Amnesty Journal Europa und Zentralasien 26. März 2019

Europawahl: "Geht wählen!"

Schüler halten Schilder vor dem Gebäude des britischen Parlaments in der Hand und protestieren.

Britische Schüler demonstrieren vor dem britischen Parlament im Februar 2019 in London.

Christoph Schuch hat keine Lust mehr, zuzuschauen, wie Europa auf Abwege gerät. Im Interview erzählt er, wie die Amnesty-Jugendbewegung vor der Wahl aktiv wird.

Interview: Gabriele Mittag

Zum ersten Mal engagiert sich die deutsche Amnesty-Jugendvertretung im Vorfeld einer Europawahl. Wie kam es dazu? 

Wir haben keine Lust mehr, länger zuzuschauen, wie Europa weiter auf Abwege gerät. Schließlich lässt sich schon seit mehreren Jahren eine Zunahme von Hass und Gewalt im politischen Leben sowie im Alltag vieler Menschen beobachten. Immer häufiger werden bestimmte Teile der Bevölkerung zur Zielscheibe von Hetzerinnen und Hetzern. Rassismus und Antisemitismus nehmen zu. Eine steigende Zahl an Menschenrechtsverletzungen hat dazu geführt, dass Grundpfeiler der Europäischen Union infrage gestellt werden.

Und dagegen wollt ihr etwas tun?

Hier entgegenzuwirken, war Anlass für die Amnesty-Hochschulgruppe in Göttingen, vor der Europawahl aktiv zu werden. Grundgedanke war, durch die Teilnahme an Wahlen proaktiv Menschenrechte zu schützen: Ein Parlament, das Menschenrechte ernst nimmt, könnte zum Beispiel dafür sorgen, dass Demonstrationen für die Seenotrettung auf dem Mittelmeer gar nicht mehr nötig sind, weil diese durch entsprechende Gesetze auf legislativem Weg garantiert wird. Mittlerweile ist die Europawahl ein festes Thema in der deutschen Jugendvertretung, aber auch in Arbeitsgruppen, Schülerinnen- und Hochschulgruppen von Amnesty. 

Wie gut seid ihr mit anderen europäischen Amnesty-Jugendvertretungen vernetzt? 

Wir sind Teil der European Amnesty Youth Action (EAYA). Das heißt, dass nicht nur die deutsche Jugendvertretung an dem Prozess beteiligt ist, sondern eine ganze Bandbreite von Gruppen in Deutschland und in Europa. Damit setzen wir ein positives Beispiel dafür, wie Vereinspolitik auf demokratische Art und Weise, von unten nach oben, funktionieren kann, sodass am Ende nicht nur geredet, sondern auch etwas getan wird. Wir ­haben ein Projekt vor uns, das international – in diesem Fall ­europäisch – gedacht und durchgeführt wird und damit über Grenzen hinweggeht. 

Wie funktioniert der Austausch?

Organisation und Austausch finden über eine Onlineplattform statt, auf der in mehreren Arbeitsgruppen an konkreten Aktionen gearbeitet wird. Dabei sehen wir immer wieder, dass es in der Arbeitsweise, aber auch bei den thematischen Schwerpunkten Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gibt. Diese Vielfalt wirkt sich aber in der Regel konstruktiv und be­reichernd auf unsere Arbeit aus. Was uns am Ende eint, ist die gemeinsame Vision von einem menschenrechtsfreundlichen, solidarischen Europa.

Was steht bei dieser Europawahl auf dem Spiel?

Die Europäische Union ist immer wieder als Friedensprojekt, als Projekt der Demokratie und Menschenrechte bezeichnet worden. Wenn wir heute sehen, dass Flüchtende im Mittelmeer ertrinken, weil die EU und ihre Mitgliedsstaaten nicht handeln, werden diese Prinzipien grundlegend in Frage gestellt. Die Wahl im Mai kann hier eine Kehrtwende sein, um Europa seinen eigentlichen Grundsätzen wieder gerechter werden zu lassen. Diese stehen auf dem Spiel – und damit auch unsere Zukunft. Es geht auch darum, breitere Bündnisse zu schmieden, nicht nur sein eigenes Süppchen zu kochen und Europa gemeinsam wieder auf den richtigen Weg zu bringen. 

Ein Mann trägt einen Schal und einen bunten Pullover und blickt in die Kamera.

Christoph Schuch ist Referent für Kampagnen, Aktionen und Menschenrechtsbildung der deutschen Amnesty-Jugendvertretung und ­Mitglied der Amnesty-Hochschulgruppe in Göttingen. Er studiert dort Philosophie und Rechtswissenschaften. Bei Amnesty International ist er seit 2016 aktiv.

Was sind dabei die wichtigsten Themen?

Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus ist enorm wichtig. Darüber hinaus geht es um soziale Rechte, die in der Europäischen Union kaum gewährleistet sind, obwohl der Begriff der Solidarität in den Grundlagentexten und -verträgen zuhauf zu finden ist. Dazu muss man sich nur die Lage von Arbeiterinnen und Arbeitern aus Rumänien anschauen, die für einen Hungerlohn in vielen EU-Staaten schuften. Und nicht zuletzt ist auch der Klimawandel ein Menschenrechtsthema, für das wir uns engagieren wollen, nein müssen! Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels in hohem Maße zu spüren bekommt, und die letzte, die das Problem mit einer rigorosen politischen Wende in den Griff bekommen kann.

Dazu braucht es Bündnispartner weit über Europa hinaus.

Das gilt für viele Themen. Deshalb müssen wir globaler denken, insbesondere im Hinblick auf die weltweite Verantwortung der Europäischen Union. Dennoch verfügt auch die EU über Kompetenzen, um die geschilderten Entwicklungen aufzuhalten – selbst wenn am Ende radikalere Schritte notwendig sind, um sie komplett zu stoppen. Genau deshalb fordern wir junge Leute auf, wählen zu gehen und ihre Stimme zu erheben.

Bei der letzten Europawahl lag die Beteiligung bei 49 Prozent. Wie wollt ihr Menschen dazu bewegen, wählen zu gehen?

Das Schlimme ist, dass die Wahlbeteiligung unter jungen ­Leuten noch deutlich niedriger lag. Wir wollen deshalb Themen behandeln, die die Jugend bewegen, und diese in passenden Aktionsformaten vermitteln. So planen wir unter anderem einen Smart Mob, eine Kampagne in den sozialen Medien und eine ­Fotoaktion, bei denen jeweils Interaktion und Partizipation im Vordergrund stehen. Bevormundung wäre der vollkommen falsche Ansatz. Uns geht es um Mitgestaltung und darum, dass jede einzelne Stimme wichtig ist, um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. So wollen wir einen Beteiligungsrahmen schaffen. Und verhindern, dass über die Zukunft Europas wie beim Brexit von der älteren Generation allein entschieden wird.

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