Amnesty Report Philippinen 29. Januar 2020

Philippinen 2019

Fotos von getöteten Menschen liegen nebeneinander an einer Gedenkstätte, dazwischen Blumen

Fotos von Opfern des vom philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte ausgerufenen "Kriegs gegen Drogen" (Manila, 9. Dezember 2019)

Berichtszeitraum: 1. Januar bis 31. Dezember 2019

Auch im vierten Jahr des von der Regierung erklärten "Anti-Drogenkriegs" wurden zahlreiche Menschen von der Polizei und unbekannten Bewaffneten getötet. Der Internationale Strafgerichtshof setzte seine Vorermittlungen zu den auf den Philippinen begangenen möglichen völkerrechtlichen Verbrechen fort. Im Kongress gab es erneut Bemühungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe. Immer häufiger wurden Menschenrechtsverteidiger_innen, die Kritik an der Regierung übten, verunglimpft und schikaniert. Unter dem Klima der Straflosigkeit stieg auch die Zahl der Tötungen von Aktivist_innen wegen ihrer politischen Ansichten weiter an. In einer im Juli 2019 verabschiedeten Resolution forderte der UN-Menschenrechtsrat die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte dazu auf, im Jahr 2020 erneut über die Lage der Menschenrechte auf den Philippinen zu berichten.

Außergerichtliche Hinrichtungen und Straflosigkeit

Im Zuge des von der Regierung erklärten "Anti-Drogenkriegs" begingen Polizei und unbekannte Bewaffnete weiterhin Tötungen. Im Juni 2019 bestätigte der Chef der philippinischen Nationalpolizei, dass seit dem Amtsantritt der Regierung Duterte im Juli 2016 mehr als 6.500 Menschen bei Polizeieinsätzen getötet wurden. Menschenrechtsorganisationen schätzten die Zahl deutlich höher ein. Laut amtlichen Unterlagen gab es in diesem Zeitraum über 20.000 weitere, noch ungeklärte Tötungsdelikte, davon zahlreiche mit mutmaßlicher Beteiligung von Polizist_innen.

Die Opfer kamen auch 2019 zum größten Teil aus armen, marginalisierten Bevölkerungsgruppen und standen oft auf willkürlichen Namenslisten, die die Polizei bei ihren Anti-Drogen-Einsätzen weiterhin verwendete. Die Polizei behauptete in der Regel, die Betroffenen hätten Widerstand geleistet und so die Anwendung tödlicher Gewalt notwendig gemacht, wohingegen Zeug_innen erklärten, die Opfer seien kaltblütig ermordet worden. Die Familienangehörigen hatten kaum eine Möglichkeit, Wiedergutmachung zu erhalten, denn es war sehr schwierig, Klage gegen die Verantwortlichen einzureichen, und sie mussten Racheakte befürchten. So kam es nirgendwo im Land zu einer nennenswerten Aufarbeitung dieser Delikte.

Im März 2019 wurde der Austritt der Philippinen aus dem Internationalen Strafgerichtshof wirksam, nachdem das Land seine Ratifizierung des Römischen Statuts im März 2018 zurückgezogen hatte. Dessen ungeachtet führte der Internationale Strafgerichtshof die Ermittlungen wegen möglicher völkerrechtlicher Verbrechen fort. Im Juli forderte der UN-Menschenrechtsrat das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte auf, einen umfassenden Bericht über die Lage auf den Philippinen vorzulegen.

Anfang November 2019 akzeptierte Vizepräsidentin Leni Robredo, Mitglied einer Oppositionspartei, Präsident Dutertes Einladung, den Co-Vorsitz des staatlichen Komitees gegen illegale Drogen zu übernehmen. Doch bereits nach 18 Tagen wurde sie wieder von dieser Aufgabe entbunden, weil sie Transparenz und Zugang zu Geheimdienstberichten zur Anti-Drogen-Kampagne der Regierung forderte.
Nach dem Scheitern der Friedensgespräche zwischen der Regierung und der Neuen Volksarmee wurden viele linksgerichtete politische Aktivist_innen getötet, die als vermeintliche Staatsfeinde oder als Kommunisten eingestuft wurden, vier davon starben allein im Juni 2019.
 

