Aktuell Russische Föderation 27. September 2022

Russland: Aktivist offenbar wegen eines kriegskritischen Gedichts geschlagen und vergewaltigt

Das Bild zeigt einen jungen Mann, wie er von zwei vermummten Polizisten abgeführt wird.

Der russische Aktivist Artyom Kamardin bei seiner Festnahme am 26. September 2022. Das Bild stammt aus einem Video, das von dem regierungsfreundlichen russischen Telegram-Kanal "112" geteilt wurde.

+++TRIGGER-WARNUNG: Dieser Text enthält Berichte von Fällen brutaler sexualisierter Gewalt. Die Darstellungen können negative Reaktionen auslösen. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall sein könnte.+++

Der russische Lyriker und Aktivist Artyom Kamardin ist Berichten zufolge von Sicherheitskräften festgenommen, misshandelt und vergewaltigt worden, weil er im Internet ein kriegskritisches Gedicht rezitiert hatte. 

Natalia Zviagina, Direktorin von Amnesty International in Russland, gab als Reaktion darauf folgende Stellungnahme ab:

"Die Details der Festnahme und Folter von Artyom Kamardin sind selbst gemessen an der haarsträubenden Menschenrechtsbilanz des heutigen Russland erschreckend. Offenbar sind russische Ordnungskräfte der Überzeugung, dass sie beliebig und absolut straffrei Menschenrechtsverletzungen an Personen begehen können, die  gegen den russischen Krieg in der Ukraine sind. Die Welt darf davor nicht die Augen verschließen, sondern muss die russische Führung vielmehr daran erinnern, dass diejenigen, die für Völkerrechtsverbrechen verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Dies gilt sowohl für in der Ukraine begangene Kriegsverbrechen als auch für Menschenrechtsverletzungen in Russland.

Die Polizist*innen machten kein Geheimnis daraus, dass sie Artyom Kamardin folterten und ihn dann – mit sichtbaren Prellungen – zwangen, sich vor laufender Kamera dafür zu entschuldigen, dass er eine Aufnahme veröffentlicht hatte, in der er ein kriegskritisches Gedicht vortrug. Diese erzwungene 'Entschuldigung' wurde dann über Social-Media-Kanäle geteilt, die dem Kreml nahestehen.

Die russischen Behörden müssen die Berichte über Folter und andere Misshandlungen an Artyom Kamardin und anderen Aktivist*innen umgehend unabhängig, unparteiisch und zielführend untersuchen. Dass die Behörden dies bisher verweigern, sollte von der internationalen Gemeinschaft als weiteres Signal gewertet werden, unbedingt jeden anwendbaren internationalen, überregionalen und nationalen Mechanismus zum Einsatz zu bringen, um in fairen Verfahren diejenigen vor Gericht zu stellen, die für diese Menschenrechtsverletzungen und andere völkerrechtliche Verbrechen verantwortlich sind. Artyom Kamardin und alle anderen Personen, die gefoltert oder anderweitig misshandelt wurden, müssen Zugang zu jeder nötigen medizinischen Versorgung erhalten, und die Anklagen gegen sie müssen fallengelassen werden."

Tweet der schweizerischen Amnesty-Sektion:

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Hintergrund

Am 26. September 2022 verschafften sich bewaffnete Sicherheitskräfte Zutritt zu der Wohnung von Artyom Kamardin und seiner Freundin Aleksandra Popova und nahm sie beide sowie einen Freund des Paares, Aleksandr Menyukov, fest. Während dieser Razzia, bei der der Rechtsbeistand des Paares nicht anwesend sein durfte, wurde Artyom Kamardin Berichten zufolge von Polizist*innen geschlagen und durch Einführen einer Hantel vergewaltigt. Aleksandra Popova gab an, dass die Sicherheitskräfte dies filmten und Popova dann zwangen, sich die Aufnahmen anzusehen.

Artyom Kamardin wurde daraufhin gezwungen, sich hinzuknien und sich vor laufender Kamera für das Aufsagen eines kriegskritischen Gedichts zu "entschuldigen". Im Zusammenhang mit dem Rezitieren fiel der Satz: "Ehre der Kiewer Rus; Neurussland – fick dich".

Aleksandra Popova wurde eigenen Angaben zufolge ebenfalls von Polizist*innen misshandelt und beschimpft. Demnach beklebten die Sicherheitskräfte ihr Gesicht mit Aufklebern, die sie mit Sekundenkleber befestigten, rissen ihr Haare aus und drohten ihr mit Gruppenvergewaltigung. Später wurden bei Aleksandra Popova Kopfverletzungen und Prellungen festgestellt.

Bei Artyom Kamardin stellte man laut seinem Rechtsbeistand eine Gehirnerschütterung sowie mehrere Prellungen und andere Verletzungen fest. Die Behörden weigerten sich, den Aktivisten ins Krankenhaus zu bringen. Sein Gesundheitszustand ist derzeit unbekannt. 

Artyom Kamardin wird gemeinsam mit den Aktivisten Nikolai Dayneko und Yegor Shtovba vorgeworfen, "durch Gewaltandrohung Hass oder Feindschaft geschürt" zu haben Paragraf 282(2) des russischen Strafgesetzbuchs. 

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