Amnesty Journal 24. Juli 2020

Hätte, hätte, Lieferkette

Auf einem Foto von drei Donuts ist eine Grafik einer Palme, von der ein Tropfen fällt. Zudem ist eine Ortsmarke abgemildet und dahinter steht "Palmölplantage in Guatemala"

Bei der Herstellung von Palmöl in Guatemala, dem Abbau von Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo und ­anderen industriellen Vorprodukten spielen die Menschen- und Arbeitsrechte der Beschäftigten oft kaum eine Rolle. Lieferkettengesetze in Europa sollen das ändern.

Von Hannes Koch

Der Höhepunkt der Globalisierung dürfte vorerst überschritten sein. Die Folgen der Corona-Pandemie behindern internationale Flüge, Kreuzfahrten und weltweite Wertschöpfungsketten. Doch schon lange zuvor wurden die globalen Handelsverflechtungen kritisiert – aus den Blickwinkeln der Ökologie sowie der Menschen- und Arbeitsrechte. Dabei sind in den vergangenen Jahren gewisse Fortschritte zu verzeichnen. So müssen mittlerweile in Deutschland größere Unternehmen belegen, ob sie menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für die Arbeitsbedingungen in den weltweiten Zulieferfabriken wahrnehmen. Das Entwicklungs- und das Arbeitsministerium bereiten ein Lieferkettengesetz vor. Auf europäischer Ebene beginnt ein ähnlicher Regulierungsversuch. Welche Probleme gibt es in den Zulieferketten, und wie lautet die politische Antwort darauf?

Beispiel: Kobalt aus dem Kongo

Die Bürgerrechts- und Anwaltsorganisation International Rights Advocates reichte Ende 2019 bei einem Gericht in Washington Klage gegen die US-Konzerne Apple, Alphabet (Google), Dell, Microsoft und Tesla ein. Dabei geht es um die Arbeitsbedingungen in Kobaltminen in der Demokratischen Republik Kongo. Das Metall wird unter anderem in Lithium-Ionen-Batterien für Computer, Smartphones und Elektroautos verwendet.

Die Anwälte vertreten 14 Kinder oder deren Angehörige, die beim Einsturz von Stollen in Kobaltminen getötet oder verstümmelt wurden. Die Arbeitsbedingungen seien "steinzeitlich", heißt es in der Klage. Der Tageslohn betrage ein bis zwei Dollar. Die verklagten Firmen profitierten von diesen Produktionsbedingungen und schützten die Kinder nicht. Apple und Dell beteuerten gegenüber der britischen Zeitung Guardian, sie würden sich für faire Arbeitsbedingungen einsetzen.

Gäbe es in Europa Lieferkettengesetze, müssten die hiesigen Ableger der US-Konzerne nachweisen, was sie tun, um Menschenrechtsverletzungen in den Minen zu vermeiden. Verstöße wären leichter einklagbar und könnten zu hohen Schadenersatz- und Strafzahlungen führen.

Beispiel: Palmöl aus Guatemala

2019 analysierte die Christliche Initiative Romero (CIR) die Produktion von Palmöl in dem mittelamerikanischen Staat. Hersteller in Guatemala beliefern u.a. die belgische Firma Vandemoortele, die wiederum Produkte an den deutschen Konzern Edeka verkauft.

Laut Recherchen von CIR betreiben manche Palmölplantagen in Guatemala Landraub, indem sie der örtlichen Bevölkerung landwirtschaftliche Flächen wegnehmen. Wälder werden abgeholzt, Flüsse umgeleitet. Dadurch trocknen Brunnen aus, die Qualität des Trinkwassers verschlechtert sich. Auf den Plantagen kommt es zu Vergiftungen von Beschäftigten durch Pestizide.

Vandemoortele und Edeka betonen, sie tolerierten keine Verstöße gegen Menschen- und Arbeitsrechte. Allerdings sind diese Bemühungen freiwillig, weil internationale Menschenrechtsstandards politisch und rechtlich zu wenig durchgesetzt werden. Eine Lieferkettenregulierung in Europa könnte Verbesserungen bewirken. Edeka müsste dann überprüfen, ob die Menschenrechtspolitik seines Lieferanten Vandemoortele in Guatemala wirksam ist. Außerdem wäre der Einzelhändler verpflichtet, einen Beschwerdemechanismus einzurichten, damit sich Beschäftigte in der Palmölproduktion in Guatemala an die Edeka-Zentrale in Hamburg wenden können.

