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"Seit 15 Jahren gehört die Zensur zu meinem Leben"
Die Töchter des Richters sind von der Protestwelle elektrisiert; ihre Mutter versucht, sie von der Straße fernzuhalten.
© Films Boutique / Alamode Film
In seinem neuen Film "Die Saat des heiligen Feigenbaums" verarbeitet Mohammad Rasoulof seine Erfahrungen mit der iranischen Justiz. Vor einigen Monaten gelang es ihm, aus dem Iran zu fliehen.
Interview: Jürgen Kiontke
Sie sind auf der Flucht. Wie geht es Ihnen?
Eine schwierige Frage! Die letzte Zeit war für mich sehr turbulent und intensiv. Es ist wie Schlafen und Wachsein gleichzeitig. Unterm Strich geht es mir gut. Ich konzentriere mich darauf, meine Arbeit zu vollenden. Die aktuellen Konflikte lassen mich nicht kalt. Ich behalte mir aber immer den Blick auf die Zukunft. Kürzlich war ich in Kyjiw und habe gesehen, wie die Menschen dort leben. Das Leben geht trotz starker Beeinträchtigungen weiter.
Was hat Sie dorthin geführt?
Ich war Jury-Mitglied beim Kyiv International Film Festival. Meine Botschaft war, dass es einen Unterschied gibt zwischen iranischer Republik und iranischer Bevölkerung. Denn jeden Abend waren in Kyjiw die iranischen Drohnen zu hören, die von russischer Seite eingesetzt werden. Wir Iraner sind aber gegen diese Eskalation der Gewalt.
Wie sieht es derzeit im Iran aus?
Das Wichtigste ist das Öl. Wer das Öl hat, hat das Geld und damit die Macht. Das bedeutet: Das Regime hat die Macht, die Menschen und ihre Proteste zu unterdrücken. Außerdem sehen sie sich als Vertreter Gottes, das macht alles ein wenig kompliziert. Andererseits haben die Menschen durch das Internet Zugang zur Außenwelt. Das Regime erhält weniger Unterstützung als früher, das hat sich vor allem in den vergangenen fünf Jahren gezeigt.
Mohammad Rasoulof, 52, Filmemacher aus dem Iran. Seine Filme laufen auf internationalen Festivals und wurden vielfach ausgezeichnet.
© Films Boutique / Alamode Film
Iranische Filme sind international erfolgreich. Aber die Filmteams werden oft bei der Arbeit und vor allem bei der Ausreise behindert. Wie steht das iranische Regime zum Kino?
Die Zensur ist ein schmaler Grat. Es gibt Filme, die eine Produktionsgenehmigung bekommen, aber dann nicht veröffentlicht werden dürfen. Die Filmemacher schicken ihre Arbeiten aber dennoch zu den Festivals. Vor allem junge Regisseure verlieren zusehends den Respekt. Sie wollen die Realität abbilden. Einiges ist auch leichter geworden. Vor 20 Jahren musste man sich die Kameras noch von den Behörden leihen und das Filmmaterial von den entsprechenden Institutionen erwerben. Da gab es natürlich jede Menge Auflagen. Heute kann man Filme mit dem Handy drehen und am eigenen PC schneiden. Ich würde sagen: Filmemachen ist immer noch schwierig, aber nicht unmöglich.
Die Bundesregierung hat kürzlich die iranischen Konsulate in Deutschland geschlossen. War das eine gute Idee?
Einerseits ja. Andererseits haben normale Menschen dadurch mehr Probleme im Alltag. Ich frage mich, ob es eine bessere Lösung gegeben hätte. Maßnahmen sollten demokratisch und nachhaltig sein. Das ist nicht die passende Maßnahme. Denn je schwächer die Bevölkerung ist, desto stärker ist das Regime.
Sie waren im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert und haben dort einen leitenden Angestellten mit Gewissensbissen kennengelernt, der zum Vorbild für eine Figur in Ihrem neuen Film wurde. Was hat Sie dazu gebracht, das Filmgeschehen aus der Perspektive eines klassischen Mitläufers zu erzählen?
