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Gesichter des Protests
Protest gegen die iranische Regierung in Mahabadi im Nordwesten des Iran (20. November 2022)
© privat
Seit September demonstrieren im Iran Tausende Menschen für Freiheitsrechte und gegen die harte Repression der Regierung. Mina Khani stellt vier Aktivistinnen vor. Mit Zeichnungen von Sarah Kilcoyne.
Sarina Esmailzadeh
Sarina Esmailzadeh
© Illustration: Sarah Kilcoyne
Einige Sätze von Sarina Esmailzadeh werden in Erinnerung bleiben: "Wir brauchen Glück, Genuss, eine motivierte Stimmung und viel Energie. Und wir brauchen Freiheit." Denn Freiheit, so führte die Jugendliche weiter aus, werde den iranischen Frauen in vielen Bereichen vorenthalten. Das bekannteste Beispiel sei die Zwangsverschleierung. Dass nur Männer ins Fußballstadion dürften, sei ein weiteres Beispiel, beklagte die junge Frau, die selbst Fußballfan war. Und sie betonte: "Die iranische Jugend ist nicht mehr dieselbe Jugend wie vor 20 Jahren. Sie weiß, was in der Welt los ist." All diese Sätze wurden zum Glück auf Videos und in Online-Beiträgen festgehalten, bevor Sarina Esmailzadeh am 23. September 2022 ermordet wurde.
Sie war gerade einmal 16 Jahre alt, als Schläger sie in der Stadt Karadsch im Norden Irans im Auftrag der Regierung brutal töteten – sie schlugen ihr mit Schlagstöcken den Schädel ein. Als man Sarina Esmailzadeh ins Krankenhaus brachte, konnten die Ärzt*innen nur noch den Tod feststellen.
Mutter zu falscher Stellungnahme gezwungen
Geheimdienst- und Sicherheitskräfte bedrohten ihre Familie anschließend massiv und schüchterten sie ein. Sie zwangen ihre Mutter, gegenüber einer staatlichen Nachrichtenagentur eine Stellungnahme abzugeben, in der sie die offizielle Version der Todesursache wiedergeben musste, wonach ihre Tochter durch einen Sprung vom Dach eines Gebäudes Suizid begangen habe.
Zunächst hatten die Behörden noch behauptet, Sarina Esmailzadeh sei von einem Gebäude gestoßen worden. Die staatliche Nachrichtenagentur Mizan schrieb kurz darauf, die junge Frau sei selbst gesprungen und habe Suizid begangen. Nicht nur ihre Familie wurde unter Druck gesetzt, diese Version zu verbreiten, auch auf ihre Mitschülerinnen wurde Zwang ausgeübt. Später bearbeiteten Unbekannte im Nachhinein Instagram-Posts von Sarina Esmailzadeh und fügten neue Inhalte hinzu, die von Suizid handelten. Das alles zeigt, wie extrem stümperhaft der iranische Staat versuchte, den Mord zu verschleiern und zu vertuschen.
Sarina Esmailzadeh hatte sich an den Protesten seit Herbst 2022 beteiligt. Videos auf ihrem YouTube-Kanal zeigen, wie sie ihren Alltag verbrachte und was ihr wichtig war. Sie war eine junge Frau, die das Leben genoss. Sie war fröhlich, lachte viel und laut. In einem Video singt sie den Song "Take Me to Church" des Popstars Hozier sehr energisch mit. Er handelt von gleichgeschlechtlicher Liebe und kritisiert Religionen, die sich moralisch überlegen fühlen und behaupten, im Besitz der Wahrheit zu sein.
Atena Daemi
Atena Daemi
© Sarah Kilcoyne
Atena Daemi ist eine der bekanntesten Frauen in der iranischen Protestbewegung. Mit ihrer enormen Reichweite in den Online-Netzwerken verstärkt sie die Stimme der Protestierenden. Allein im Netzwerk Twitter folgen ihr mehr als 225.000 Menschen. Dass sie als Akteurin und Multiplikatorin am Protest mitwirken kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Erst seit Januar 2022 ist Daemi wieder in Freiheit – nach langen Jahren im Gefängnis.
Daemi wurde erstmals im Jahr 2014 festgenommen und kam direkt in Einzelhaft. Sie hatte sich für Kinderrechte, Frauenrechte und gegen die Todesstrafe eingesetzt. Und sie unterstützte Demonstrant*innen, die sich mit der kurdischen Stadt Kobane im Norden Syriens solidarisierten, als diese im Jahr 2014 von der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) angegriffen wurde.
Hinter Gittern kämpft sie weiter
Es kam zur Anklage und die Anklagepunkte waren zahlreich: "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System", "Beleidigung der Gründer der Islamischen Republik Iran und des Religionsführers" und Zurückhaltung von Beweisen. Im Jahr 2015 wurde Daemi zunächst zu einer Haftstrafe von 14 Jahren Haft verurteilt, die später auf sieben Jahre verkürzt wurde.
