja-Gemeinschaften den Zugang zu sauberem Wasser verweigert. Im Dezember 2022 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass eine Schule in Bitola und eine weitere in Štip ebenfalls das Recht von Rom*nja-Kindern auf Nichtdiskriminierung verletzt hatten, indem sie diese von anderen Kindern trennten.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Mehr als 20.591 Flüchtlinge und Migrant*innen kamen 2022 nach Nordmazedonien; bis zum 30. Oktober hatten 65 von ihnen Asyl beantragt. Über 18.000 Flüchtlinge und Migrant*innen wurden nach Griechenland zurückgeschoben. Von vielen waren zuvor im Transitzentrum Vinojug die biometrischen Daten erhoben worden, wie 44 Personen im Juli berichteten.

Im August 2022 wurden 35 Personen verletzt, als ein Lastwagen umkippte, in dem 49 Syrer*innen versteckt waren. Von Januar bis Oktober vereitelte die Polizei eigenen Angaben zufolge 83 Fälle von Migrant*innenschleusung. Mindestens 619 Personen wurden widerrechtlich bis zu 24 Tage lang inhaftiert, weil man sie als Zeug*innen gegen mutmaßliche Schleuser*innen betrachtete.

Recht auf Leben

Im Dezember 2022 begann das Verfahren gegen zwei Klinikmanager und einen Arzt, die für den Tod von zwölf Patient*innen und zwei besuchenden Angehörigen bei einem Brand in der Covid-19-Abteilung eines Krankenhauses in Tetovo im Jahr 2021 verantwortlich gemacht werden.

Umweltzerstörung

Im April 2022 wurde ein Bericht der NGO Bankwatch veröffentlicht, der basierend auf 2021 erhobenen Daten dokumentierte, wie sich die Emissionen des Braunkohlekraftwerks, der Tagebaue und der Aschehalden nahe der Stadt Bitola auf die Gesundheit der lokalen Bevölkerung auswirkten. Die Staub- und Schwefeldioxidemissionen überstiegen regelmäßig die gesetzlichen Grenzwerte und die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation. Bis Ende 2022 hatte die Regierung noch keine Maßnahmen zur Senkung der Emissionen ergriffen.

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