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Eigene Toleranz trifft koloniale Queerfeindlichkeit
Ein öffentliches Leben: Transpersonen wie die Politikerin Geraldine Roman werden auf den Philippinen akzeptiert.
© Romeo Ranoco / Reuters
Die philippinische Gesellschaft begegnet trans Personen seit jeher mit großer Offenheit. Doch der starke Einfluss der katholischen Kirche verhindert ein umfassendes Anti-Diskriminierungsgesetz.
Von Felix Lill
Im Mai 2016 schrieb Geraldine Roman Geschichte. Die schlanke Frau mit schulterlangem braunem Haar, die auf öffentlichen Auftritten stets Perlenkette und sorgfältig aufgetragenen Lippenstift trug, war ins nationale Parlament gewählt worden. Besonders daran war aber nicht ihr äußeres Erscheinungsbild, sondern ihre Geschlechtsidentität: Mit Roman hatte sich die Provinz Bataan für eine trans Frau als künftige Volksvertreterin entschieden.
Als die Philippinen im Frühjahr 2022 ein neues Parlament wählten, trat Geraldine Roman, die sich vehement für Gleichstellungspolitik einsetzt, ein zweites Mal an – und gewann erneut. "Dein Geschlecht wird nur dann zu einem Thema, wenn du es zu verstecken versuchst", sagte die liberale Politikerin. "Ich bin glücklich. Warum sollte ich mich schämen?" Längst ist die heute 56-jährige Politikerin zu einer Ikone für queere Personen geworden – nicht nur in den Philippinen, sondern weltweit.
Roman ist bei Weitem nicht die einzige Identifikationsfigur. In dem südostasiatischen Land mit seinen 110-Millionen Einwohner*innen gibt es zahlreiche trans Personen, die auf ähnliche Weise als Vorbild gelten könnten: Trans Frauen und Männer sind in den Philippinen als Manager*innen einer Bank oder als Journalist*innen sichtbar oder haben in der Forschung Erfolg. Als Geraldine Roman das erste Mal ins Parlament einzog, fragte daher die Schweizer Zeitung NZZ am Sonntag: "Ist die philippinische Gesellschaft die Zukunft?"
Was die Offenheit gegenüber diversen Genderidentitäten angeht, wäre es der Welt zu wünschen. Aber der Eindruck stimmt nur teilweise. Fragt man Brenda Alegre, herrscht in den Philippinen in vielerlei Hinsicht Transfeindlichkeit: "Trans Personen werden leider regelmäßig diskriminiert: auf dem Arbeitsmarkt, in der Öffentlichkeit und sogar im Hinblick auf ihre körperliche Unversehrtheit."
Brenda Alegre ist gebürtige Filipina und arbeitet als Sozialpsychologin an der University of Hongkong, wo sie zu Gender Studies und Transidentitäten in Asien lehrt. Selbst trans Frau, berichtet Alegre ihren Studierenden häufig von Gewaltattacken gegen trans Personen. Der bekannteste Fall ereignete sich 2014, als ein US-Soldat die 26-jährige Jennifer Laude erwürgte. "2020 wurde der Mörder von unserem damaligen Präsidenten Rodrigo Duterte sogar begnadigt!" Auch im vergangenen Jahr gab es wieder mindestens drei Morde an trans Personen. In Bezug auf die relative Häufigkeit von Morden schneiden die Philippinen im internationalen Vergleich sogar eher schlecht ab.
Passive Präsidenten
Ein umfassendes Gleichstellungsgesetz, das nicht zuletzt Politikerin Roman vorangetrieben hat, konnte trotz mehrerer Anläufe nicht verabschiedet werden. "Anders als europäische Länder haben wir bis heute kein umfassendes Anti-Diskriminierungsgesetz. Und die katholische Kirche ist die wichtigste Gegnerin eines solchen Gesetzes", sagt Brenda Alegre.
