Amnesty Report Südafrika 24. April 2024

Südafrika 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Verantwortliche für geschlechtsspezifische Gewalt gingen nach wie vor straflos aus. Das Bildungsministerium hielt sein Versprechen, Grubenlatrinen an Schulen abzuschaffen, nicht ein. Die Analphabetismus-Rate unter Viertklässler*innen war gestiegen. Es wurde befürchtet, dass das Gesetz über die staatliche Krankenversicherung den Zugang zu hochwertiger Gesundheitsversorgung beeinträchtigen könnte. Die Versorgung mit sauberem, sicherem Trinkwasser verschlechterte sich. Flüchtlingen und Migrant*innen wurde auch weiterhin der Zugang zur medizinischen Grundversorgung verweigert. Die Mordrate blieb hoch. Die Polizei setzte nach wie vor exzessive Gewalt gegen Protestierende ein. Auch 2023 gab es Drohungen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen und Whistleblower*innen sowie Versuche, Journalist*innen zum Schweigen zu bringen. Die Regierung machte keinerlei Fortschritte bei der Stilllegung von Kohlekraftwerken.

Hintergrund

Im Jahr 2023 waren offiziellen Statistiken zufolge 31,9 Prozent der Bevölkerung arbeitslos, und 32,7 Prozent der 15- bis 24-Jährigen gingen weder einer Arbeit nach noch besuchten sie die Schule oder machten eine Ausbildung. 

Der Haftbefehl des IStGH gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der zum BRICS-Gipfel in Johannesburg eingeladen war, brachte die Regierung wegen ihrer Beziehungen zu Russland in eine schwierige Lage. 

Es wurden erste Schritte für eine Umsetzung der Empfehlungen aus dem Bericht der Untersuchungskommission zur "Unterwanderung des Staates" (State Capture) aus dem Jahr 2022 unternommen. 

Der für Juli 2023 angekündigte Bericht der südafrikanischen Menschenrechtskommission mit den Erkenntnissen aus der Untersuchung der Unruhen in den Provinzen KwaZulu-Natal und Gauteng im Jahr 2021 stand Ende des Jahres weiterhin aus.

Die sich verschärfende Energiekrise beeinträchtigte die Rechte auf Zugang zu Wasser, Gesundheitsversorgung und Bildung. Korruption und Missmanagement der veralteten Infrastruktur führten dazu, dass der Strom infolge von Lastabwurf, d. h. der Abschaltung von Netzlast, immer wieder für längere Zeiträume ausfiel.

Geschlechtsspezifische Gewalt

Nach wie vor herrschte ein hohes Maß an geschlechtsspezifischer Gewalt. Kriminalitätsstatistiken für den Zeitraum Juli bis September 2023 verzeichneten 13.090 gemeldete Sexualdelikte. Im gleichen Zeitraum wurden 881 Frauen ermordet, ein Rückgang um 10,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Entwurf für ein Gesetz zur Schaffung eines nationalen Rats zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Femizid (National Council on Gender-Based Violence and Femicide Bill), der die Einrichtung eines Gremiums zur Überwachung der Umsetzung der Nationalen Strategie zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Femizid vorsah, wurde im Mai 2023 zur öffentlichen Kommentierung freigegeben. Im Juni fanden öffentliche Anhörungen statt. Im Dezember veröffentlichte der Nationalrat der Provinzen (NCOP; die zweite Kammer des Parlaments) eine aktualisierte Version des Gesetzentwurfs und begann eine zweite öffentliche Konsultationsrunde.

Nach wie vor herrschte Straflosigkeit bei geschlechtsspezifischer Gewalt. Die Staatsanwaltschaft gab an, nicht genügend Beweise zu haben, um die sechs Jahre zuvor erfolgten Morde an Popi Qwabe und Bongeka Phungula strafrechtlich zu verfolgen, und verwies die Fälle stattdessen zur gerichtlichen Untersuchung an das Oberste Amtsgericht in Protea. Die Frauen waren im Mai 2017 erschossen und ihre Leichen in Johannesburg am Straßenrand abgelegt worden.

