Amnesty Journal Syrien 03. Juni 2024

Kämpfer mit Worten

Das Bild zeigt das Porträtfoto eines Mannes

Der syrische Aktivist Omar Al Shogre (undatiertes Foto)

Omar Al Shogre überlebte drei Jahre in den Gefängnissen des syrischen Regimes. Heute spricht er weltweit über seine Erlebnisse, um eine Normalisierung des Machthabers Baschar al-Assad zu verhindern. 

Von Lena Khalifa

Wer Omar Al Shogre heute trifft, kann sich seinen Zustand vor zehn Jahren kaum vorstellen. Der mittlerweile 28-jährige Syrer war damals schon über ein Jahr in der berüchtigten Abteilung 215 des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert. Wie Hunderttausende Syrer*innen war er wegen der Teilnahme an Protesten gegen das Assad-Regime festgenommen worden, insgesamt siebenmal nahmen sie ihn mit. Seine längste Haft beim Geheimdienst und im Sednaya-Gefängnis dauerte drei Jahre. Währenddessen sah er zwei seiner Cousins sterben, litt an Tuberkulose, wurde täglich gefoltert und wog schließlich nur noch 34 Kilogramm.

Heute lebt Al Shogre in Stockholm und in Washington. Er reist um die Welt, arbeitet mit Regierungen und Strafverfolgungsbehörden zusammen und erzählt Aktivist*innen und Interessierten aus der Zivilgesellschaft von seiner Zeit als politischer Gefangener in Syrien. Vom Jugendlichen, der die Haft knapp überlebte, ist er zu einem der prominentesten internationalen Sprecher im Dienste der syrischen Revolution geworden. "Meine Mitgefangenen haben mir damals gesagt: Wenn du überlebst, erzähle unsere Geschichte", erinnert sich Al Shogre bei einem Treffen in Stuttgart. Vielleicht berühre seine Geschichte ja genug Menschen, um etwas zu verändern. "Darüber zu sprechen ist das Mindeste, was ich tun kann."

YouTube-Video einer Rede von Omar Al Shogre bei den Vereinten Nation:

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Vielen Menschen fällt es nicht leicht, immer wieder von ihren traumatischen Erlebnissen zu erzählen. Al Shogre sieht es hingegen als glücklichen Zufall an, dass er gerne öffentlich spricht: "Ich war im Gefängnis und muss darüber berichten. Gleichzeitig genieße ich es, auf der Bühne zu stehen." Der Aktivist ist beruflich "Speaker" – nicht nur zum Thema Syrien. Unternehmen beauftragen ihn auch, über Trauma als Antriebskraft oder Mitarbeiter*innenführung zu reden. Darin hat er Expertise, und die merkt man ihm an: Er spricht sehr kontrolliert, wählt seine Worte mit Bedacht, stellt rhetorische Fragen und zeichnet mit seinen Worten Bilder. Wenn ein Satz nicht aufgeht, fängt er ihn lieber noch einmal von vorne an. Mit seiner klaren Ausdrucksweise und seinem gepflegten, seriösen Auftreten hat er es unter anderem in den UN-Sicherheitsrat, vor den US-Senat und in die Harvard Law School geschafft.

Doch Al Shogre kämpft nicht nur mit Worten für eine gerechtere Zukunft in Syrien. Er gehört zum Leitungsteam der Syrian Emergency Task Force. Die US-Organisation will eine Normalisierung des Assad-Regimes verhindern und unterstützt die Aufarbeitung und Dokumentation von Völkerrechtsverbrechen in Syrien. Juristische Fortschritte gab es in den vergangenen Jahren einige: Die Prozesse gegen ehemalige syrische Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland, der Haftbefehl Frankreichs gegen Machthaber Baschar al-Assad oder die Verurteilung syrischer Folter durch den Internationalen Gerichtshof. "Wir Syrer*innen sammeln diese kleinen Erfolge und hoffen, dass sie alle zusammen auf lange Sicht eine Diktatur stürzen können, die Menschen tötet, um an der Macht zu bleiben", sagt Al Shogre.

Manchmal interveniert seine Task Force auch auf huma­nitärem Wege. So gelang es ihr vor einigen Monaten, Hilfsgüter in das Flüchtlingslager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze zu liefern. Das Assad-Regime hatte das Lager jahrelang von Hilfslieferungen abgeschnitten. Weil es in der Nähe eines US-Militärstützpunktes liegt, konnten Al Shogre und seine ­Kolleg*innen die US-Regierung schließlich dazu bewegen, ­Hilfsgüter nach Rukban zu fliegen. "Darauf sind wir sehr stolz", sagt er.

Omar Al Shogre reiste Ende November 2023 auf Einladung von Amnesty International durch Deutschland. Die Tour mit Stationen in Stuttgart, Ulm, Ellwangen, Karlsruhe und Berlin wurde von der Amnesty-Länderkogruppe Syrien koordiniert. Die Gruppe organisiert Aktionen und informiert über Syrien: www.amnesty-syrien.de.

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