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Gemeinsam für die Freiheit schreiben
Die russische Künstlerin Aleksandra Skochilenko protestierte im März 2022 in einem Supermarkt in St. Petersburg gegen die russische Invasion der Ukraine, indem sie Preisschilder durch Anti-Krieg-Slogans ersetzte.
© privat
Im Dezember findet zum 21. Mal der Amnesty-Briefmarathon statt. Dabei schreiben Tausende Menschen weltweit Briefe, um gefährdete Menschenrechtsverteidiger*innen zu unterstützen: in diesem Jahr unter anderem Aleksandra Skochilenko aus Russland und Vahid Afkari aus dem Iran.
Von Hannah El-Hitami
Das gemeinsame Schreiben ist eines der wichtigsten Druckmittel von Amnesty International: Aktivist*innen setzen sich mit Briefen für Menschen ein, deren Rechte verletzt werden und schicken Solidaritätsnachrichten an Menschenrechtsverteidiger*innen in Gefahr. Einmal im Jahr gipfeln diese Bemühungen im Briefmarathon. Unter dem Motto "Schreib für Freiheit" fordert Amnesty seine Unterstützer*innen in aller Welt dazu auf, für besonders gefährdete Menschen massenweise Briefe zu schreiben, Mails zu schicken, in den Online-Netzwerken zu posten. Dieser Einsatz führt sehr oft zu positiven Entwicklungen. In diesem Jahr hat Amnesty 13 Menschenrechtsverteidiger*innen ausgewählt, die dringend Unterstützung brauchen – sei es, um ihre Haftbedingungen zu verbessern, ihre Freilassung zu erwirken, oder ihnen mit einer Flut von Briefen zu zeigen, dass sie nicht allein sind.
Der iranische Aktivist Vahid Afkari
© Amnesty International
Einer dieser Fälle ist 2022 der Iraner Vahid Afkari, der seit mehr als vier Jahren zu Unrecht inhaftiert ist. Er nahm in seiner Heimatstadt Shiraz an friedlichen Protesten teil, die 2018 das ganze Land erfasst hatten. Zehntausende gingen damals gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption auf die Straße und forderten die Freilassung politischer Gefangener. Im September 2018 wurde Afkari zusammen mit seinem Bruder Navid festgenommen. Beide wurden monatelang psychisch und körperlich gefoltert, um sie zu Geständnissen zu zwingen. Die zahlreichen Vorwürfe, die gegen die beiden Männer erhoben wurden, entsprachen größtenteils keinen international anerkannten Straftatbeständen. Anklagen wie "Störung der öffentlichen Ordnung", "Verdorbenheit auf Erden" oder "Beleidigung des Religionsführers" werden im Iran häufig benutzt, um die Ausübung der Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu kriminalisieren. Am schwersten wog der Vorwurf, die Brüder hätten einen Sicherheitsbeamten ermordet. In mehreren Verfahren, die keinerlei rechtsstaatliche Standards erfüllten, bestritten sie die Tat und widerriefen immer wieder "Geständnisse", die sie unter Folter gemacht hatten.
Ungeachtet dessen, und obwohl das Gericht keinerlei Beweise gegen sie vorbringen konnte, wurden sie verurteilt: Vahid zu 33 Jahren und neun Monaten Haft sowie 74 Stockhieben, sein Bruder Navid zum Tode. Auch ein weiterer Bruder, Habib, der sich nach ihnen erkundigt hatte, wurde inhaftiert und zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Isoliert, kein Freigang, keine medizinische Versorgung
Am 12. September 2020 wurde Navid Afkari hingerichtet. Da beide Brüder in unmittelbarer Nähe zueinander im Todestrakt des Adelabad-Gefängnisses in Shiraz inhaftiert waren, konnte Vahid hören, wie sein Bruder abgeführt, geschlagen und schließlich erhängt wurde. Er selbst sitzt noch immer in einer fensterlosen Zelle – isoliert von anderen Gefangenen, ohne Freigang und ohne medizinische Versorgung. "Ich weiß nicht, wie ich mich noch verteidigen soll und wie ich Menschen um Hilfe bitten soll", teilte er in einer Sprachnachricht mit. "Ich kann nichts anderes tun, als mich immer wieder auf das Recht zu berufen und an Logik und Vernunft zu appellieren." Im März berichtete Afkari seiner Familie, dass Wärter ihm einen Arm gebrochen hätten, nachdem er sie gebeten hatte, einen anderen politischen Gefangenen nicht in Isolationshaft zu nehmen.
