Pressemitteilung Aktuell Ukraine 26. August 2022

Russische Schauprozesse gegen Kriegsgefangene in Mariupol wären illegal und inakzeptabel

Das Bild zeigt einen Käfig aus massiven Stahlstreben

Das Videostandbild zeigt, wie in der Philharmonie der von Russland besetzten ukrainischen Stadt Mariupol ein Stahlkäfig errichtet wird. Dort sollen Schauprozesse gegen ukrainische Kriegsgefangene stattfinden (August 2022).

+++ Diese Pressemitteilung wurde am 29. August 2022 um 14:07 Uhr mit einer deutschen Übersetzung aktualisiert. +++

Amnesty International kritisiert die berichteten Bestrebungen der russischen Behörden und von Russland unterstützten bewaffneten Gruppen, Schauprozesse gegen ukrainische Kriegsgefangene vor einem sogenannten "internationalen Tribunal" in Mariupol einzuleiten als illegal und missbräuchlich. Das humanitäre Völkerrecht verbietet die Einrichtung von Gerichten ausschließlich für Kriegsgefangene. Kriegsgefangene vorsätzlich ihres Rechts auf ein faires Verfahren zu berauben, stellt ein Kriegsverbrechen dar

In den vergangenen Tagen sind in den Sozialen Medien verschiedene Berichte und Bilder aufgetaucht, die zeigen sollen, wie Käfige in der Philharmonie der ukrainischen Stadt Mariupol errichtet werden. Diese sind offenbar für Gefangene gedacht, die vor Gericht gestellt werden sollen. Das Crisis Evidence Lab von Amnesty International hat bestätigt, dass Bilder, die vom Stadtrat von Mariupol auf Facebook gepostet wurden, aus dem Inneren der Philharmonie von Mariupol stammen.

Das Völkerrecht verbietet es dem Gewahrsamsstaat, Kriegsgefangene wegen der Teilnahme an Kampfhandlungen oder wegen rechtmäßiger Kriegshandlungen, die im Verlauf eines bewaffneten Konflikts begangen wurden, strafrechtlich zu verfolgen. Gemäß des Dritten Genfer Abkommens haben Kriegsgefangene, die eines Verbrechens angeklagt werden, das Recht auf verfahrensrechtliche Garantien und ein faires Verfahren, das nur vor einem regulär gebildeten Gericht erfolgen darf.

"Alle Versuche russischer Behörden, ukrainische Kriegsgefangene vor sogenannte 'internationale Tribunale' zu stellen, die von bewaffneten Gruppen unter der effektiven Kontrolle Russlands in Mariupol eingerichtet wurden, sind rechtswidrig und inakzeptabel", so Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa and Zentralasien von Amnesty International.

"Das humanitäre Völkerrecht verbietet die Einrichtung von Gerichten ausschließlich für Kriegsgefangene. Kriegsgefangene vorsätzlich ihres Rechts auf ein faires Verfahren zu berauben – und genau das hat Russland vor –, stellt ein Kriegsverbrechen dar. In den Genfer Abkommen ist auch klar festgelegt, dass Kriegsgefangene nicht strafverfolgt werden dürfen, weil sie an Kriegshandlungen teilgenommen haben.



 

Bewaffnete russischen Soldaten durchsuchen auf einer Straße unbewaffente ukrainische Soldaten, die sich ergeben haben.

Aufnahme aus einem Video des russischen Verteidigungsministeriums, das zeigt, wie sich ukrainische Truppen in der Stadt Mariupol russischen Streitkräften ergeben (17. Mai 2022).

Mit der Inszenierung derartiger Schauprozesse macht Russland als Besatzungsmacht das juristische Verfahren zu einer Farce und verwandelt die Gerichte in Propagandainstrumente.

Diese 'Tribunale' in Mariupol stattfinden zu lassen, ist besonders grausam, wenn man bedenkt, dass Russland die Stadt vor ihrer Einnahme im Mai unerbittlich angegriffen, belagert und sie in ein Trümmerfeld verwandelt hat. Amnesty International hat einen russischen Luftangriff auf das Theater in Mariupol untersucht und ist zu dem Schluss gekommen, dass russische Streitkräfte gezielt Zivilpersonen angegriffen haben. Dies stellt eindeutig ein Kriegsverbrechen dar ."

