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"Der Optimist in mir sagt, vier weitere Jahre voller Unsinn. Der Pessimist hält den Atem an"
George Saunders, geboren 1958 in Texas, aufgewachsen in Chicago, ist einer der bekanntesten US-Schriftsteller der Gegenwart.
© Ramin Talaie/Redux/laif
Der US-Schriftsteller George Saunders über die zweite Amtszeit von Donald Trump, liberale Fehler, verbannte Bücher und die Grenzen der Meinungsfreiheit.
Interview: Tanja Dückers-Landgraf
Am 20. Januar wird Donald Trump abermals US-Präsident. Machen Sie sich Sorgen?
Das Problem bei Trump ist, dass er so unberechenbar ist. Und was Menschen als Masse machen, ist auch nicht vorhersehbar. Ich hoffe, dass die geballte Inkompetenz, die wir schon während seiner ersten Amtszeit erleben konnten und die sich auch jetzt in der haarsträubenden Auswahl der Regierungsmitglieder und Berater*innen zeigt, bald wieder unübersehbar wird. Und dass dann die Leute spätestens bei den Midterm-Wahlen denken: Ich hätte es gern etwas sachlicher.
Sie neigen nicht zur Panik?
Nein, bestimmt nicht. Das hilft nicht. Ich kenne einige Leute, die Trump gewählt haben, Verwandte, Bekannte, Freunde – keine Ultrarechten, eher normale Leute. Viele von ihnen sind warmherzige Menschen, ohne viel politischen Durchblick, eher apolitisch. Es hilft nicht, sie alle zu verdammen. Auch wenn ich immer die Demokratische Partei gewählt habe: Als Mensch aus der Arbeiterklasse verstehe ich schon auch die rohe Energie und Wucht dieser populistischen Rebellion. In den vergangenen 40 Jahren ist so viel Geld zu den Wohlhabenden gewandert.
Wenn nicht Panik, welches Gefühl herrscht bei Ihnen vor?
Auf gewisse Weise bin ich erleichtert. Jetzt wissen wir es: So hat Amerika gewählt, so sieht dieses Land aus. Trump hat die Wahl gewonnen. Kamala Harris hat verloren. Aber nun geht es weiter.
Was kann man aus der Wahlniederlage lernen?
Wir können neu überlegen, wie eine gute Politik aussehen könnte. Mit der Demokratischen Partei ist es so wie mit einem alten Freund: Man stimmt nicht mehr ganz überein, versucht aber trotzdem, einen halbwegs netten Abend hinzubekommen. Vielleicht sollten wir auch über die Demokrat*innen hinausdenken. Was ich mir vorstelle, ist eine dritte Partei. Amerika krankt am Zweiparteiensystem. Nötig sein könnte eine neue Partei, die den Geist unserer Verfassung in sich trägt und die sagt: Es geht um die menschliche Würde, nicht um Identitätspolitik. Das heißt: Wenn jemand Transgender ist, dann geben wir diesen Leuten selbstverständlich alle Rechte, weil sie menschliche Wesen sind und durch die Verfassung und den Hinweis auf die Würde des und der Einzelnen geschützt sind. Und noch etwas: Die Person muss ihre Rechte nicht erbitten oder erkämpfen, sie hat sie bereits qua Verfassung.
Klarer Sieg: Unterstützer*innen Trumps in West Palm Beach, 6. November 2024.
© Chip Somodevilla / Getty Images
Haben Sie keine Angst, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden könnte?
Mir ist die Meinungsfreiheit wichtig, es muss eine weitreichende Meinungsfreiheit mit möglichst wenigen Ausnahmen geben. Am besten kombiniert mit besserer Bildung, sodass mehr Menschen in der Lage sind, laut vorgetragene, dumme Ideen schneller zu entlarven. Was die Meinungsfreiheit angeht, haben Linke und Liberale Fehler gemacht. Wenn man bestimmte Ideen verbannt oder an die Seite drückt – was vor allem im akademischen Bereich zuletzt zugenommen hat –, dann muss man sich nicht wundern, wenn Rechtsextreme eines Tages sagen, wir verbieten jetzt dies und das, ihr habt doch vorher auch eingeschränkt, was euch nicht gepasst hat.
Glauben Sie, dass es einen Bücherbann im großen Stil geben könnte?
