Pressemitteilung Aktuell 24. Oktober 2024

Myanmar/Bangladesch: Größte Bedrohung der Rohingya seit 2017

Ein zerstörtes Haus, Trümmer

Dieses Haus in der Nähe der Stadt Minbya in Myanmar wurde bei Kämpfen zwischen dem Militär und der Arkan Army zerstört (21. Mai 2024).

Die Rohingya sind von zwei Seiten durch Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht bedroht: durch das Militär von Myanmar und durch die Arakan Army, die gegen das Militär kämpft. Fliehen Rohingya nach Bangladesch, drohen ihnen Pushbacks und eine mangelnde Versorgung in den dortigen Flüchtlingscamps.

Neu angekommene Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch benötigen dringend Zugang zu Nahrungsmitteln, Unterbring und medizinischer Versorgung. Sie fliehen vor der schlimmsten Welle von Gewalt seit den Angriffen durch das myanmarische Militär im Jahr 2017, stellt Amnesty International fest.

Angehörige der Rohingya sind erbitterten Kämpfen zwischen dem myanmarischen Militär und der Arakan Army ausgesetzt. Die Arakan Army ist eine von vielen bewaffneten Gruppen, die gegen die Militärregierung kämpfen. Hunderttausende Menschen sind mittlerweile in Myanmar vertrieben und Zehntausende Rohingya versuchen, die Grenze nach Bangladesch zu überqueren bzw. haben bereits dort Schutz gesucht.

Theresa Bergmann, Asien-Referentin bei Amnesty International in Deutschland, sagt:

"Die Situation erinnert auf tragische Weise an die Massenvertreibungen von 2017. Wieder werden Angehörige der Rohingya aus ihrer Heimat vertrieben und getötet. Dieses Mal werden sie gleich zweifach verfolgt: von der Arakan Army und dem myanmarischen Militär, das Männer zwangsrekrutiert. Diejenigen, die es bis nach Bangladesch schaffen, haben nicht genug zu essen, keine angemessene Unterkunft und oft nicht einmal eigene Kleidung.

In Bangladesch drohen ihnen Pushbacks zurück nach Myanmar. Menschen in ein Land zurückzuschicken, in dem sie Gefahr laufen, getötet zu werden, verstößt gegen internationales Recht.

Die Arakan Army und das Militär müssen eine unabhängige Untersuchung möglicher Menschenrechtsverletzungen zulassen und sich an das humanitäre Völkerrecht halten. Wir fordern den UN-Sicherheitsrat weiterhin auf, die gesamte Situation in Myanmar an den Internationalen Strafgerichtshof zu verweisen."

Amnesty-Video auf X (ehemals Twitter):

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Die aktuelle Eskalation im Bundesstaat Rakhine hat im Oktober 2023 mit Operation 1027 begonnen, einer Gegenoffensive der Arakan Army und anderer bewaffneter Gruppen. Diese Operation stellt für das Militär die größte Bedrohung seiner Kontrolle seit dem Coup von 2021 dar. Es kommt verstärkt zu unterschiedslosen Luftangriffen seitens des Militärs, bei denen Zivilpersonen verletzt, vertrieben und getötet werden. Der Bundesstaat Rakhine, in dem noch immer viele der mehr als 600.000 Rohingya in Myanmar leben, ist dabei besonders stark betroffen. Diejenigen Rohingya, die es bis in Flüchtlingslager nach Bangladesch geschafft haben, berichten von einem eklatanten Mangel an lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen.

Im September 2024 hat Amnesty International mit 22 Personen Einzel- und Gruppeninterviews geführt, die vor Kurzem in Bangladesch Zuflucht gesucht haben. Die Geflüchteten haben berichtet, dass die Arakan Army rechtswidrig Rohingya-Zivilist*innen getötet und Menschen aus ihren Häusern vertrieben hat, wodurch sie weiteren Angriffen schutzlos ausgesetzt waren. Die Arakan Army bestreitet dies. Die Rohingya sind zusätzlich den Luftangriffen des myanmarischen Militärs ausgesetzt, bei denen sowohl Zivilist*innen der Rohingya und der ethnischen Gruppe der Rakhine getötet wurden. 

Pushbacks aus Bangladesch

Die Menschen, mit denen Amnesty International in Bangladesch gesprochen hat, waren zuvor aus der Gemeinde Maungdaw im Norden des Bundesstaates Rakhine geflohen, die die Arakan Army im Mai dieses Jahres vom myanmarischen Militär zurückerobern wollte. Viele dieser Geflüchteten sind Überlebende eines Drohnen- und Mörserangriffs vom 5. August an den Ufern des Grenzflusses Naf. Amnesty International konnte nicht zweifelsfrei feststellen, wer Verantwortung für diesen Angriff trägt. Alle Gesprächspartner*innen haben betont, dass sie nun dringend Zugang zu humanitärer Nothilfe, Unterbringung, Geld und Nahrungsmitteln benötigen.

Sie haben große Angst, nach Myanmar abgeschoben zu werden – eine durchaus gängige Praxis der Grenzbehörden von Bangladesch, wie Amnesty International festgestellt hat, die so den Grundsatz des Non-Refoulement im internationalen Recht brechen. 