Auch mehr als ein Jahr nachdem acht Frauen bei Filmaufnahmen an einer verlassenen Mine in Krugersdorp im Juli 2022 Opfer eines Raubüberfalls und einer Gruppenvergewaltigung durch bewaffnete Männer geworden waren, gab es keine weiteren Festnahmen und keine Gerechtigkeit für die Betroffenen und ihre Familien. Im April 2023 wies die Informationsaufsichtsbehörde den südafrikanischen Polizeidienst SAPS an, sich für die Weitergabe der persönlichen Daten der Betroffenen zu entschuldigen.

Recht auf Bildung

Obwohl das Bildungsministerium zugesichert hatte, dass es die illegalen, gefährlichen Grubenlatrinen bis 2023 aus Schulen verbannen und ersetzen werde, zeigte ein Bericht des Ministeriums auf, dass in 3.932 Schulen weiterhin Grubenlatrinen benutzt wurden, was einen Verstoß gegen die Rechte auf Gesundheit, Würde, Sicherheit und Leben darstellte.

In einem Bericht der Kommission Reading Panel 2030 wurde festgestellt, dass 82 Prozent der Viertklässler*innen in keiner Sprache in der Lage waren, sinnverstehend zu lesen, während es vor der Coronapandemie noch 78 Prozent waren. Die Kommission besteht aus Bildungsfachleuten und Personen aus der Zivilgesellschaft, die Erkenntnisse über das Lernen zusammenführen und der Regierung Empfehlungen geben.

Die Energiekrise wirkte sich Berichten zufolge auch auf den Zugang zu Bildung aus und trug dazu bei, dass Kinder zu spät oder gar nicht zur Schule kamen, hungrig waren und ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatten. Dadurch drohten bereits bestehende Ungleichheiten noch weiter verschärft zu werden.

Recht auf Gesundheit

Im Dezember 2023 verabschiedete der NCOP das Gesetz über die staatliche Krankenversicherung und legte es dem Präsidenten zur Unterzeichnung vor. Obwohl das Gesetz den allgemeinen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung sicherstellen sollte, wurden in der Zivilgesellschaft zahlreiche Bedenken laut, wonach es in Wirklichkeit zu einer Einschränkung des Zugangs führen könnte. Den größten Anlass zur Sorge bereiteten die Verwaltung des nationalen Krankenversicherungsfonds und das Risiko der Korruption. Zudem wurde bemängelt, dass der Gesundheitsminister zu viel Macht besitze, dass Asylsuchende und Migrant*innen ohne gültige Papiere von den Bestimmungen ausgeschlossen waren und dass sich das öffentliche Gesundheitssystem in einem sehr maroden Zustand befand.

Im März 2023 behinderte ein wegen Lohnstreitigkeiten aufgenommener Streik der Gewerkschaft National Health, Education, and Allied Workers Union den Zugang vieler Menschen zur Gesundheitsversorgung. Laut Angaben des Gesundheitsministers führte dies zu vier Todesfällen.

Es gab immer mehr Berichte darüber, dass die sich verschärfende Energiekrise auch den Zugang zur Gesundheitsversorgung beeinträchtigte. Im Mai 2023 beklagte die scheidende Ombudsperson für Gesundheit die schlechte Führung im Gesundheitswesen und forderte gemäß international bewährter Praktiken ein unabhängiges Büro für die Ombudsperson für Gesundheit.

Rechte auf Wasser und Sanitärversorgung

Im Juni 2023 veröffentlichte nationale Berichte des Ministeriums für Wasser und Abwasser ließen eine zunehmende Verschlechterung bei der Versorgung mit sauberem und sicherem Trinkwasser erkennen. In 90 Gemeinden befanden sich 334 Abwassersysteme in einem kritischen Zustand, und 55 Prozent der untersuchten Systeme wiesen eine schlechte chemische Wasserqualität auf.

