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Tansania 2023

© Amnesty International
- Hintergrund
- Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
- Rechtswidrige Zwangsräumungen
- Recht auf eine gesunde Umwelt
- Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
- Rechte von Frauen und Mädchen
- Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)
Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023
Die Regierung ging gegen friedliche Andersdenkende vor und nahm Kritiker*innen der Entwicklungsagenda der Präsidentin sowie Oppositionelle und deren Verbündete, Rechtsbeistände, Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Massai und Aktivist*innen willkürlich fest. Das Parlament überarbeitete das Gesetz über Mediendienstleistungen (Media Services Act). Im Fall der Massai im Bezirk Loliondo, die sich gegen die Vertreibung von ihrem angestammten Land gewehrt hatten, entschied ein Hohes Gericht zu ihren Gunsten. Das Ölunternehmen East African Crude Oil Pipeline Ltd erhielt eine Genehmigung für den Bau einer 1.443 Kilometer langen Rohölpipeline. Die Regierung verweigerte internationalen Ermittlungsmissionen den Zugang zu Ngorongoro, um dort Menschenrechtsverletzungen gegen die Massai zu untersuchen. Einzelpersonen und NGOs konnten sich, wenn sie vor tansanischen Gerichten gescheitert waren, weiterhin nicht direkt an den Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker wenden. Trotz anderslautender Ankündigung erfolgte keine Revision der entsprechenden Gerichtsentscheidung. Zwar gab es Verbesserungen beim Bildungsangebot, doch die Verbleibquote von Mädchen war aufgrund von Armut, frühen Schwangerschaften und geschlechtsspezifischer Gewalt in den Schulen noch immer sehr gering. Hetzparolen gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) nahmen zu.
Hintergrund
Im Oktober 2022 hatte die Präsidentin von Tansania ein zwischenstaatliches Abkommen mit dem Emirat Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterzeichnet. Damit war eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung, Verwaltung und dem Betrieb der Häfen von Tansania und anderer damit verbundener Infrastruktur beschlossen worden. Am 10. Juli 2023 stimmte das tansanische Parlament dem Abkommen zu.
Im Februar 2023 starteten die Behörden einen öffentlichen Konsultationsprozess, der die geplante Überprüfung der Verfassung und weiterer Gesetze begleiten soll.
Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
Im Januar 2023 hob die Präsidentin ein allgemeines Verbot auf, mit dem der ehemalige Präsident 2016 jegliche Kundgebungen von politischen Parteien sowie andere politische Aktivitäten unter Strafe gestellt hatte. Bekannte Oppositionspolitiker*innen, die sich dem Verbot widersetzt hatten, waren in der Vergangenheit willkürlich festgenommen und inhaftiert worden. Trotz der Aufhebung des Verbots unterdrückten die Behörden weiterhin politische Aktivitäten und gingen gegen Personen vor, die Kritik an Regierungsprojekten übten oder sich gegen Zwangsräumungen stellten. Dabei kam es u. a. zu willkürlichen Festnahmen, Inhaftierungen und Einschüchterungen.
Mindestens zwölf Menschen wurden zwischen Juni und Dezember 2023 festgenommen, weil sie das zwischenstaatliche Abkommen zwischen Tansania und den VAE kritisiert hatten. Nach einigen Tagen in Gewahrsam kamen die Festgenommenen ohne Auflagen wieder frei. Der Aktivist und ehemalige Präsident der Anwaltskammer Tanganyika Law Society, Rugemeleza Nshala, floh im Juli ins Ausland, nachdem er Einschüchterungen durch die Polizei ausgesetzt gewesen war und über sein Telefon Morddrohungen von Unbekannten erhalten hatte. Auch er hatte zuvor das Abkommen kritisiert.
Im Juni 2023 verabschiedete das Parlament positive Änderungen des Gesetzes über Mediendienstleistungen (Media Services Act). Unter anderem wurde damit die strafrechtliche Haftung von Journalist*innen in Verbindung mit ihrer Berufsausübung abgeschafft. Außerdem wurden die Strafen und Bußgelder für Personen, die wegen Aufwiegelung verurteilt wurden, herabgesetzt und den Gerichten die Befugnis entzogen, Medienausrüstung zu beschlagnahmen.
Am 14. Juli 2023 wurden der Anwalt und Aktivist Boniface Mwabukusi und der politische Aktivist Mdude Nyagali festgenommen, nachdem sie einige Tage zuvor bei einer Pressekonferenz in Daressalam das Abkommen zwischen Tansania und den VAE kritisiert hatten. Am 12. August nahm die Polizei sie erneut fest, als sie sich auf dem Weg nach Daressalam befanden, und brachte sie zur zentralen Polizeistation in der Stadt Mbeya. Am darauffolgenden Tag nahmen Angehörige der Polizei Willibrod Slaa, einen ehemaligen Parlamentsabgeordneten und Diplomaten, in seinem Haus in Daressalam fest und brachten ihn zur Polizeistation im Verwaltungsbezirk Mbweni. Alle drei wurden am 18. August unter strengen Meldeauflagen freigelassen und wegen Hochverrats angeklagt.