Trotz seiner niederschmetternden Lage setzt Vahid Afkari sich auch weiterhin für andere ein: Er bat darum, beim Briefmarathon die Aufmerksamkeit nicht nur auf seinen Fall, sondern auch auf weitere politische Gefangene im Iran zu richten, deren Namen und Geschichten nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Dass der internationale Druck zumindest teilweise wirkt, zeigt das Schicksal seines Bruders Habib: Er wurde im März dieses Jahres nach Druck von Amnesty International, seiner Familie sowie von Aktivist*innen im Iran und weltweit freigelassen.
Briefe unterstützen emotional
Selbst wenn Appelle nicht unmittelbar zu einer Freilassung führen, so macht die Masse an Solidaritätsbriefen für die Betroffenen einen großen emotionalen Unterschied. Das zeigt der Fall der russischen Künstlerin Aleksandra ("Sasha") Skochilenko, für die sich Amnesty seit Monaten einsetzt und die auch beim Briefmarathon unterstützt werden soll. "Mir kommen vor Dankbarkeit die Tränen, wenn ich an euch alle denke, die aufstehen und sich für mich einsetzen", schrieb Sasha Skochilenko in einem Brief aus dem Gefängnis im April 2022. "Meine Kläger haben Macht und Geld, doch ich habe etwas viel Wertvolleres: Freundlichkeit, Empathie, echte Liebe und enorme Unterstützung von Menschen aus aller Welt."
Die russische Künstlerin Aleksandra (Sasha) Skochilenko
© Amnesty International
Seit dem 13. April sitzt die russische Künstlerin in einem Gefängnis in St. Petersburg. Der Grund: eine Kunstaktion gegen den Krieg. Skochilenko schreibt Lieder, zeichnet Comics und Zeichentrickfilme, organisiert Konzerte und Jamsessions. Ende März tauschte sie in einem Supermarkt in ihrer Heimatstadt die Etiketten der Produkte gegen Zettel aus, auf denen Informationen über Russlands Invasion in die Ukraine standen, zum Beispiel über die Toten nach der Bombardierung des Theaters von Mariupol. Kaum zwei Wochen später durchsuchte die Polizei Skochilenkos Wohnung und nahm sie fest. Man wirft ihr vor, wissentlich falsche Informationen über den Einsatz der russischen Streitkräfte verbreitet zu haben. Das ist in Russland illegal – laut Artikel 207.3 des Strafgesetzbuches, der Anfang März überstürzt eingeführt wurde, um Kritik an der russischen Invasion in die Ukraine zu stoppen.
"Sasha ist im Gefängnis, weil die Unterdrückung in unserem Land seit Beginn des Krieges noch schlimmer ist als zuvor", sagt ihre Partnerin Sofia Subbotina. "Die Behörden wollen eine Stimmung schaffen, in der keiner es wagt, sich öffentlich gegen den Krieg auszusprechen."
Sonia Subbotina mit einem Porträt ihrer Partnerin, der Künstlerin Aleksandra Skochilenko (St. Petersburg, Juni 2022).
© Amnesty
Die Untersuchungshaft ist für die 32-jährige Künstlerin besonders gefährlich, da sie unter Zöliakie leidet und auf eine spezielle Diät angewiesen ist. Dennoch erhielt sie im Gefängnis lange Zeit keine adäquaten Mahlzeiten und durfte keine privaten Nahrungspakete entgegennehmen. Inzwischen erhält sie einmal am Tag eine glutenfreie Mahlzeit, muss darüber hinaus aber hungern. Zudem wurde sie von ihren Mitgefangenen im Auftrag der Gefängnisleitung schikaniert und vom Essen abgehalten. Erst massive Kritik, auch der russischen Öffentlichkeit, führte dazu, dass sie in eine andere Zelle verlegt wurde und sich ihre Haftbedingungen ein wenig verbesserten.
Jedoch wurde ihre Untersuchungshaft verlängert, ihre Partnerin darf sie nicht besuchen. Freund*innen von Skochilenko, die sich auf einer Website für ihre Freilassung einsetzen, fürchten, dass der Stress die psychisch erkrankte Künstlerin schwer beeinträchtigen könnte. In Russland ist Skochilenko für ein Buch über Depressionen bekannt. Es wurde in mehrere Sprachen übersetzt, verfilmt und wird von Psycholog*innen bei Behandlungen eingesetzt. Dass sie mit Kunst das Beste aus dunkelsten Situationen holt, hat Skochilenko schon mehrfach gezeigt. "Egal, wie sehr meine Kläger mich durch den Dreck ziehen, erniedrigen und den unmenschlichsten Bedingungen aussetzen, ich werde nur Strahlendes, Unglaubliches und Schönes aus dieser Erfahrung ziehen", schreibt sie in einem Brief. Sie habe bereits angefangen, einen Comic über ihre Haft zu zeichnen.
Hannah El-Hitami ist freie Journalistin und lebt in Berlin.
Bis zum 22. Dezember 2022 kannst du dich im Briefmarathon 2022 für Menschen in Not und Gefahr einsetzen.