Die Zensur gehört seit 15 Jahren zu meinem Alltag. Sicherheitsbehörden, Richter, Justizangestellte – das ist meine Welt. Ich bin mit diesen Menschen mittlerweile ziemlich vertraut und weiß, wie sie ticken. Bei Verhören saß ich meinem Ermittler direkt gegenüber, manchmal waren meine Augen verbunden. Oder ich musste in Richtung Wand sitzen und hatte den Ermittler in meinem Rücken. Ich habe mich immer gefragt, woher die Ergebenheit dieser Leute gegenüber ihrem Dienstherrn kommt? Auf Farsi heißt das Wort für "Ergebenheit" so viel wie "den Kopf aufgeben". Man lässt also andere für sich denken. Aber warum gibt ein Mensch sich selbst auf? In meinen beiden letzten Filmen habe ich versucht, das zu ergründen. Dabei hat sich herausgestellt: Wenn diese Personen in einem "gesunden" System arbeiten würden, würden zwar nicht alle, aber viele korrektes Verhalten zeigen. Das Regime treibt den gewöhnlichen Menschen zu Untaten.
Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
"Die Saat des heiligen Feigenbaums". D/F/IRN 2024. Regie: Mohammad Rasoulof, mit Misagh Zareh und Soheila Golestani. Offizieller Kinostart: 26. Dezember 2024. Ein Special-Screening des Films (OmU) in Kooperation mit Amnesty International Deutschland e.V. findet in Berlin am 13.12.2024 um 19 Uhr statt – mehr Infos & Tickets gibt es hier.
HINTERGRUND
Mohammad Rasoulof, 52, ist ein Filmemacher aus dem Iran. Seine Filme laufen auf internationalen Festivals und wurden vielfach ausgezeichnet. Mit "Doch das Böse gibt es nicht" gewann er 2020 den Wettbewerb der Berlinale, durfte aber nicht dorthin reisen. Sein Filmschaffen ist ein entschiedenes Statement gegen die Eingriffe des Staates. Sein Leben war von Arbeitsverboten, Hausarrest und Gefängnisaufenthalten geprägt. 2022 wurde er inhaftiert, nachdem er gemeinsam mit anderen Künstlern gegen Polizeigewalt protestiert hatte. Nachdem er eine weitere Haftstrafe zu befürchten hatte, floh er 2024 aus dem Iran.
Der Staatsanwalt Iman – bisher mit minder schweren Delikten befasst – glaubt, er hat das große Los gezogen. Man hat ihn zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht berufen. Die berufliche Karriere ist mit gesellschaftlichem Aufstieg verbunden: Die Familie erhält eine größere Wohnung und wird mehr Geld haben. Doch bald stellt sich heraus: Die Beförderung soll den bis dahin wenig beeinflussbaren Juristen kaltstellen. Das Sagen hat der Leitende Staatsanwalt, der Iman die Todesurteile ohne Akteneinsicht zur Unterzeichnung vorlegt.
Währenddessen finden im ganzen Land große Demonstrationen statt, weil Jina Mahsa Amini auf einer Polizeiwache gestorben ist. Die Religionspolizei hatte die junge Frau festgenommen, weil sie ihren Schleier angeblich nicht richtig trug. Der rüde Umgang mit Amini führt zu wochenlangen Protesten. Imans Job besteht nun darin, den ganzen Tag ungeprüfte Todesurteile zu unterschreiben. Imans Töchter stellen sich schnell auf die Seite des von jungen Leuten getragenen Protests. Was ihr Vater tagsüber macht, wissen sie nicht. Spätestens als seine Dienstwaffe verschwunden ist, wird Iman immer gewalttätiger.
Rechtsbeugung, Korruption und skrupelloser Machterhalt sind die Themen dieses Films, in dessen Verlauf auch der zunächst ehrliche, dann mörderische Beamte Iman dem System erliegt.
"Die Saat des heiligen Feigenbaums". D/F/IRN 2024. Regie: Mohammad Rasoulof, mit Misagh Zareh und Soheila Golestani. Kinostart: 26. Dezember 2024