Wie der staatliche Wasserversorger Umgeni-uThukela Water im April 2023 berichtete, führte die Energiekrise zu einer zusätzlichen Belastung der bereits veralteten und unzureichend gewarteten Wasserinfrastruktur mit der Folge von Ausfällen bei der Wasserversorgung bzw. niedrigem Wasserdruck. Damit war das Recht vieler Menschen auf eine gesicherte und angemessene Wasserversorgung gefährdet.

Am 22. Mai 2023 wurde berichtet, dass in der Woche zuvor in der Region Hammanskraal (Provinz Gauteng) 15 Personen an Cholera gestorben waren. Eine Woche später war die Zahl auf 23 Personen angestiegen. Eine unabhängige Untersuchung der Water Research Commission ergab, dass sich die Krankheit deshalb so schnell hatte ausbreiten können, weil die Sanitär- und Hygieneinfrastruktur unzureichend war, insbesondere in informellen Siedlungen und ländlichen Gegenden. Ein weiterer Grund seien betriebliche Mängel bei der Aufbereitung von Abwasser und Wasser zwecks Erreichung annehmbarer Standards gewesen.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Die migrationsfeindliche Bewegung Operation Dudula, die 2021 in der Provinz Gauteng entstanden war, schränkte auch weiterhin die Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen ein, indem sie diese u. a. an der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen hinderte. Im Januar 2023 verjagten Angehörige dieser Bewegung ausländische Staatsangehörige aus der Jeppe-Klinik in Johannesburg.

Nach Angaben der NGO Lawyers for Human Rights verweigerten einige Gesundheitseinrichtungen in der Provinz Gauteng schwangeren und stillenden Migrantinnen sowie Kindern unter sechs Jahren weiterhin den Zugang, obwohl ihnen in einem Urteil des Hohen Gerichts von Süd-Gauteng unabhängig von ihrer Nationalität oder ihrem Aufenthaltsstatus das Recht auf eine kostenlose medizinische Versorgung in allen öffentlichen Gesundheitseinrichtungen zugesprochen worden war. 

Im April 2023 eröffnete das Innenministerium nach einem Rechtsstreit, der elf Jahre gedauert hatte, wieder seine Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Kapstadt.

Recht auf Leben und Sicherheit der Person

Wie die Globale Initiative gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (Global Initiative Against Transnational Organized Crime) verlautbarte, wurden in Südafrika 2023 durchschnittlich mindestens zwei gezielte Tötungen pro Woche gemeldet.

Aus Aufzeichnungen der Polizei ging hervor, dass zwischen Juli und September 2023 insgesamt 6.945 Morde begangen wurden, 59 weniger als im Vorjahreszeitraum. Mit durchschnittlich 75 ermordeten Personen pro Tag blieb die Mordrate jedoch hoch. Im selben Zeitraum gab es 58 Massentötungen, definiert als Vorfälle, bei denen jeweils mindestens drei Menschen getötet wurden. Insgesamt ließen dabei 218 Personen ihr Leben. 

Im September erklärte das Hohe Gericht von Süd-Gauteng den Staat für haftbar für die Folterung von fünf Gefangenen im Leeuwkop-Gefängnis in der Provinz Gauteng. Es war das erste Urteil dieser Art seit dem Ende der Apartheid.

Im Juli 2023 wurde Khayalihle Gwabuzela, auch bekannt als Khaya Ngubane, für schuldig befunden, im März 2022 Ayanda Ngila, eine Menschenrechtsverteidigerin und Sprecherin von Abahlali baseMjondolo (AbM), einer Bewegung von Hüttenbewohner*innen, getötet zu haben. Er wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Für die Tötung von drei weiteren AbM-Mitgliedern im Jahr 2022 war bis Ende 2023 niemand zur Verantwortung gezogen worden.

