Amnesty Report Guatemala 07. April 2021

Guatemala 2020

Ein Zimmer in einem Krankenhaus mit grünlichen Wänden und zwei Betten. Eine Frau mit gelbem Schutzanzug und Maske rechts im Bild verschiebt einen Tisch für medizinisches Besteck.

In einem Krankenhaus in Guatemala werden Covid-19-Vorkehrungen getroffen (März 2020).

Tausende Menschen wurden wegen Verstößen gegen die im März 2020 von der Regierung verhängte Ausgangssperre inhaftiert, mit der die Ausbreitung des Corona-Virus eingedämmt werden sollte. Medizinisches Personal musste seine Arbeit während der Pandemie unter schwierigen Bedingungen verrichten, häufig ohne persönliche Schutzausrüstung und in einigen Fällen auch ohne Arbeitsverträge oder Entlohnung. Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen nahmen zu, und der Kongress verabschiedete ein Gesetz, das das Recht auf Verteidigung der Menschenrechte bedroht.

Recht auf Freizügigkeit

Am 4. März 2020 erklärte die Regierung als Reaktion auf die Corona-Pandemie den "Katastrophenzustand" (Estado de calamidad), dem am 16. März Grenzschließungen und eine obligatorische Ausgangssperre folgten. Angaben der Behörden zufolge wurden während der ersten sechs Monate nach Einführung dieser Bestimmungen mehr als 40.000 Personen wegen Verstößen gegen die Ausgangssperre inhaftiert. Laut Medienberichten waren davon Menschen betroffen, die keine andere Wahl hatten, als weiter in der informellen Wirtschaft zu arbeiten. Es wurde zudem berichtet, dass die Polizei am 17. Juni während der Ausgangssperre in der Hauptstadt Guatemala-Stadt eine außergerichtliche Hinrichtung verübt habe.

Recht auf Gesundheit – Medizinisches Personal

Im Gesundheitssektor beschäftigte Personen arbeiteten während der Pandemie unter prekären Bedingungen und beklagten sich wiederholt über einen Mangel an persönlicher Schutzausrüstung in den Krankenhäusern. Anfang Mai 2020 berichtete eine Gruppe von Ärzt_innen des im Industriepark (Parque de la Industria) von Guatemala-Stadt errichteten provisorischen Krankenhauses zur Versorgung von Covid-19-Patient_innen, dass sie seit Beginn der Pandemie ohne Arbeitsverträge und Bezahlung gearbeitet hätten. 

Recht auf Nahrung und Zugang zu Trinkwasser

Die Lockdown-Maßnahmen verschärften die ohnehin schon prekäre wirtschaftliche Situation vieler Haushalte in Guatemala. Das Land wies bereits zuvor eine der höchsten Raten chronischer Unterernährung bei Kindern in der Region auf. Menschen in Not machten mit an ihren Fenstern angebrachten weißen Fahnen darauf aufmerksam, dass sie keine Nahrungsmittel hatten, oder standen in langen Schlangen an, um eine kostenlose warme Mahlzeit von Solidaritätsinitiativen wie der Olla comunitaria (Bürgersuppenküche) in Guatemala-Stadt zu erhalten. Die Ombudsperson und die Medien berichteten, dass mehrere Stadtviertel und Gemeinden keinen Zugang zu sauberem Wasser hatten, sodass diese Menschen während der Corona-Pandemie nicht die notwendigen Hygienemaßnahmen ergreifen konnten. Die Orkane Iota und Eta hatten im November 2020 verheerende Auswirkungen auf mehr als zwei Millionen Menschen. Es wurde befürchtet, dass sich die Nahrungsmittel- und Hygienekrise noch weiter verschlimmern könnte.

Rechte von Migrant_innen 

Mehr als 41.000 Guatemaltek_innen, die vor Gewalt, Armut und Ungleichheit aus ihrem Land geflohen waren, waren bis November 2020 aus Mexiko oder den USA nach Guatemala zurückgeführt worden. Die ersten für die Aufnahme der Rückkehrer_innen errichteten provisorischen Unterkünfte, in denen sie auch auf das Corona-Virus getestet wurden, erfüllten nicht immer die Mindestanforderungen an die Unterbringung von Menschen.