Am 6. September 2023 forderte der Polizeichef des Bezirks Ngorongoro in der Region Arusha die größte Oppositionspartei, die Partei für Demokratie und Fortschritt (CHADEMA), auf, eine Reihe von politischen Kundgebungen abzusagen, die für den 8. und 9. September im Bezirk Loliondo geplant waren. Die Behörden begründeten dies mit nicht näher benannten Sicherheitsbedenken. Sie erklärten, dass die Anordnung des Polizeichefs den Richtlinien des Naturschutzgebiets Ngorongoro entspräche.
Am 10. September nahm die Polizei den Oppositionsführer Tundu Lissu wegen des Abhaltens einer "rechtswidrigen Versammlung" fest, nachdem er an einer politischen Kundgebung in Loliondo teilgenommen hatte. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme hatte er versucht, in das Naturschutzgebiet Ngorongoro zu gelangen, um als Redner an einer Kundgebung von Angehörigen der Gemeinschaft der Massai teilzunehmen. Er wurde noch am selben Tag ohne Anklage wieder freigelassen.
Rechtswidrige Zwangsräumungen
Im Laufe des Jahres 2023 wurden mindestens 67 Massai festgenommen und stunden- bzw. tagelang festgehalten. Die meisten der Festnahmen fanden im Dorf Endulen im Bezirk Ngorongoro statt, wo sich Angehörige der Massai weigerten, ihr angestammtes Land zu verlassen. Um im Naturschutzgebiet Ngorongoro ein Schutzgebiet zu errichten, sollten die Massai aus dem Gebiet zwangsumgesiedelt werden.
Am 7. August 2023 entschied das Hohe Gericht von Mbeya eine Regierungsanordnung aufzuheben, mit der 21.000 Menschen in fünf der 39 Dörfer, die an den Ruaha-Nationalpark im Bezirk Mbarali (Region Mbeya) grenzen, von ihrem Land vertrieben werden sollten. Die Regierung hatte erklärt, dass sie das Land für ein Artenschutzprojekt innerhalb des Nationalparks benötige. 852 Kleinbäuer*innen aus Marili hatten im Januar 2023 Klage vor dem Hohen Gericht eingereicht, nachdem der tansanische Minister für Land, Wohnen und Siedlungsentwicklung im Oktober 2022 einen Räumungsbescheid erlassen hatte, in dem behauptet wurde, dass die betreffenden Dörfer innerhalb des Nationalparks lägen. Kurz vor der Entscheidung des Hohen Gerichts teilte die*der stellvertretende Beauftragte für Landangelegenheiten der parlamentarischen Ständigen Kommission für Land, Rohstoffe und Tourismus mit, dass die Regierung de facto 744,32 Quadratkilometer des Gebiets an die Gemeinschaft in Mbarali zurückgegeben habe.
Am 19. September 2023 entschied das Hohe Gericht in der Region Arusha, dass die Gründung des Pololeti-Wildschutzgebiets (Pololeti Game Controlled Area) im Bezirk Loliondo rechtswidrig war. Am 17. Juni 2022 hatte der Minister für Rohstoffe und Tourismus Pololeti zum "Wildschutzgebiet", d. h. einem Gebiet, das dem Schutz der dort lebenden Wildtiere dienen soll, erklärt. Dies diente als Rechtfertigung für die Vertreibung der Massai von einem 1.500 Quadratkilometer großen Gebiet ihres Landes. Die Gemeinschaft reichte daraufhin im November 2022 einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung ein. Das Hohe Gericht entschied, dass die Regierung die Bewohner*innen in Bezug auf die Gründung des Wildschutzgebiets nicht konsultiert habe und der Vorgang somit nichtig sei.
Ende 2023 lebten noch immer etwa 100 Massai-Familien unter ärmlichen Bedingungen und mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, in den Dörfern Oloolaimutia und Olpusimoru im County Narok in Kenia. Dorthin waren sie mit ihrem Vieh geflohen, nachdem ihre Siedlungen im tansanischen Bezirk Loliondo während der Zwangsräumungen im Juni 2022 zerstört worden waren.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Laut dem Internationalen Währungsfonds war Tansania "besonders anfällig für den Klimawandel" und gleichzeitig "schlechter auf den Umgang mit dessen Folgen vorbereitet als die meisten anderen Länder."
Am 24. Januar 2023 erhielt das Ölunternehmen East African Crude Oil Pipeline Ltd die Genehmigung für den Bau der 1.443 Kilometer langen Ostafrikanischen Rohölpipeline. Die Pipeline soll Rohöl von den Ölfeldern am Albertsee im Westen Ugandas zum Hafen von Tanga an der Nordküste Tansanias transportieren (siehe Länderkapitel Uganda). Das Vorhaben beinhaltet die Konstruktion einer beheizten Pipeline mit einem Durchmesser von 61 Zentimetern.
