Amnesty Journal Georgien 07. April 2025

Anti-LGBTI-Gesetz in Georgien: Bleiben oder gehen?

Trans-Person Nata-Talikishwili, Haare bis auf die Schultern, Ohrringe, die Fingernägel lackiert, sitzt mit einem Hund auf einem Stuhl auf einem Balkon, trägt ein schulterfreies Kleid.

Die Aktivistin Nata Talikishwili in Tbilisi, Georgien, im August 2024

In Georgien trat im Herbst 2024 ein Gesetz gegen LGBTI nach russischem Vorbild in Kraft. Welche Folgen hat es für Aktivist*innen?

Aus Tbilisi von Elias Dehnen

Hundert Meter Freiheit", sagt Beka Gabadadze, "so nennen wir die Washlowani-Straße, das Zentrum der queeren Szene in Tbilisi." "Doch sicher fühle ich mich nirgendwo", ergänzt Daniel Merebashwili. Die beiden sind im Vorstand der Organisation Temida, die ein Schutzhaus samt medizinischer Betreuung für trans Personen betreibt. Bereits im Sommer 2024 befürchteten Gabadadze und Merebashwili, dass in Georgien ein Anti-LGBTI-Gesetz nach russischem Vorbild eingeführt werden könnte, dass nicht nur die Existenz ihrer NGO, sondern auch sie selbst gefährden würde. "Wir sind die Sündenböcke der Regierungspartei Georgischer Traum", sagte der Grafikdesigner Merebashwili damals. "Wenn das Gesetz kommt, dann aus rein parteitaktischen Gründen. Sie wollen die orthodoxe Kirche an sich binden und Wählerstimmen der konservativen ländlichen Bevölkerung einfangen."

Am 17. September 2024 verabschiedete das georgische Parlament das Anti-LGBTI-Gesetz der Regierungspartei wie erwartet. Weil sich die pro-europäische Staatspräsidentin Salome Surabischwili weigerte, das Gesetz zu unterzeichnen, um es in Kraft zu setzen, übernahm Parlamentschef Schalwa Papuaschwili die Unterzeichnung im Oktober.

"Schutz von Familienwerten und Minderjährigen"

Das Gesetz zum "Schutz von Familienwerten und Minderjährigen" bezeichnet Veranstaltungen und Medieninhalte, die Homosexualität "positiv" darstellen, als "LGBTI-Propaganda" und macht sie strafbar. Es verbietet unter anderem Hormontherapien und medizinische Eingriffe zur Geschlechtsangleichung, die Adoption von Kindern durch queere Personen und erklärt im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen für ungültig.

Gabadadze, der als Sozialarbeiter für Temida tätig ist, empört sich: "Minderheitenschutz gehört in jedes Menschenrechtsseminar. Für die Regierung ist das nun 'Propaganda'." Überrascht ist er nicht. Denn als queere Organisationen im Juli 2021 in Tbilisi ein Pride-Festival veranstalten wollten, griffen prorussische, rechtsextreme Aktivist*innen das Organisationsbüro an und verletzten mehr als 30 Menschen. Damals hatte Staatspräsidentin Salome Surabischwili den Angriff verurteilt, während Ministerpräsident Irakli Gabaschwili feststellte, der Pride-Marsch sei "für die Mehrheit der Gesellschaft inakzeptabel".

Zwei Männer, einer in langer Hose, Turnschuhen, T-Shirt, der andere in Shorts, T-Shirts, Turnschuhen und mit Baseball-Cap, letzterer sitzt auf einem Treppenabsatz, der andere steht vor ihm auf dem Gehweg, eine Strasse des Nachts.

Verteidigen ihre Freiheit, solange es geht: Daniel Merebashwili (l.) und Beka Gabadadze in Tbilisi, Georgien, im August 2024

"Unser Büro war damals noch im selben Gebäude wie das der Pride-Organisatoren", erzählen Daniel Merebashwili und Beka Gabadadze. "Wir wurden Opfer von Vandalismus. Sie sprühten blutrote, faschistische Graffiti in unseren Eingangsbereich und schrieben 'verdorbene Propaganda' auf unsere Poster. Wir mussten dann umziehen."

Vorsicht bei Demonstrationen

Dabei waren Teile der georgischen Gesellschaft bereits damals liberaler als zuvor. Eine Studie des Caucasus Research Resource Centers stellte fest, dass im Jahr 2021 fast die Hälfte der befragten Georgier*innen den Schutz von LGBTI-Rechten für "wichtig" hielt, im Vergleich zu 33 Prozent im Jahr 2018. Früher habe man ihn als queere Person an der Universität verprügelt, berichtet Beka Gabadadze. Heute sei die LGBTI-Szene ein selbstverständlicher Teil der Massenproteste gegen die Regierung.