Rechte ukrainischer Kriegsgefangener

Die russischen Streitkräfte und die von Russland unterstützten bewaffneten Gruppen müssen unabhängigen Beobachter*innen uneingeschränkten Zugang zu ukrainischen Kriegsgefangenen gewähren. Amnesty International teilt die Befürchtungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, dass ukrainische Kriegsgefangene ohne Zugang zu unabhängigen Beobachter*innen festgehalten werden, "wodurch sie der Gefahr ausgesetzt sind, gefoltert zu werden, um ein Geständnis zu erzwingen".

Amnesty International teilt auch die Sorge des UN-Hochkommissariats, dass öffentliche Äußerungen von offizieller russischer Seite, in denen ukrainische Kriegsgefangene als 'Kriegsverbrecher' bezeichnet werden, unmittelbar die Unschuldsvermutung untergraben, die eine grundlegende Garantie für ein faires Verfahren darstellt.

In den vergangenen Jahren hat Amnesty International in Russland wiederholt Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren dokumentiert. Dazu gehören weit verbreitete Folter, das Fälschen von Beweismaterial sowie Fälle politisch motivierter Strafverfolgung. Noch mehr Anlass zur Sorge geben 'Gerichtsverfahren' durch bewaffnete Gruppen in russisch besetzten Gebieten in der Ukraine.

Das Bild zeigt eine große Halle, und die Silhouette einer Person mit Waffe

Amnesty International hat bereits zuvor zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch diese Gruppen dokumentiert, seit diese unter russischer Führung die Kontrolle über Teile der Ostukraine übernommen haben. Zu den Menschenrechtsverletzungen zählen Entführungen, Tötungen, rechtswidrige Freiheitsberaubung, Folter und andere Misshandlungen sowie die Unterdrückung Andersdenkender.

Amnesty International fordert auch eine sofortige internationale Untersuchung anderer mutmaßlicher Kriegsverbrechen, darunter die Explosion im Dorf Olenivka am 29. Juli, bei der mehr als 50 ukrainische Kriegsgefangene getötet wurden. Sie befanden sich in Gewahrsam der Streitkräfte der sogenannten 'Volksrepublik Donezk' in der Ostukraine. Die russischen Behörden müssen internationalen Ermittler*innen unbedingt gestatten, den Ort zu besuchen, um eine umfassende Untersuchung einzuleiten.

Das dritte Genfer Abkommen

Die Artikel 82 bis 108 des Dritten Genfer Abkommens schützen Kriegsgefangene, gegen die ein Strafverfahren läuft. Gemäß Artikel 84 dürfen sie nur von Gerichten verurteilt werden, die die "allgemein anerkannten wesentlichen Garantien der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit" bieten.

Darüber hinaus heißt es in Artikel 13: "Die Kriegsgefangenen sind jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln. Jede unerlaubte Handlung oder Unterlassung seitens des Gewahrsamsstaates, die den Tod oder eine schwere Gefährdung der Gesundheit eines in ihrem Gewahrsam befindlichen Kriegsgefangenen zur Folge hat, ist verboten und als schwere Verletzung des vorliegenden Abkommens zu betrachten. Die Kriegsgefangenen müssen ferner jederzeit geschützt werden, namentlich auch vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung, Beleidigungen und der öffentlichen Neugier."

Rechenschaftspflicht für Kriegsverbrechen

Amnesty International hat seit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar wiederholt Kriegsverbrechen durch die russischen Streitkräfte dokumentiert. Alle bisherigen Berichte und Statements von Amnesty International zum völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind hier zu finden. 

Amnesty International hat wiederholt gefordert, die für die Verstöße verantwortlichen russischen Streitkräfte zur Rechenschaft zu ziehen, und hat die laufenden Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in der Ukraine begrüßt. Eine umfassende Rechenschaftspflicht in der Ukraine erfordert konzertierte Bemühungen seitens der Vereinten Nationen und ihrer Organe sowie Initiativen auf nationaler Ebene nach dem Weltrechtsprinzip.

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