Amnesty Journal 10. Juli 2023

"Keinerlei Schutz mehr für die Rechte von Minderheiten"

Eine Demonstration in den Straßen Tel Avivs, Menschen dicht an dicht, sie schwenken Flaggen, halten Schilder hoch, im Hintergrund Gebäude.

Yariv Mohar ist Programmdirektor von Amnesty International Israel. Sein Team beobachtet und begleitet die seit Wochen stattfindenden zivilen Proteste gegen die Regierungspläne, die Unabhängigkeit des Obersten Gerichtshofs einzuschränken.

Interview: Uta von Schrenk

Seit Jahresbeginn protestieren regelmäßig Zehntausende Israelis gegen die umstrittene Justizreform. Wie beurteilen Sie den Umgang mit den Demonstrierenden?

Amnesty International in Israel hat sich jeden Fall von exzessiver Gewaltanwendung oder rechtswidrigem Vorgehen gegen friedliche Proteste in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten angesehen, nicht nur im Zusammenhang mit der Justizreform. Im Großen und Ganzen entsprach die polizeiliche Überwachung der Demonstrationen der für Proteste jüdischer Israelis geltenden Norm in Israel. Aber es ist auch zu einigen schweren Übergriffen durch die Polizei gekommen – zum Beispiel traktierte ein berittener Bereitschaftspolizist eine junge Frau ohne ersichtlichen Grund mit einer Peitsche. Außerdem warf ein Mitglied der Polizei eine Blendgranate unsachgemäß und unerlaubt auf Demonstrierende. Das führte zu teils schweren Verletzungen.

Welche Auswirkungen auf Demokratie und Menschenrechte befürchtet Amnesty Israel durch die Justizreform?

Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wird der Oberste Gerichtshof Israels nahezu bedeutungslos, da die Regierung dessen Richterinnen und Richter ernennen würde und die Prüfung von Gesetzen durch den Obersten Gerichtshof umgehen könnte. Das heißt, die Rechte von Minderheiten und Einzelpersonen werden keinerlei Schutz mehr erfahren. Israel wird im besten Fall zu einer Pseudodemokratie werden, in der nur diejenigen bestimmen, die die Mehrheit bilden. Die Rechte aller Menschen – insbesondere aber die der Palästinenserinnen und Palästinenser – werden stärker gefährdet sein.

Sollte das Gesetz verabschiedet werden, wird der Oberste Gerichtshof Israels nahezu bedeutungslos, da die Regierung dessen Richterinnen und Richter ernennen würde und die Prüfung von Gesetzen durch den Obersten Gerichtshof umgehen könnte. Das heißt, die Rechte von Minderheiten und Einzelpersonen werden keinerlei Schutz mehr erfahren.

Ein mittelalter Mann mit Brille und Bart, das Haar halblang und gewellt, er trägt ein aufgeknöpftes Hemd und darüber eine Strickjacke, seine Mimik wirkt entschlossen.

Yariv Mohar, Programmdirektor von Amnesty International Israel

Welche Auswirkungen hat die Politik der Regierung auf die Palästinen­ser*in­nen?

Es ist schwer zu sagen, aber einiges deutet darauf hin, dass versucht wird, arabischen Parteien die Teilnahme an den Parlamentswahlen zu verweigern, einige Kollektivstrafen für Palästinenserinnen und Palästinenser in den besetzten palästinensischen Gebieten zu verhängen und möglicherweise das Westjordanland teilweise oder ganz zu annektieren.

Was kann die Zivilgesellschaft in der derzeitigen Situation sonst noch tun, um die Umsetzung der Regierungspläne zu verhindern?

Sie kann massiv zivilen Ungehorsam leisten.

Wie kann man die israelische Zivil­gesellschaft in dieser Auseinander­setzung am besten unterstützen?

Durch internationalen Druck auf die israelische Regierung, damit sie weder die Menschenrechte an sich noch die Unabhängigkeit der Institutionen einschränkt, die diese gewährleisten sollen. Zu diesen Institutionen gehört auch der Oberste Gerichtshof. Darüber hinaus sollten nützliche Informationen und Fähigkeiten mit der israelischen Zivilgesellschaft geteilt und die Gründe für den Widerstand weltweit bekannt gemacht werden.

Was plant Amnesty Israel zu tun, wenn die Regierung versucht, ihre Pläne durchzusetzen?

Amnesty Israel wird dann an einer Welle gewaltfreier Proteste teilnehmen, diese begleiten und über Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe gegen Demons­trierende berichten.

Uta von Schrenk ist Redakteurin des Amnesty Journals.

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