Ja, es gibt diese Book Bans, und es werden mehr werden. Die Rechten gehen dabei clever vor. Niemand sagt: Wir verbieten Bücher! Es geht eher so: Nicht jedes Buch ist das Richtige für Kinder, nicht wahr? Wir wollen Kindern doch nichts Perverses zumuten, und dies und jenes ist doch eigentlich seltsam. So wird der Bücherbann kontinuierlich ausgeweitet. Restriktionen, die bis vor Kurzem undenkbar waren, werden langsam zum Mainstream. Es geht um kulturelle Normativität. Der Comedian George Carlin hat einmal gesagt, wenn die Faschist*innen zurückkehren, kommen sie nicht in Stiefeln – Marsch, Marsch –, sondern mit Tanzschritten. Sie machen das sehr geschickt.
George Saunders auf dem National Books Festival 2023
© Library of Congress Life 20230812SM2369, CC0
In ihrer Kurzgeschichte "Liebesbrief" schreibt ein Großvater an seinen Enkel: "Ich will nur sagen, dass die Geschichte, wenn sie geschieht, vielleicht nicht so aussieht wie man es aufgrund der Lektüre von Geschichtsbüchern erwartet."
Wir wissen es im Moment einfach nicht. Die Situation ist anders als 2016, weil Trump recht deutlich gewonnen hat. Während wir alle nervös warten und grübeln, was nach dem 20. Januar passieren könnte, bereiten sich seine Anhänger*innen diesmal gründlicher vor.
Erwarten Sie für die Geistes- und Sozialwissenschaften an den Hochschulen Eingriffe staatlicher Behörden?
Das ist eine berechtigte Sorge, und ich muss die Frage leider mit Ja beantworten. Man kann und wird Geld kürzen, umwidmen, aufschieben. Und wir müssen klug dagegenhalten, wo wir können.
Ihr Erzählband "Zehnter Dezember" trägt den Tag der Menschenrechte im Titel. Was hat Sie dazu bewogen?
Es ging mir nicht so sehr um diesen Tag, sondern allgemeiner um Menschlichkeit, auch mit ihren Widersprüchen und Abgründen.
Ihre Geschichten sind sehr subtil und moralisieren nicht.
Danke, das hoffe ich! Mir geht es in der Literatur weniger um Menschenrechte im Plural, sondern um das Menschenrecht des Einzelnen. Da gibt es zum Beispiel die Geschichte von Al Roosten, man könnte sagen einem frustrierten Trump-Wähler, der über einen Obdachlosen schimpft. Erstmal widerstrebt es einem, den Standpunkt des politischen Gegners zu übernehmen. Aber Literatur kann dies tun. Als Schriftsteller kann ich in einen anderen Menschen und in eine andere "Haltung zur Welt" hineinschlüpfen. Auch deswegen ist das Feld der Künste so wichtig. In der Kunst geht es auch um Uneindeutiges, man muss viel selbst denken. Ich sehe darin eine große Kraft. Das bedeutet aber, auch andere Meinungen auszuhalten. Und das sind wir nicht mehr gewohnt, weil mein Newsfeed in Social-Media-Plattformen nur das bedient, was ich kenne und mag – eine endlose Selbstbestätigung meiner eigenen langweiligen Ansichten.
Können Kultur und Kunst Vorurteile abbauen, etwa in Bezug auf Rassismus?
Wenn die Dinge persönlicher werden und näher kommen, fällt es schwerer, Vorurteile aufrechtzuerhalten. Als Kind bin ich mit meinen Eltern nach South Side Chicago gezogen, wir haben dort in einer Zeit gelebt, die sehr rassistisch geprägt war. Die Lektüre von Toni Morrisons Roman "Sehr blaue Augen" über eine arme schwarze Familie im Ohio der 1940er Jahre hat mir bei der Orientierung geholfen. Plötzlich war ich dieses kleine Mädchen, ihre Erfahrung wurde ein Stück weit zu meiner. So etwas kann Literatur. Dieses Buch hat meine Sicht verändert, mir wurden viele meiner internalisierten Muster klarer.
Sie kommen aus dem Bundesstaat Texas, der an Mexiko grenzt. Wie wird sich die Situation an der Grenze unter Trump entwickeln?