Menschenrechtsverteidiger_innen 

Laut Angaben der lokalen Menschenrechtsorganisation Unidad de Protección a Defensoras y Defensores de Derechos Humanos Guatemala (UDEFEGUA) nahmen die Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen im Vergleich mit den Vorjahren zu. Bis zum 15. Dezember 2020 wurden insgesamt 1.004 Angriffe verzeichnet. Besonders gefährdet waren Personen, die sich für Landrechte und Umweltschutz einsetzten.

Neben dieser Personengruppe waren auch Frauen, die die sexuellen und reproduktiven Rechte verteidigten, sowie Personen, die gegen Straflosigkeit und Korruption kämpften, Ziele unbegründeter Strafanzeigen und -verfahren. Um sie wegen ihrer Aktivitäten zu schikanieren und zu bestrafen, wurde das Strafrechtssystem missbraucht. Der Ombudsmann sah sich mit mehreren Strafanzeigen und Aufforderungen zur Amtsenthebung als Repressalie für seine Aktivitäten konfrontiert.

Im September 2020 erhöhte ein Berufungsgericht die Haftstrafe des gewaltlosen politischen Gefangenen Bernardo Caal Xol, der seit Januar 2018 seiner Freiheit beraubt war, weil er die Rechte der indigenen Gemeinschaften verteidigt, die durch die Errichtung des Wasserkraftwerksprojekts Oxec beeinträchtigt werden. 
In der Regel blieb der Großteil der Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen straffrei. Ende 2020 hatte Guatemala die vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2014 angeordneten erforderlichen politischen Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger_innen noch nicht in die Wege geleitet.

Trotz zahlreicher Bedenken, die von UN-Menschenrechtsgremien und internationalen sowie guatemaltekischen Organisationen geäußert wurden, änderte der Kongress im Februar 2020 das NGO-Gesetz. Das Dekret 4-2020 sieht zusätzliche Auflagen für die Arbeit von NGOs vor und könnte damit zu ihrer willkürlichen Schließung führen. Die Umsetzung des Dekrets wurde jedoch durch ein vor dem Verfassungsgericht noch anhängiges Rechtsmittel gestoppt.

Unverhältnismäßige Gewaltanwendung

Am 21. November 2020 wandten die Sicherheitskräfte unverhältnismäßige Gewalt an, um Proteste in Guatemala-Stadt zu unterdrücken. Tränengas und Wasserwerfer wurden auf unnötige und wahllose Weise gegen Protestierende und Unbeteiligte eingesetzt, und Dutzende Personen, darunter auch Journalist_innen, wurden unter Einsatz von Gewalt festgenommen.

Straflosigkeit

Der Kampf gegen Straflosigkeit in Fällen von Korruption und Menschenrechtsverletzungen war nach wie vor in Gefahr. Bei mehreren Gelegenheiten wurden gegen Staatsanwält_innen, Einzelrichter_innen (jueces) und Richter_innen an Kollegialgerichten (magistrados), die sich mit emblematischen Fällen des Kampfes gegen die Straflosigkeit befassten, grundlose Strafanzeigen erstattet und Verleumdungskampagnen in den Medien geführt, die darauf abzielten, sie zu diskreditieren.

Der Kampf gegen die Straflosigkeit stand auch im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen um die Auswahl der neuen Richter_innen für den Obersten Gerichtshof und die Berufungsgerichte. Das seit 2019 anhängige Auswahlverfahren wurde aufgrund eines weiteren Korruptionsskandals und Verzögerungen bei der Abstimmung im Kongress erneut aufgeschoben.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Trotz des hohen Ausmaßes geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen bestand ein Mangel an Finanzierungsmitteln für temporäre Schutzunterkünfte, die als Centros de Apoyo Integral para Mujeres Sobrevivientes de Violencia (CAIMUS) bekannt sind. Dies wurde von zivilgesellschaftlichen Organisationen angeprangert. Gleichzeitig protestierten sie gegen die Absicht der Regierung, das Präsidialsekretariat für Frauen (Secretaría Presidencial de la Mujer – SEPREM) zu schließen und es durch eine nachrangige Kommission zu ersetzen.

Die Untersuchung des Todes von 41 Mädchen bei einem Brand im staatlich betriebenen Kinderschutzhaus Virgen de la Asunción im März 2017 ist weiterhin anhängig. Von den Beschuldigten oder Verdächtigen war Ende 2020 noch niemand verurteilt worden.

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