Exzessive Gewaltanwendung

Angehörige des Polizeidiensts SAPS wandten auch 2023 unverhältnismäßige Gewalt an, wodurch Menschen verletzt und getötet wurden. 

Im Juli 2023 wurden acht Sicherheitskräfte, die für den Schutz des Präsidenten zuständig waren, dabei gefilmt, wie sie Autofahrer angriffen, als sie mit dem stellvertretenden Präsidenten auf einer Autobahn in der Provinz Gauteng unterwegs waren. Sie wurden festgenommen, kamen im August aber gegen Kaution frei; ihr Verfahren wurde auf Mai 2024 vertagt.

Rechtswidrige Tötungen

Mit Stand vom 14. Februar 2023 lagen der unabhängigen Polizeiaufsichtsbehörde IPID 1.060 Fälle vor, in denen Menschen infolge von Polizeieinsätzen gestorben waren.

Im Juli 2023 wurde der 16-jährige Karabo Chaka bei einer Protestkundgebung in Slovo Park südlich von Johannesburg getötet. Die Ermittlungen zur Klärung der Frage, ob er von der Polizei getötet wurde, dauerten Ende des Jahres noch an.

Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit

Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen und Whistleblower*innen wurden auch 2023 bedroht, eingeschüchtert und schikaniert. Die Polizei-Whistleblowerin Patricia Mashale, die Berichten zufolge entlassen wurde, weil sie verdächtige Aktivitäten von SAPS-Angehörigen gemeldet hatte, tauchte unter, weil sie keinen Schutz erhielt. Das Ministerium für Justiz und Verfassungsentwicklung veröffentlichte im Juli ein Diskussionspapier mit Reformvorschlägen für den Schutz von Whistleblower*innen zur öffentlichen Konsultation. Im August 2023 wurden sechs Männer für schuldig befunden, 2021 die Whistleblowerin Babita Deokaran aus der Gesundheitsbehörde von Gauteng ermordet zu haben. Die Männer erhielten Haftstrafen zwischen sechs und 22 Jahren. Die Ermittlungen wurden fortgesetzt, um weitere Personen zu finden, die im Verdacht standen, an dem Mord beteiligt gewesen zu sein.

Im Mai 2023 billigte das Kabinett einen Gesetzentwurf zur Änderung der allgemeinen Geheimdienstgesetze. Wird das Gesetz im Parlament verabschiedet, erhalten Geheimdienste die Befugnis, alle Personen zu überprüfen, die eine NGO gründen wollen. 

Auch Journalist*innen waren weiterhin Drohungen, Angriffen, Einschüchterungsversuchen und Schikanen ausgesetzt. Insbesondere versuchte man, sie durch Gerichtsverfahren zum Schweigen zu bringen. Eine Privatklage des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma gegen die Journalistin Karyn Maughan wurde im Juni 2023 abgewiesen. Eine Nachrichtensperre, die das Unternehmen Moti Group gegen die Organisation AmaBhungane Centre for Investigative Journalism erwirkt hatte, wurde im Juli aufgehoben.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Obwohl sich die Regierung verpflichtet hatte, die Kohlenstoffemissionen landesweit bis 2030 so stark zu reduzieren, dass das Ziel der Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau erreicht wird, machte die Regierung keinerlei Fortschritte bei der Stilllegung von Kohlekraftwerken. In der Zivilgesellschaft wurden Befürchtungen laut, dass diese Verzögerung Südafrikas Investitionsplan für eine gerechte Energiewende (Just Energy Transition Investment Plan – JET IP) gefährden könnte.

Im Oktober 2023 verkündete die südafrikanische Regierung, dass Dänemark und die Niederlande der internationalen Partnergruppe beigetreten seien, die in den JET IP investieren. Auch Kanada, Spanien und die Schweiz hätten Mittel zugesagt. Auf der Weltklimakonferenz (COP28) im Dezember wurde Südafrikas Plan für eine gerechte Energiewende vorgestellt, was dem JET IP Wirkung verlieh.

Weitere Artikel