Das Bild viele Menschen, die in einem kleinen Boot sitzen

Menschen fliehen im Bundesstaat Rakhine in Myanmar vor den Kämpfen zwischen dem Militär und der Arkan Army (Archivaufnahme vom Dezember 2023)

Bei einem Treffen mit Amnesty International haben Beamt*innen aus Bangladesch die Refoulement-Vorwürfe zurückgewiesen. Sie haben jedoch erklärt, dass die Grenzbeamt*innen Menschen beim Versuch, die Grenze zu überqueren, "abfangen". Die Beamt*innen haben auch betont, dass das Land nicht noch mehr Rohingya-Flüchtlinge aufnehmen kann.

Rohingya, die es in die Flüchtlingslager geschafft haben, leben dort von der Unterstützung ihrer Verwandten. Insbesondere Personen, die erst kürzlich in Bangladesch angekommen sind, konnten sich laut eigener Aussage nicht beim UN-Flüchtlingshilfswerk registrieren lassen, um Unterstützung zu erhalten. Infolgedessen erhalten viele von ihnen keine Mahlzeiten und trauen sich aus Angst vor Abschiebung nicht, sich frei zu bewegen – nicht einmal um dringend benötigte medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen.

Die befragten Personen haben eine verschlechterte Sicherheitslage in den Lagern beschrieben, die vor allem auf die Präsenz von zwei bewaffneten Rohingya-Gruppen zurückzuführen ist: die Rohingya Solidarity Organization und die Arakan Rohingya Salvation Army. Die sich verändernde Konfliktdynamik im Bundesstaat Rakhine hat dazu geführt, dass sich einige militante Rohingya mit der Militärregierung in Myanmar verbündet haben. Viele Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch befürchten daher, dass sie oder ihre Familienangehörigen entführt und zwangsrekrutiert werden, um in Myanmar zu kämpfen. Die große Mehrheit der Befragten hofft auf eine Aufnahme in einem Drittland.

Das Bild zeigt mehrere Personen im Vordergrund, die auf dem Boden sitzen und müde in die Kamera schauen, darunter sind viele Kinder, Im Hintergrund sind man Menschen, die schwere Säcke und Taschen auf den Schultern tragen.

Schutzsuchende Rohingya, die vor den Gewalttaten des myanmarischen Militärs nach Bangladesch geflohen sind ( Aufnahme vom 9. Oktober 2017).

Menschenrechtsverletzungen durch die Arakan Army und das Militär in Myanmar

Seit Jahrzehnten verfolgt das Militär von Myanmar die Gruppe der Rohingya. Im Jahr 2017 hat es sie massenhaft vertrieben. Doch im Rahmen eines landesweiten Militärdienstgesetzes werden sie nun gezwungen, zur Armee zu gehen. Die Junta hat Berichten zufolge auch ein informelles "Friedensabkommen" mit der Rohingya Solidarity Organization getroffen. Sie ist eine bereits länger existierende bewaffnete Rohingya-Gruppe, die in den vergangenen Monaten als Akteur wieder aufgetaucht ist. Diese komplexen Entwicklungen haben die Spannungen zwischen Angehörigen der Rohingya und der Rakhine, die die Arakan Army zu vertreten vorgibt, weiter angeheizt. Immer häufiger werden Anschuldigungen über Menschenrechtsverletzungen der bewaffneten Gruppen geäußert, die gegen das Militär kämpfen. 

Die Arakan Army erklärte auf Fragen von Amnesty International, dass solche Anschuldigungen unbegründet und unglaubwürdig seien. Sie gab an, dass sie die Zivilbevölkerung vor ihren Operationen gewarnt habe, Maungdaw zu verlassen und dass sie bei deren Evakuierung geholfen habe. Außerdem habe sie ihre Soldat*innen angewiesen, zwischen Zivilbevölkerung und Kämpfer*innen zu unterscheiden. Im Falle von Verstößen ergreife sie disziplinarische Maßnahmen.

Fast alle Personen, mit denen Amnesty sprach, haben angegeben, dass sie mindestens eine verwandte Person verloren haben, als sie versuchten, aus Myanmar zu fliehen. Verschiedene Personen aus Maungdaw haben von Bombenangriffen auf Geflüchtete berichtet, die nahe der Grenze zu Bangladesch am Fluss Naf Schutz gesucht hatten. Eine Augenzeugin sagte, sie habe nach einer Explosion rund 200 Tote am Ufer gesehen. Aus den Krankenakten, die Amnesty International in den Tagen nach den Angriffen zur Verfügung gestellt wurden, geht hervor, dass einige Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Bangladesch wegen Verletzungen durch Bombenexplosionen behandelt wurden. Seit August hat die Behandlung von Kriegsverletzungen bei Menschen, die aus Myanmar fliehen, dramatisch zugenommen. Augenzeug*innen haben Amnesty International ebenfalls über gezielte Tötungen von Zivilist*innen durch die Arakan Army berichtet.

In ihrer Antwort an Amnesty International erklärte die Arakan Army, dass wahrscheinlich das Militär von Myanmar oder mit ihm verbündete bewaffnete Gruppen die Hauptverantwortlichen für die Angriffe seien. Umso dringender ist aus Sicht von Amnesty International eine unabhängige Untersuchung der Gewalt.

Der Militärputsch in Myanmar im Jahr 2021 hatte katastrophale Folgen für die Menschenrechte. Angehörige der Armee töteten mehr als 5.000 Zivilpersonen und nahmen mindestens 25.000 Menschen fest. Seit dem Putsch hat Amnesty International außerdem unterschiedslose Luftangriffe der Armee dokumentiert, die als Kriegsverbrechen untersucht werden müssen, ebenso wie Folter und Misshandlung von Inhaftierten und willkürliche Festnahmen. 

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