Menschenrechtsverteidiger_innen

Auch 2019 waren Menschenrechtsverteidiger_innen staatlicher Repression ausgesetzt. Die Senatorin Leila de Lima, eine gewaltlose politische Gefangene und Präsident Dutertes prominenteste Kritikerin, befand sich aufgrund einer politisch motivierten Anklage seit Februar 2017 in Haft. Gegen den ehemaligen Senator Antonio Trillanes IV, ebenfalls ein Kritiker Dutertes, waren noch immer Verfahren unter anderem wegen Rebellion und Entführung anhängig. Im September 2019 reichte die Nationalpolizei Klage wegen Volksverhetzung gegen Vizepräsidentin Robredo und 30 weitere Politiker_innen, Anwält_innen und Priester ein, darunter auch Antonio Trillanes und Leila de Lima, wegen angeblicher Beteiligung an der Produktion von Videos, die eine Verwicklung der Familie des Präsidenten in den illegalen Drogenhandel nahelegten.

Im Juni 2019 nahm das Repräsentantenhaus einstimmig ein Gesetz an, das Menschenrechtsverteidiger_innen unter anderem auch vor Repressalien und Einschüchterungsversuchen schützen soll. Der Gesetzentwurf war Ende 2019 noch im Senat anhängig. Da sich am harten Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger_innen und Kritiker_innen der Regierung nichts änderte, kamen Zweifel an der zukünftigen Wirksamkeit des Gesetzes auf.

Menschenrechtsgruppen waren nach wie vor besorgt über die Sicherheit von Umwelt- und Landrechtsaktivist_innen.
 

Todesstrafe

In seiner alljährlichen Rede zur Lage der Nation forderte Präsident Duterte den Kongress erneut auf, für eine Reihe von Straftaten einschließlich Drogendelikten die Todesstrafe wieder einzuführen. Im Senat und im Repräsentantenhaus waren mehr als 20 Gesetzentwürfe zur Todesstrafe anhängig. Mit ihrer Wiedereinführung würde das Land gegen seine Verpflichtung nach dem Zweiten Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verstoßen, demzufolge die Todesstrafe nicht wieder eingeführt werden darf.
 

Kinderrechte

Im Januar 2019 billigte das Repräsentantenhaus in letzter Lesung einen Gesetzentwurf, mit dem das Alter für Strafmündigkeit von 15 auf 12 Jahre gesenkt wurde, auch für Drogendelikte. Im Senat war das Gesetz Ende 2019 noch anhängig. Menschenrechtsorganisationen und andere Gruppen forderten die Regierung auf, allen Versuchen zur Senkung des Strafmündigkeitsalters einen Riegel vorzuschieben, denn ein niedrigeres Mündigkeitsalter würde nur das Leben der Kinder gefährden, nicht aber die Kriminalität senken.
 

Recht auf Gesundheit

Der Anti-Drogen-Krieg der philippinischen Regierung gefährdete weiterhin das Recht der Menschen auf das Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit. Recherchen von Amnesty International zufolge waren die Programme der Regierung zur Behandlung und Rehabilitation von Drogenabhängigen unzureichend; viele Familien berichteten, dass für ihre drogenabhängigen Angehörigen, die medizinische Hilfe suchten, kein solches Programm zur Verfügung stand. Anderen wurden weiter Therapie- und Rehabilitationsmaßnahmen aufgezwungen, und der Zugang zu grundlegenden Gesundheitsleistungen und Risikominderungsmaßnahmen wurde ihnen verwehrt. 
 

Recht auf freie Meinungsäußerung

Der Präsident stieß immer unverblümtere Drohungen gegen regierungskritische Journalist_innen aus. Maria Ressa, die Chefredakteurin des Internet-Nachrichtenportals Rappler, in dem ausführlich über Tötungen und andere Menschenrechtsverletzungen im Namen der Drogenbekämpfung berichtet wird, sowie ein ehemaliger Rappler-Redakteur und mehrere Vorstandsmitglieder sahen sich mit mindestens zehn politisch motivierten Klagen konfrontiert. Webseiten alternativer Medienorganisationen wurden mittels sogenannter DDoS-Attacken gezielt mit Zugriffen überlastet und so funktionsunfähig gemacht. Mindestens zwei Journalist_innen erhielten Drohungen, nachdem sie als vermeintliche Staatsfeinde gebrandmarkt wurden. Medienorganisationen zufolge wurden unter der Regierung Duterte seit 2016 mindestens 15 Journalist_innen in Verbindung mit ihrer Tätigkeit getötet.