Arbeiter in weißen Schutzanzügen und mit Schutzbrillen sitzen nebeneinander in Reihen an Arbeitsplätzen und stellen Elektronikbauteile her, während eine Vorgesetze in einem neongelben Anzug sie beaufsichtigt.

 

Was Deutschland tut

In diesem Sommer müsste es zum Schwur kommen. Mitte Juli sollen die Endergebnisse einer Befragung von Unternehmen durch die Bundesregierung präsentiert werden. Hält sich die Mehrheit der Firmen an den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte? Haben deutsche Lebensmittel-, Textil- und Autohersteller vernünftige Pläne ausgearbeitet, wie sie für Arbeitssicherheit und ausreichende Bezahlung bei ihren Zulieferern in aller Welt sorgen wollen?

Für den Fall, dass das Ergebnis der zweiten Befragung ähnlich schlecht ausfällt wie bei der ersten Runde Ende 2019, drohen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit einem Lieferkettengesetz. Der Entwurf ist fertig, wurde aber noch nicht veröffentlicht.

Allerdings sickerte Anfang 2019 ein Gesetzentwurf aus dem Entwicklungsministerium durch. Demnach sollen hiesige Unternehmen mit über 250 Beschäftigten und mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz interne Analysen durchführen, wo menschenrechtliche Risiken in ihren Produktionsketten liegen. Jede Firma bräuchte einen "Compliance-Beauftragten", der oder die dafür sorgt, die Sorgfaltspflichten einzuhalten. Ausländischen Beschäftigten soll ein Beschwerdemechanismus in der Firma zur Verfügung stehen. Whistleblower müssten geschützt werden. Verstöße würden mit Bußgeldern bis zu fünf Millionen Euro, Freiheitsstrafen und dem Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge geahndet.

Die Aussichten, dass das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode bis Herbst 2021 verabschiedet wird, sind nicht gut. Wegen der Corona-Krise könnte es Müller und Heil schwerfallen, ein Gesetz durchzubringen, das viele Unternehmen, Verbände und das Bundeswirtschaftsministerium als zusätzliche Belastung empfinden. Ab 2022 müsste dann ein neuer Anlauf stattfinden.

Was in Europa passiert

Didier Reynders, der belgische EU-Kommissar für Justiz, kündigte Ende April 2020 ein europäisches Lieferkettengesetz für das kommende Jahr an. Es soll Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards verpflichten und Sanktionen ebenso wie Klagemöglichkeiten für Betroffene vorsehen. Die Regulierung müsse Teil des Green Deals der EU werden, sagte Reynders, und eine Rolle im Aufschwung nach der Corona-Krise spielen.

Käme es dazu, ginge diese Regelung weit über den bisherigen Stand hinaus. 2017 wurde die EU-Konfliktmineralien-Verordnung beschlossen, die 2021 auch für Deutschland in Kraft tritt. Sie regelt den Import von Zinn, Wolfram, Tantal und Gold aus Konfliktregionen wie der Demokratischen Republik Kongo. Minen- und Schmelzfirmen müssen nachweisen, dass es nicht zu Zwangs- und Kinderarbeit kam und im Zusammenhang mit dem Abbau keine Kriegsverbrechen begangen wurden. Lieferketten für andere Rohstoffe oder Produkte werden von dieser Regulierung jedoch nicht erfasst. Daneben existiert eine europäische Richtlinie, die Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten zu einer gewissen Berichterstattung über ihre Corporate Social Responsibility (CSR) verpflichtet. Die Firmen haben weiten Spielraum, wie sie dem nachkommen.

Wenn es gut läuft, verstärken sich die Prozesse in Deutschland und Frankreich, wo es bereits ein Lieferkettengesetz gibt, und der europäische Ansatz gegenseitig. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab Juli böte der Bundesregierung die Gelegenheit, Impulse zu setzen. Vielleicht aber wirkt sich auch die Reynders-Initiative positiv auf die Entwicklung in Deutschland aus.

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