Am 5. April 2023 stellte der Ostafrikanische Gerichtshof (East African Court of Justice — EACJ) sein Urteil in einem Rechtsstreit zurück, der drei Jahre zuvor von kenianischen, ugandischen und tansanischen zivilgesellschaftlichen Gruppen angestrengt worden war, um eine einstweilige Verfügung gegen den Bau der Pipeline zu erwirken. Der EACJ hatte zuvor Einwände des Generalsekretärs der Ostafrikanischen Gemeinschaft und der Regierungen von Tansania und Uganda angehört, die u. a. geltend machten, dass die Sache nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichtshofs falle. Gründe für die Klage der zivilgesellschaftlichen Gruppen waren Bedenken hinsichtlich der negativen Auswirkungen der geplanten Pipeline auf die Umwelt sowie die Vertreibung von Anwohner*innen und Angehörigen indigener Gemeinschaften, deren Rechte auf Lebensunterhalt, Nahrung und Gesundheit durch das Vorhaben bedroht waren. Am 29. November wies das Gericht die Klage ab und bezeichnete den Fall als verjährt, da die Kläger*innen das Verfahren bereits 2017 und nicht erst 2020 hätten anstrengen müssen. Die zivilgesellschaftlichen Gruppen legten am 11. Dezember Rechtsmittel ein.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Die Behörden dementierten zahlreiche Berichte über die gewaltsame Vertreibung von Angehörigen der Massai von ihrem Land in Ngorongoro. Sie lehnten Anfragen internationaler Organisationen zur Durchführung von Ermittlungsmissionen in Ngorongoro ab. Einer Delegation der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker wurde zwischen dem 23. und 28. Januar 2023 jedoch eine Mission ermöglicht. Die Delegation äußerte sich besorgt über die rechtswidrigen Zwangsräumungen. Sie stellte fest, dass die betroffenen Massai-Gemeinschaften hinsichtlich der Demarkierung von Gebieten, die sie für sich beanspruchten, weder ausreichend konsultiert noch miteinbezogen worden waren. Zudem zeigte sich die Delegation besorgt in Bezug auf Berichte über Gewalt und Drohungen gegen Angehörige von Gemeinschaften, die gegen die Demarkierung vorgingen. Am 25. August hinderte die Regierung eine Untersuchungsdelegation der UNESCO daran, in das betroffene Gebiet zu reisen. Am 2. September wurde einer Delegation von Mitgliedern des Europäischen Parlaments der Zugang verweigert, obwohl die tansanische Regierung dem Besuch zuvor zugestimmt hatte. Die Delegation hatte geplant, Menschenrechtsverstöße gegen die Massai zu untersuchen.
Die Regierung kam einer Ankündigung aus dem Jahr 2022 nicht nach, die Entscheidung über den Rücktritt von der Sondererklärung nach Artikel 34 Absatz 6 des Zusatzprotokolls zur Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker über die Einrichtung des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Rechte der Völker zu revidieren. Einzelpersonen und NGOs, die mit ihren Klagen vor tansanischen Gerichten keinen Erfolg hatten, hatten daher nach wie vor nicht die Möglichkeit, direkt vor den Afrikanischen Gerichtshof zu ziehen. Die Regierung hatte 2019 eine entsprechende Rücktrittserklärung unterzeichnet.
Rechte von Frauen und Mädchen
Die Nationale Panelbefragung (National Panel Survey) ergab, dass 2023 zwar Fortschritte in Bezug auf das Angebot an hochwertigen Bildungsmöglichkeiten zu verzeichnen waren, es jedoch weiteren Verbesserungen bedurfte, insbesondere mit Blick auf die niedrige Verbleibquote von Mädchen in der Schule. Obwohl im Februar 2022 das Verbot für schwangere Mädchen und minderjährige Mütter, reguläre Schulen zu besuchen, aufgehoben worden war, brachen Mädchen noch immer häufig die Schule ab. Gründe dafür waren Armut, frühe Schwangerschaften und geschlechtsspezifische Gewalt an den Schulen. Insgesamt konnte jedoch ein Anstieg bei der Zahl der Einschulungen und der Alphabetisierungsquote sowie eine Verbesserung hinsichtlich des Zugangs zur Schulbildung verzeichnet werden. Die Weltbank kam zu dem Schluss, dass "die Politik und die Maßnahmen der Regierung (...) es dem Land ermöglicht haben, sich in Richtung eines besseren Zugangs zu Bildung zu bewegen, insbesondere in den besonders unterversorgten Gebieten."
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)
Im Februar 2023 verhängte der Bildungsminister ein Verbot gegen Bücher mit LGBTI-Inhalten an staatlichen und privaten Schulen. Zudem hielt er die Öffentlichkeit dazu an, jegliche Bücher mit derartigen Inhalten zu melden.
Im März 2023 forderte die Vorsitzende des Frauenflügels der CHADEMA die Regierung auf, ein Gesetz zu erlassen, um die Kastration von Personen zu ermöglichen, die wegen einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen verurteilt wurden. Am 12. April eröffnete ein Parlamentsmitglied eine Parlamentsdebatte mit der Warnung, dass Tansania "riskiert, dass homosexuelle Menschen Macht- und Autoritätspositionen einnehmen", wenn keine entsprechenden Maßnahmen ergriffen würden. Ein weiteres Parlamentsmitglied schlug die Todesstrafe bei Verurteilungen wegen einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen vor.