Zehn Jahre nach einem Massaker an 58 Menschen, darunter 32 Journalist_innen in der südlichen Provinz Maguindanao, verurteilte am 19. Dezember 2019 ein Gericht in Quezon City 28 Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Haft. 55 weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Etwa 80 Straftatverdächtige befanden sich Ende 2019 noch auf freiem Fuß.
 

Interner bewaffneter Konflikt, Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Im März 2019 erklärte Präsident Duterte die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der kommunistischen Koalition zwischen der Nationalen Demokratischen Front (NDF), der Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) und der Neuen Volksarmee (NPA) für "endgültig beendet", da eine Fortsetzung des Dialogs "sinnlos" sei. Im Dezember äußerte er jedoch erneute Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Friedensgespräche.

Im Oktober 2019 durchsuchten die Sicherheitskräfte in Bacolod City die Büros dreier linksgerichteter Organisationen und nahmen über 50 Personen wegen mutmaßlicher Teilnahme an einer Schulung zum Gebrauch von Sprengstoffen und Feuerwaffen fest. Die Festgenommenen beteuerten, die beschlagnahmten Waffen seien ihnen von den Sicherheitskräften untergeschoben worden. Über 40 von ihnen kamen frei, nachdem sie eine Kaution hinterlegt hatten oder vom Gericht freigesprochen worden waren, doch sieben wurden unter nicht kautionsfähigen Anklagen weiter in Haft gehalten.

In Mindanao galt weiter das Kriegsrecht. Menschenrechtsgruppen befürchteten, dass die Militärherrschaft weiteren Menschenrechtsverstößen Vorschub leisten könnte. Ende 2019 bemühte sich Präsident Duterte beim Kongress aber nicht mehr um eine Verlängerung des Kriegsrechts in dieser Region, so dass der Ausnahmezustand nach zweieinhalb Jahren auslief.

Im Kongress wurden mehrere Änderungsanträge zum Antiterrorgesetz der Philippinen, dem Human Security Act von 2007 eingebracht. Die Vorschläge beinhalteten eine weiter gefasste Definition des Begriffs "Terrorismus" und eine Verlängerung der Haft ohne Haftbefehl bei Terrorismusverdacht. Nach Ansicht der nationalen Menschenrechtskommission könnten diese Maßnahmen aber gegen die Menschenrechte verstoßen, zum Beispiel gegen das Recht auf Unschuldsvermutung.

Das Bildungsministerium schloss 50 Schulen der indigenen Lumad, weil die Schüler_innen darin angeblich zu Widerstand gegen die Regierung erzogen wurden. Bereits vorher hatte Präsident Duterte gedroht, diese Schulen zu "bombardieren".
 

Sexuelle und reproduktive Rechte

Der Präsident billigte einen Plan zur Umsetzung des Nationalen Programms für Familienplanung, um durch "verantwortungsbewusste Elternschaft" die Zahl ungewünschter und ungeplanter Schwangerschaften zu reduzieren, unter anderem auch durch Zugang zu Verhütungsmitteln. Der Chefökonom der Regierung äußerte später jedoch Bedenken, dass im Staatshaushalt für 2020 gar keine ausreichenden Mittel für das Programm bereitgestellt seien.
 

Rechte von Lesben, Schwulen, Biseuxellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Im August wurde eine Transgender-Frau daran gehindert, eine Damentoilette zu benutzen, und dann festgenommen, als sie den Vorfall mit ihrem Smartphone dokumentierte. Zur gleichen Zeit weigerte sich Präsident Duterte, das sogenannte SOGIE-Gesetz zum Schutz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI) zu bestätigen. Die Regierung erklärte vielmehr, auf ein weiter gefasstes Gesetz zu drängen, das "alle Formen von Diskriminierung" umfasst.
 

Rechte von Arbeitnehmer_innen

Arbeitnehmer_innen aus verschiedenen Branchen wie Transport, Lebensmittel und Getränke sowie verarbeitende Industrie protestierten 2019 wiederholt mit Streiks gegen unfaire Arbeitsbedingungen wie niedrige Löhne, kurzfristige oder befristete Arbeitsverträge und die Verweigerung gesetzlich vorgeschriebener Leistungen seitens der Arbeitgeber. In einigen Fällen kam es dabei zur gewalttätigen Auflösung von Protesten und Festnahmen durch die Polizei, und sogar zu Tötungen durch Unbekannte.
 

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