Rund 90 Prozent der philippinischen Bevölkerung sind katholisch – und der dominanten Ansicht dieser im Land höchst einflussreichen Kirche zufolge ist Transsein eine Sünde. So ist das Land auf rechtlicher Ebene eher ein Nachzügler. Trans Personen genießen weder umfassenden rechtlichen Schutz noch können sie ihre Identität ohne großen bürokratischen Aufwand offiziell anerkennen lassen. Der Zensus erfasst bis heute nur zwei Geschlechter, sodass es kaum Statistiken zu trans Personen gibt.
Als im Jahr 2019 ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung verabschiedet wurde, das auch homofeindliche Beleidigungen unter Strafe stellt, feierten Menschenrechtsaktivist*innen dies als einen kleinen und verspäteten Sieg. Zumal dies nicht etwa auf Initiative des damals regierenden Populisten Rodrigo Duterte geschah, sondern eher trotz dessen Präsidentschaft. Duterte, wie auch dessen seit 2022 regierender Freund und Nachfolger Ferdinand Marcos Junior, haben sich kaum für die Rechte von queeren oder trans Personen eingesetzt. "Marcos ist der Sohn eines Diktators, und seine höchste Priorität ist es, den Namen seiner Familie reinzuwaschen. Damit das gelingt, braucht er die Unterstützung der katholischen Kirche", sagt Brenda Alegre. Zwar habe Marcos Junior kurz vor seiner Wahl zum Präsidenten gesagt, er "glaube ehrlich nicht, dass LGBT-Themen in den Philippinen polarisierend sind. Ich glaube, wir sind da viel offener." Dass er aber ein Anti-Diskriminierungsgesetz in Angriff nehmen wird, glaubt Brenda Alegre trotzdem nicht. Marcos Junior werde die katholische Kirche nicht gegen sich aufbringen wollen. Größere rechtliche Fortschritte erwartet die Expertin erst dann, wenn sich die Philippinen durch Vorstöße westlicher Staaten, an denen sich das Land bis heute orientiert, zum Aufholen gedrängt sehen.
Dass trans Personen in den Philippinen trotzdem kein Leben im Schatten führen müssen, ist umso erstaunlicher. Immer wieder machen sie positive Schlagzeilen, und nicht nur wenn sie Beauty Contests gewinnen. Mit Ice Seguerra gehört ein trans Mann zu den beliebtesten Sängern. Die trans Frau Jom Bagulaya wurde 2016 in der zentralphilippinischen Stadt Tacloban in das lokale Parlament gewählt. Früher als in vielen anderen Ländern gründete sich in den Philippinen zudem eine LGBT Chamber of Commerce, die auch trans Personen auf dem Arbeitsmarkt und bei der Unternehmensgründung unterstützt.
Den Widerspruch zwischen relativer gesellschaftlicher Offen- und gleichzeitig rechtlicher Verschlossenheit erklärt sich Brenda Alegre durch die koloniale Vergangenheit des Landes. "Traditionell existieren in den Philippinen mehr als zwei Geschlechter. Die Frage männlich oder weiblich wurde eher fließend betrachtet. Die sehr deutliche rechtliche Diskriminierung haben die spanischen Kolonialherren ab dem 16. Jahrhundert installiert."
Dennoch habe es der Kolonialismus trotz 400 Jahren Dominanz nicht geschafft, die jahrhundertealte gesellschaftliche Toleranz vollends zu zerstören. "Trans Personen werden auch heute noch oft als 'bakla' bezeichnet, was sich ungefähr mit 'schwuler Mann' übersetzen ließe, aber eigentlich viel mehr umfasst, nämlich auch eine Art drittes Geschlecht", erklärt Alegre. So haben trans Personen zwar auch auf den Philippinen mit Vorurteilen und Diskriminierung zu kämpfen. "Aber immerhin weiß jeder, was eine trans Person ist. Jeder hat schon eine gesehen."