Trump wird sicher viele Menschen in Lateinamerika so abschrecken, dass sie nicht mehr kommen werden, und wird dies als Erfolg verbuchen. Das ist es aber nicht. Ich glaube, dass wir Migration brauchen. Die USA haben einen großen Teil ihres Erfolgs der Migration zu verdanken, und die meisten Menschen kommen mit guter Absicht. Es ist schrecklich, was an der Grenze passiert. Ich bin die gesamte Grenze zu Mexiko entlang gereist, um mir ein eigenes Bild zu machen. Um die unmenschlichen Zustände an der Grenze zu reduzieren, wäre eine Regulierung auf beiden Seiten notwendig, aber auf humane Art.
Ihre Erzählung "Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil" erschien in den USA vor fast 20 Jahren. Viele Menschen sehen darin Parallelen zur Gegenwart. An was dachten Sie, als Sie die Geschichte schrieben?
Ich habe zunächst an den Irakkrieg gedacht. Dann habe ich mir einige Katastrophen des 20. Jahrhundert angeschaut und überlegt, welche Gemeinsamkeiten es gibt und was die strukturelle und psychologische Essenz der Entstehung autoritärer Macht ist. Es ist das Ego, das sich ausweitet, und zur Macht greift, im Wunsch nach Permanenz und Unsterblichkeit. Und Macht korrumpiert. Ich versuchte dies mit dem Aufstieg von Phil zu beschreiben, der mal ein normaler Bürger wie andere auch war, und dann erst zum Monster wurde.
Sie haben einmal in einem Interview über ihren Roman "Lincoln im Bardo" gesagt: "Natürlich hat die letzte Wahl gezeigt, dass der Bürgerkrieg immer noch geführt wird." Glauben Sie, dass der US-Bürgerkrieg auch 160 Jahre nach seinem Ende immer noch seinen Schatten auf das Land wirft?
Auf jeden Fall. Bis hin zu einzelnen Formulierungen, die man in den Zeitungen findet. Die Demarkationslinien sind nicht viel anders als damals. Wenn etwas nicht genügend aufgearbeitet wird, kehrt es zurück. Das erleben wir jetzt.
Sie haben einen Hang zum Experiment, zu futuristischen Elementen, um die Gegenwart gedanklich fortzuführen. Wie könnten die USA im Jahr 2034 aussehen?
Darauf kann ich eine negative und eine positive Antwort geben: Die negative ist, dass ich mich eigentlich gar nicht traue, Ihnen dieses Interview zu geben, also Spuren im Internet zu hinterlassen. Wenn wir doch miteinander sprächen, würden wir nur über Unverfängliches sprechen. Die positive ist: So weit wird es nicht kommen. Die Leute in meinem Umfeld, die Trump gewählt haben, wollen keine Diktatur. Sie mögen die Demokrat*innen nicht so sehr und sind insgesamt recht unzufrieden. Sie wollen, hoffe ich, dass nach dem unvermeidlichen Desaster der Trump-Regierung wieder Effizienz ins Weiße Haus einzieht. Der Optimist in mir sagt, vier weitere Jahre voller Unsinn. Und der Pessimist hält den Atem an.
Woran arbeiten Sie derzeit?
Ich denke es wird in Richtung Krimi gehen. Eine lange Geschichte oder ein kurzer Roman. Das Tolle am Schreiben ist, dass man etwas Neues beginnt und dabei irgendwie immer wieder der verwirrte 18-Jährige ist, der man mal war. Verwirrung kann sehr produktiv sein, finde ich.
Tanja Dückers-Landgraf ist Autorin und Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
ZUR PERSON
Geboren 1958 in Texas, aufgewachsen in Chicago, ist einer der bekanntesten US-Schriftsteller der Gegenwart und Hochschullehrer für Kreatives Schreiben. Er verfasst hauptsächlich Kurzgeschichten, die regelmäßig in Zeitschriften wie The New Yorker und Harper’s Magazine erscheinen. Sein Romandebüt "Lincoln im Bardo" über Abraham Lincoln gewann den britischen Man Booker Prize. Bekannt wurde er nicht zuletzt durch seine Erzählbände "Der Zehnte Dezember" (dt. 2014) und "Tag der Befreiung" (dt. 2024). George Saunders lebt mit seiner Familie in den Catskill Mountains im Bundesstaat New York.