Kosovo* 2021

Wand in der Hauptstadt Pristina mit den Namen von "Verschwundenen" während des Kosovo-Kriegs (Archivbild)
© ARMEND NIMANI/AFP/Getty Images
- Hintergrund
- Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
- Verschwindenlassen
- Sexualisierte Gewalt im Krieg
- Gewalt gegen Frauen und Mädchen
- Recht auf freie Meinungsäußerung
- Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen
- Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)
- Diskriminierung – Rom_nja, Ashkali und Ägypter_innen
- Veröffentlichung von Amnesty International
*Diese Bezeichnung bedeutet keine Anerkennung eines bestimmten Status und steht im Einklang mit Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats und dem Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs zur Gültigkeit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos.
Berichtszeitraum: 01. Januar bis 31. Dezember
Die Verfahren vor den 2016 in Den Haag eingerichteten Kosovo-Sonderkammern (Kosovo Specialist Chambers) wurden 2021 fortgesetzt. Journalist_innen waren mit indirektem Druck und Gewalt im Internet konfrontiert. Kosovarische Gerichte sprachen das erste Urteil wegen sexualisierter Gewalt im Krieg. Die institutionalisierte Nachlässigkeit im Umgang mit häuslicher Gewalt blieb weiterhin straflos. Ein Wasserkraftunternehmen zog Verleumdungsklagen zurück, die darauf abgezielt hatten, Protestierende mundtot zu machen.
Hintergrund
Nach vorgezogenen Neuwahlen im Februar 2021 kam die Partei Lëvizja Vetëvendosje! an die Macht und löste die Regierung von Avdullah Hoti ab. Das Parlament wählte Vjosa Osmani zur Staatspräsidentin.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Im September 2021 begann das Verfahren gegen Salih Mustafa, den Befehlshaber einer Einheit der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK), dem willkürliche Festnahme, grausame Behandlung, Folter und Mord vorgeworfen wurden. Das Basisgericht in Pristina/Pristinë verurteilte den ehemaligen Reservepolizisten Goran Stanišić wegen 1999 an ethnischen Albaner_innen verübten Kriegsverbrechen zu 20 Jahren Haft.
Verschwindenlassen
Nach wie vor wurden mehr als 1.600 Personen vermisst. Im Juni 2021 wurden elf Leichname von Kosovo-Albaner_innen aus einem Massengrab in der Kiževak-Mine in Serbien exhumiert. Im September wurden die sterblichen Überreste von sieben Kosovo-Albaner_innen an die kosovarischen Behörden übergeben. Die kosovarischen Behörden übergaben die sterblichen Überreste dreier Serb_innen an die serbischen Behörden.
Sexualisierte Gewalt im Krieg
Die erste Verurteilung wegen sexualisierter Gewalt im Krieg erging im Kosovo durch das Basisgericht Pristina/Pristinë gegen den früheren kosovo-serbischen Polizisten Zoran Vukotić, der wegen der Vergewaltigung einer 16-Jährigen im Jahr 1999 zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.
Bis Dezember 2021 hatte eine Regierungskommission 1.048 der 1.618 Antragsteller_innen den Status von Überlebenden sexualisierter Gewalt im Krieg zugesprochen, obwohl sich die Zahl der von der NGO Medica Gjakova betreuten Vergewaltigungsopfer auf mehr als 4.500 belief.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Fälle institutioneller Nachlässigkeit im Umgang mit häuslicher Gewalt gingen weiterhin straflos aus. Die Femizide an Sebahate Morina und Marigona Osmani lösten öffentliche Proteste gegen geschlechtsspezifische Gewalt aus. Die Ombudsperson machte die staatlichen Institutionen dafür verantwortlich, Sebahate Morinas Recht auf Leben verletzt zu haben, weil die Behörden wenige Tage vor der Ermordung von Sebahate Morina durch ihren Ex-Mann eine von ihrer Tochter erstattete Anzeige wegen häuslicher Gewalt ignoriert hätten. Kosovarische Gerichte verhängten einmal lebenslänglich und einmal 25 Jahre Haft in Femizidfällen. Gegen einen Richter und einen Staatsanwalt liefen Disziplinarverfahren, weil sie den Vergewaltiger einer 15-Jährigen lediglich zu acht Monaten Haft verurteilt hatten.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Drei Ärzt_innen wurden bestraft, weil sie "ohne Erlaubnis und zum Schaden des Rufs der Einrichtung" mit den Medien über Praktiken in der Kardiologie einer staatlichen Klinik gesprochen hatten. Zwei von ihnen wurden für drei Jahre von Beförderungen oder Gehaltserhöhungen ausgeschlossen, während einer eine dreimonatige Gehaltskürzung um 40 Prozent hinnehmen musste.
Journalist_innen
Journalist_innen waren mit Drohungen, indirektem Druck, Einschränkungen, Gewalt im Internet und Übergriffen konfrontiert. Im Februar 2021 wurde der Journalist Visar Duriqi von Unbekannten verletzt. Im Oktober wurden Journalist_innen von Protestierenden attackiert, als sie über einen Polizeieinsatz in Mitrovica berichteten. Im Dezember verurteilte das Basisgericht in Pristina/Pristinë zwei Angeklagte zu Hausarrest, weil sie den Journalisten Vehbi Kajtazi bedroht hatten.
Menschenrechtsverteidiger_innen
Amnesty International forderte das österreichische Wasserkraftunternehmen Kelkos Energy auf, die Verleumdungsklagen gegen die Aktivist_innen Shpresa Loshaj und Adriatik Gacaferi zurückzuziehen, die die Umweltbelastung durch die Aktivitäten des Unternehmens im Kosovo kritisiert hatten. Kelkos Energy zog die Anzeigen im Oktober 2021 zurück.
Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen
Die Regierung erklärte sich bereit, Unterkünfte und vorübergehenden Schutz für bis zu 2.000 aus Afghanistan Evakuierte bereitzustellen, die auf ihre Neuansiedlung in anderen Aufnahmeländern warteten. Die in den Lagern untergebrachten afghanischen Staatsangehörigen konnten sich außerhalb der Unterkünfte nicht frei bewegen, und Besuche von Medienschaffenden oder anderen Beobachter_innen waren nur eingeschränkt möglich.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)
Die Regierung nahm den Entwurf für ein Zivilgesetzbuch an, das die Möglichkeit für gleichgeschlechtliche eingetragene Partnerschaften unter einer separaten gesetzlichen Regelung schaffen würde.
Diskriminierung – Rom_nja, Ashkali und Ägypter_innen
Rom_nja, Ashkali und Ägypter_innen hatten auch 2021 nur eingeschränkten Zugang zu Trinkwasser sowie zum Arbeitsmarkt. Sie sahen sich außerdem im Hinblick auf den Online-Unterricht für ihre Kinder während der coronabedingten Schulschließungen mit Hürden konfrontiert.
Im Zuge einer zivilgesellschaftlichen Petition sprach die Regierung der Familie von Kujtim Veseli, einem elfjährigen Ashkalijungen, der 2019 mehrfach vergewaltigt und schließlich ermordet worden war, Schadenersatz in Höhe von 20.000 Euro zu. Monate vor dem Mord hatte der Täter der Polizei gestanden, dass er Kujtim vergewaltigt habe; er war jedoch weder festgenommen noch inhaftiert worden. Die Ombudsperson stellte die Verletzung von Kujtim Veselis Recht auf Leben fest.