Die Aktivistin hatte Mahnwachen für politische Gefangene vor dem berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran organisiert. Später musste sie dort selbst viele Jahre verbringen. Doch selbst hinter Gittern kämpfte sie weiter und ließ mehrere Briefe aus der Haftanstalt schmuggeln, die viel dazu beitrugen, dass die iranische und internationale Öffentlichkeit über die brutalen und menschenunwürdigen Haftbedingungen in diesem Gefängnis informiert wurden.
In einem Brief, der sich auf die Hinrichtung dreier kurdischer Gefangener im Jahr 2018 bezog, schrieb sie: "Die Mörder und Verbrecher sind frei, und viele zivile Aktivist*innen sind im Gefängnis. Ich wurde erneut verurteilt, weil ich Zaniar, Luqman und Ramin unterstützt und einen Gedenkgottesdienst abgehalten habe. Was kann ehrenvoller sein, als erneut zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden, weil man (…) Menschenleben verteidigt hat?"
Starke, laute Stimme der Revolution
Die Behörden verlegten sie im Jahr 2018 in ein Gefängnis im Norden des Landes. Ihre Familie musste fortan einen langen Weg fahren, um sie zu besuchen. Und selbst von dort mischte sich Daemi weiter in die politische Auseinandersetzung ein. Als es im Jahr 2021 in der Provinz Khuzestan zu sogenannten Wasserprotesten der Bevölkerung kam, in deren Verlauf Sicherheitskräfte mehrere Protestierende töteten, ließ sie wieder einen Brief aus dem Gefängnis schmuggeln.
Darin schrieb sie: "Khuzestan hat kein Wasser, Khuzestan hat Staub, (…) Khuzestan hat Landminen, Kriegsschutt, Khuzestan hat Diskriminierung. (…) In Khuzestan opfert man Leben, um Wasser zu bekommen. Der Staat nimmt das Leben weg, um Wasser zu geben. (…) Allgemeine Diskriminierung und Unterdrückung sind die herausragenden Merkmale dieses Staates."
Amnesty International setzte sich seit Beginn ihrer Inhaftierung für Atena Daemi ein, unter anderem beim Briefmarathon 2018. Egal, ob sie gerade im Gefängnis ist oder nicht: Daemi ist stets eine starke und laute Stimme der Revolution der Frauen im Iran.
Ghazaleh Motamed
Ghazaleh Motamed
© Sarah Kilcoyne
Die iranische Feministin ist seit einigen Monaten auf der Flucht*. Im Iran gehörte Ghazaleh Motamed zu den bekanntesten Aktivistinnen der #MeToo-Bewegung. Die Kritik der Kostümbildnerin richtete sich dabei insbesondere an die Kunst- und Kulturszene.
Die 42-Jährige zählte zu den mehr als 800 Frauen, die im April 2022 ein Statement gegen sexualisierte Gewalt in der iranischen Filmszene veröffentlichten. Darin heißt es: "Jede Person mit Macht und Ansehen im iranischen Filmbetrieb nutzt ihre Position, um Frauen zu schikanieren, zu bedrohen, zu beleidigen, zu demütigen und anzugreifen." Frauen erlebten körperliche Gewalt, Nötigung, erzwungene sexuelle Handlungen, unerwünschten Körperkontakt, verbale sexuelle Belästigung und Drohungen. Dies alles geschehe, ohne dass die Täter Verantwortung für diese Fälle von sexualisierter Gewalt übernehmen müssten.
"Wir kämpfen weiter, um unsere Ziele zu erreichen"
Nach der Veröffentlichung wurde Ghazaleh Motamed zusammen mit vier anderen Frauen in ein Komitee der Unterzeichner*innen gewählt, das den genannten und weiteren Fällen von sexualisierter Gewalt in der Kunst- und Kulturszene nachgehen wollte. Auch sollten Verhandlungen mit der Gewerkschaft der Filmschaffenden darüber geführt werden, wie solche Taten in einer Art Protokoll festgehalten werden könnten. Ziel war es, sexualisierte Gewalt gründlich zu untersuchen und zu dokumentieren, um ein Fundament für juristische Schritte zu schaffen.
Dieses Protokoll sei jedoch nie zustande gekommen, weil es verhindert worden sei, berichtet Ghazaleh Motamed. "Aber wir haben nie aufgegeben. Der Einfluss feministischer Aktivitäten auf die Gesellschaft ist in der derzeitigen Revolution, die unter dem Motto 'Frau, Leben, Freiheit' steht, deutlich zu sehen. Wir kämpfen weiter, um unsere Ziele zu erreichen." Dazu zähle auch das Protokoll: "Wir werden immer wieder darauf zurückkommen, und wir werden es in der iranischen Kinoszene durchsetzen".