In Tbilisi gehen viele politische Initiativen vom berühmten Techno-Club Bassiani aus, der mit der queeren Partyreihe "Horoom Nights" einen der wenigen geschützten Räume für die Community darstellt. "Die Proteste gegen die Regierung sind pro-westlich, deshalb stehen die meisten Protestierenden an unserer Seite", sagt Merebashwili. Doch die LGBTI-Aktivist*innen müssen vorsichtig sein. Wenn sie bei den regierungskritischen Demonstrationen sichtbar auftreten, nutzen Staatsmedien gern Bilder von Regenbogenfahnen, um die Proteste als "Schwulenpropaganda" zu delegitimieren.

Das weiß auch Nata Talikishwili. Die bekannte Aktivistin thematisiert in ­Comedyshows ihr Leben als trans Frau im Kaukasus. Genüsslich berichtet sie von Liebschaften mit Klerikern und Ultrakonservativen – und trägt dabei als Gläubige selbst ein Kreuz an einer Kette. "Die Menschen hören mir nur zu, wenn ich auf der Bühne stehe", sagt sie. "Als ich gegen das Agentengesetz auf die Straße ging, filmte mich der prorussische private TV-Sender Alt-Info", erzählt Talikishwili. "Im Fernsehen sagte eine Reporterin, dass 'frauenähnliche Männer' an den Protesten teilnehmen würden. Sie wollte so die Demonstration diskreditieren." Nun bleibt die Aktivistin manchen Veranstaltungen fern, um das "Ansehen der Organisatoren nicht zu schädigen, nur weil eine trans Frau teilnimmt".

Viele Hassverbrechen

In Georgien hätten junge trans Personen heute bessere Chancen, zu studieren und ihren Wunschberuf auszuüben, dennoch landeten viele in der Sexarbeit, sagt sie. "Einige meiden die Proteste, weil sie fürchten, dass ihre Klienten mit Unverständnis darauf reagieren."

Immer wieder kommt es zu Hassverbrechen gegen trans Personen. Talikishwili hat erlebt, dass Polizist*innen die Angriffe nicht entschlossen genug verfolgen: "Sie versuchen uns davon abzubringen, Straftaten zu melden, um die Statistiken zu beschönigen, oder sie verzögern den Prozess. Sie sagen dann, dass ihre Computer nicht funktionieren oder eine verantwortliche Person nicht da ist." 

Gerade einmal 24 Stunden nach der Verabschiedung des Anti-LGBTI-Gesetzes wurde die trans Aktivistin Kesaria Abramidze von ihrem Ex-Freund ermordet. Im Oktober 2024 wurde auch Nata Talikishwili Opfer eines Hassverbrechens. Ein Mann schlug sie mit einem Ziegelstein. Sie kam mit einer Gehirnerschütterung davon.

Ärzt*innen kriminalisiert

"Diese Straftaten passieren nicht zufällig", meint Daniel Merebashwili. Das Gesetz habe so manchem "grünes Licht" gegeben, Gewalt gegen die queere Community auszuüben. "Jahrelang registrierten wir zwei bis drei Fälle von Hasskriminalität pro Monat", berichtet er. "Im September waren es plötzlich 24, seither kommt unsere Rechtsabteilung jeden Monat auf mindestens fünf Fälle." Wegen der Massenproteste würde das Anti-LGBTI-Gesetz noch nicht vollständig durchgesetzt. "Aber was passiert, wenn der Widerstand nachlässt?", sorgt sich Merebashwili.

Temida betreibt nach wie vor ein Schutzhaus, musste das Programm für geschlechtsangleichende Operationen jedoch beenden. Ärzt*innen, die trans Personen behandeln, würden kriminalisiert. Das bestätigt auch Nata Talikishwili: "Vorher kamen russische trans Frauen für medizinische Eingriffe nach Georgien. Jetzt müssen wir wohl in die Türkei fahren."

Das Team von Temida versucht nun, die NGO in der EU zu registrieren, um überleben zu können. Viele queere Personen würden Georgien verlassen, berichtet Daniel Merebashwili. "Es ist hier jetzt noch unsicherer als vorher." Er selbst will vorerst nicht ins Ausland gehen. "Ich möchte mir selbst treu bleiben. Ich gehe erst, wenn ich das Gefühl habe, dass ich hier fertig bin und nichts mehr für meine Community und meine Heimat tun kann." Auch Nata Talikishwili will bleiben: "Es geht ums Prinzip. Georgien gehört uns allen." Beka Gabadadze hat noch nicht entschieden, ob er bleibt.

Elias Dehnen ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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