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Deutschland: Paragraf-129-Anklage gegen Letzte Generation verschärft Kriminalisierung von Protest
Protest von Amnesty International und weiteren Organisationen in Berlin gegen die Kriminalisierung von Klimaaktivist*innen durch die Anwendung des Paragrafen 129 des Strafgesetzbuches (22. Mai 2024)
© Amnesty International, Foto: Jarek Godlewski
Amnesty International und Green Legal Impact verurteilen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Neuruppin, öffentliche Anklage nach § 129 Strafgesetzbuch (StGB) gegen Mitglieder der Letzten Generation zu erheben.
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat entschieden, öffentlich Anklage gegen die Letzte Generation wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zu erheben.
Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Mit der Anklage erreicht die Kriminalisierung von Klimaprotest in Deutschland eine neue Eskalationsstufe. Der Paragraf 129 StGB dient eigentlich zur Bekämpfung organisierter Kriminalität. Seine Anwendung auf gewaltfreien Protest kriminalisiert zivilgesellschaftliches Engagement und schränkt damit demokratische Freiräume ein. Unliebsamen Protest mit Mitteln des Strafrechts zu delegitimieren und einzuschüchtern, steht im Widerspruch zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit, wie sie in den Menschenrechten und im Grundgesetz verankert sind. Wir sind sehr besorgt über diese Entwicklung und rufen die Strafjustiz dazu auf, in ihren Entscheidungen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu achten."
An der Begründung eines hinreichenden Verdachts nach § 129 StGB bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel. Der Straftatbestand setzt unter anderem voraus, dass von der Vereinigung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
Emmanuel Schlichter von Green Legal Impact sagt: "Proteste der Letzten Generation wie Straßenblockaden stören, fallen aber als Form friedlichen Protests in den Schutzbereich der Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Die Aktionen sind erkennbar auf die Teilhabe am öffentlichen Diskurs ausgerichtet, was in einer Demokratie ausdrücklich erwünscht ist. Das Vorgehen der Bewegung ist öffentlich und transparent. Der Protest fordert eine effektive Klimaschutzpolitik und damit schlicht die Einhaltung des geltenden Verfassungs- und Völkerrechts. In Zeiten einer eklatanten Verfehlung der gesetzlichen, verfassungs- und völkerrechtlichen Klimaziele sendet die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ein fatales Signal an junge Menschen, die aus Angst vor den Folgen des klimapolitischen Versagens der Politik ihren Protest auf die Straße tragen."
Weitreichende Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft
Mit der Annahme eines hinreichenden Tatverdachts ist auch das Umfeld der Letzten Generation der Gefahr von Strafverfolgung ausgesetzt: § 129 StGB bestraft nicht nur die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, sondern auch jede Tätigkeit, die die Zwecke der Vereinigung fördert. Damit drohen allen Menschen, die die Protestierenden finanziell, logistisch, politisch, juristisch, medial oder anderweitig unterstützen, strafrechtliche Konsequenzen.
Außerdem erlaubt der Vorwurf nach § 129 StGB als "Türöffner" weitreichende Ermittlungsmaßnahmen wie Razzien, die tief in Grundrechte von Dritten eingreifen können. Potenziell betroffen sind damit auch andere Klimagerechtigkeitsbewegungen wie Fridays for Future aber auch Journalist*innen, Anwält*innen, NGOs und selbst Dienstleistende, wie die Durchsuchungen bei dem Zahlungsdienstleister Elinor oder der Werbeagentur Zitrusblau im Mai 2023 gezeigt haben.
Hintergrund
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat am 21.05. Klage gegen fünf Angeschuldigte aus der Klima-Bewegung Letzte Generation nach § 129 StGB erhoben. Nach Auffassung der Ermittlungsbehörden besteht der hinreichende Tatverdacht, dass Aktivist*innen mit der Letzten Generation eine kriminelle Vereinigung gegründet und diese als Rädelsführer*innen angeführt haben. Dafür drohen den Angeschuldigten zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Haft.
Die Erhebung der Anklage steht im Kontext einer besorgniserregenden Entwicklung zunehmender staatlicher Repressionen gegen Proteste. Amnesty International hat Deutschland im September 2023 als Land eingestuft, in dem die Versammlungsfreiheit zunehmend eingeschränkt wird. Green Legal Impact veröffentlichte im Dezember 2023 einen umfangreichen Bericht zu "Shrinking Spaces" für die Klimabewegung.
Amnesty International setzt sich mit der Kampagne 'Protect the Protest' gegen die Unterdrückung von friedlichem Protest ein, solidarisiert sich mit den Betroffenen und unterstützt die Anliegen sozialer Bewegungen, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Mit einer E-Mail-Aktion an Justizminister Buschmann fordert Amnesty International, dass der § 129 StGB - Bildung einer kriminellen Vereinigung – so reformiert wird, dass eine Kriminalisierung von friedlichem Protest ausgeschlossen ist.