Systemische, sexuelle Gewalt
Die sexualisierte Gewalt im Iran sei systemisch, sagt Ghazaleh Motamed. Die Behörden hätten ihr und ihren Mitstreiter*innen viele Steine in den Weg gelegt. Zunächst erteilte man ein Reiseverbot, später folgten zahlreiche Vorladungen. Feministische Arbeit ist harte Arbeit in einem Land, das keine Freiheit und Gerechtigkeit für Frauen und LGBTI-Personen kennt.
Trotz harter Erfahrungen bereut es Ghazaleh Motamed nicht, alles versucht zu haben, um das Leben der Frauen zu verbessern und für deren Rechte zu kämpfen. Als der Druck vonseiten der Polizei und der Milizen zunahm, sah sie sich jedoch gezwungen, das Land zu verlassen. "Sie haben bei Verhören anderer Aktivistinnen immer wieder meinen Namen erwähnt. Sie wollen jedes Netzwerk von Frauen und Feminist*innen zerstören", sagt die Aktivistin. Doch sie erreichen damit das Gegenteil. Es entstehen mehr feministische Netzwerke. Und es wird weitergekämpft." Für Ghazaleh Motamed sind die vergangenen Monate deshalb "eine feministische Revolution".
* Zum Schutz von Ghazaleh Motamed nennen wir ihren Aufenthaltsort nicht.
Sepideh Rashno
Sepideh Rashno
© Illustration: Sarah Kilcoyne
Es war Mitte Juli im Jahr 2022, als sich Sepideh Rashno in Teheran im Bus auf dem Weg zur Arbeit machte. Dort traf die 28-jährige Schriftstellerin und Lektorin auf Rayeheh Rabiee, und diese Begegnung sorgte dafür, dass Rashno am Ende des Tages nicht am Arbeitsplatz, sondern im Gefängnis landete. Beide Frauen gerieten aneinander und nahmen den Vorfall mit dem Handy auf, die Filme wurden weltweit bekannt.
In beiden Handyvideos ist zu sehen, dass Sepideh Rashno im Bus kein Kopftuch trug und Rabiee vollverschleiert war. Rabiee forderte Rashno auf, das Kopftuch aufzusetzen. Diese antwortete: "Geh mal hier raus! Werft sie raus!" Andere Frauen im Bus versuchten, Sepideh Rashno zu schützen. Sie wollten offensichtlich verhindern, dass sie gefilmt wird. Während Sepideh Rashno ankündigte, ihr Video "an die ganze Welt" zu schicken, erwiderte Rabiee: "Ich werde dich bei den Revolutionsgarden anzeigen."
Widerstand gegen Schleierzwang
Sepideh Rashno wurde kurz darauf inhaftiert und der "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" sowie der "Propaganda gegen die Islamische Republik" angeklagt. Widerstand gegen den Schleierzwang kann im Iran mit einer Strafe von bis zu zehn Jahren Jahren Haft geahndet werden. Rabiees Video wurde vor Gericht als Beweismaterial zugelassen.
Ende Juli strahlten regierungsnahe Medien einen Film mit einem erzwungenen "Geständnis" Rashnos aus. In ihrem Gesicht waren deutlich Verletzungen erkennbar, sie sprach nur sehr kurz und sah dabei völlig erschöpft aus. Hinter ihr war ein blauer Vorhang im Bild, der in den vergangenen Jahren häufig bei erzwungenen Geständnissen von Feminist*innen, Menschenrechtaktivist*innen und Journalist*innen zu sehen war.
Inhaftiert und gefoltert
In Online-Netzwerken und iranischen Exilmedien war die Empörung über die Misshandlung Rashnos groß. Auch im Iran wuchs bereits damals die Wut auf die Behörden und die Revolutionsgarden wegen ihres brutalen Vorgehens gegen Frauen – Monate bevor Jina Mahsa Amini wegen eines Verstoßes gegen den Schleierzwang ermordet wurde und zahlreiche Frauen und verbündete Männer massenhaft gegen die Verschleierung, die Repression und die Unfreiheit im Land protestierten.
Bereits im Fall von Sepideh Rashno hatte der Staat nicht mehr zu bieten als ein erzwungenes "Geständnis" und eine Politik der Angst. Die iranischen Frauen sollten die Verletzungen im Gesicht Rashnos auf jeden Fall sehen. Die Botschaft war klar: Wer sich der Verschleierung widersetzt, wird inhaftiert und gefoltert.
Sepideh Rashno wurde inzwischen gegen eine sehr hohe Kaution von umgerechnet mehr als 27.000 Euro freigelassen. Sie steht nach wie vor unter Anklage. Rashno hat sich seither nur einmal geäußert und sich bei der iranischen Gesellschaft für die Solidarität bedankt.
Mina Khani ist iranische Publizistin, Sarah Kilcoyne ist Illustratorin. Beide leben in Berlin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.