Amnesty Report 22. Februar 2015

Kongo (Demokratische Republik) 2015

 

Die Sicherheitslage im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) war weiterhin angespannt. Zunehmende Gewaltakte bewaffneter Gruppen forderten das Leben Tausender Zivilpersonen und zwangen mehr als 1 Mio. Menschen, ihre Wohnstätten zu verlassen. Sowohl die Sicherheitskräfte als auch bewaffnete Gruppen verübten Menschenrechtsverstöße wie Tötungen und Massenvergewaltigungen. Gewalt gegen Frauen und Mädchen war im gesamten Land weit verbreitet. Pläne, die Verfassung zu ändern, um Präsident Joseph Kabila die Verlängerung seiner Amtszeit über das Jahr 2016 hinaus zu ermöglichen, riefen Proteste hervor. Menschenrechtsverteidiger, Journalisten sowie Angehörige der politischen Opposition wurden von bewaffneten Gruppen und Sicherheitskräften bedroht, schikaniert und willkürlich festgenommen.

Hintergrund

Der kongolesischen Armee (Forces Armées de la République Démocratique du Congo – FARDC) gelang es im Jahr 2013 mit Unterstützung durch die UN-Stabilisierungsmission MONUSCO, die Rebellengruppe Bewegung 23. März (Mouvement du 23-Mars – M23) zu besiegen und aufzulösen. Der Konflikt im Osten der DR Kongo war damit jedoch noch nicht beendet, weil andere bewaffnete Gruppen ihre Operationsgebiete ausweiteten und nach wie vor gegen Zivilpersonen vorgingen.

Im Januar 2014 startete die Regierung eine Militäroperation gegen die bewaffnete Gruppe Allied Democratic Forces (ADF) im Verwaltungsbezirk Beni in der Provinz Nordkivu. Obwohl die Operation Sokola 1 ("Säuberungsaktion" in der Bantusprache Lingala) die Rebellen der ADF von ihrem Stützpunkt in den Wäldern vertrieb, formierten sich diese im Oktober neu und verübten mehrere Angriffe, bei denen Zivilpersonen getötet und entführt wurden.

In den Provinzen Nordkivu, Südkivu und Katanga sowie im Distrikt Ituri waren weiterhin andere bewaffnete Gruppen aktiv, die schwere Menschenrechtsverstöße an Zivilpersonen begingen.

Einige Kämpfer der Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) nahmen an Demobilisierungsprogrammen der MONUSCO teil und eine kleine Anzahl wurde in staatlichen Lagern interniert. Andere führten jedoch im Osten des Landes ihre bewaffneten Aktivitäten fort. Das MONUSCO-Programm zur Demobilisierung, Entwaffnung, Repatriierung, Neuansiedlung und Wiedereingliederung von Soldaten der FDLR schloss auch ehemalige Kindersoldaten ein.

Im Juli 2014 ernannte Präsident Kabila Jeannine Mabunda zu seiner persönlichen Beauftragten für den Kampf gegen sexuelle Gewalt und die Rekrutierung von Kindersoldaten.

Im November traten mehrere hundert Richter für eine bessere Bezahlung in Streik.

Menschenrechtsverstöße bewaffneter Gruppen

Bewaffnete Gruppen begingen im Osten der DR Kongo Gräueltaten gegen Zivilpersonen, vor allem in den Provinzen Nordkivu und Südkivu, im Norden der Provinz Katanga und im Distrikt Ituri. Dazu zählten rechtswidrige Tötungen, Massenhinrichtungen, Zwangsrekrutierung von Kindern, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt, Plünderungen im großen Stil, Niederbrennen von Häusern und Zerstörung von Eigentum. Die Angriffe waren von extremer Gewalt gekennzeichnet, die in einigen Fällen ethnisch motiviert war. Bei einigen Kämpfen ging es um die Kontrolle über Bodenschätze und Handel. Der leichte Zugang zu Waffen und Munition beförderte die Gewalt.

Unter den bewaffneten Gruppen, die Verstöße gegen Zivilpersonen begingen, waren die FDLR, die ADF, Nyatura, die Lord’s Resistance Army (LRA), die unter dem Namen Mayi Mayi Sheka bekannte Nduma Defence of Congo (NDC) und verschiedene weitere Mayi-Mayi-Gruppen wie die Mayi Mayi Lafontaine, die Mayi Mayi Simba und die Mayi Mayi Bakata Katanga.

Im Juni 2014 wurden bei Angriffen der Nyatura im Verwaltungsbezirk Rutshuru in Nordkivu mindestens vier Zivilpersonen getötet und zahlreiche Häuser niedergebrannt.

In der Nacht auf den 6. Juni wurden bei einem Angriff einer unbekannten bewaffneten Gruppe in Mutarule im Verwaltungsbezirk Uvira in Südkivu mindestens 30 Zivilpersonen getötet. Die meisten Opfer gehörten der ethnischen Gruppe der Bafulero an. Der Vorfall ereignete sich nur wenige Kilometer von einem Stützpunkt der MONUSCO entfernt.

Zwischen Anfang Oktober und Ende Dezember 2014 verübte die ADF in mehreren Städten und Dörfern im Verwaltungsbezirk Beni in Nordkivu und im Distrikt Ituri in der Provinz Orientale Berichten zufolge eine Reihe von Angriffen auf Zivilpersonen, bei denen mindestens 270 Menschen getötet wurden. Zahlreiche weitere Personen wurden entführt. Die Angreifer plünderten auch das Eigentum von Zivilpersonen.

Zwischen dem 3. und 5. November tötete die FDLR 13 Personen in den Dörfern Misau und Misoke im Verwaltungsbezirk Walikale in Nordkivu.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen waren weiterhin an der Tagesordnung, nicht nur in den Konfliktgebieten, sondern auch in Landesteilen, die nicht von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen waren. Bewaffnete Gruppen, Angehörige der Sicherheitskräfte und unbewaffnete Zivilpersonen begingen sexuelle Gewalttaten. Die für Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt Verantwortlichen genossen de facto absolute Straflosigkeit.

Bei Angriffen auf Dörfer in abgelegenen Gebieten, insbesondere in Nordkivu und Katanga, waren bewaffnete Gruppen wie auch Angehörige der Sicherheitskräfte für brutale Massenvergewaltigungen verantwortlich. Bei diesen Angriffen wurde häufig auch gefoltert, getötet und geplündert.

Zwischen dem 4. und 17. Juli 2014 sollen Kämpfer der Mayi Mayi Simba im Dorf Mangurejipa und an nahegelegenen Bergbaustandorten im Verwaltungsbezirk Lubero in Nordkivu mindestens 23 Frauen und Mädchen vergewaltigt haben.

Im Oktober vergewaltigten Soldaten eines Spezialkommandos der kongolesischen Armee zahlreiche Frauen und Mädchen im Dorf Kansowe im Verwaltungsbezirk Mitwaba in der Provinz Katanga. Die Soldaten waren dorthin verlegt worden, um die bewaffnete Gruppe der Mayi Mayi Bakata Katanga zu bekämpfen.

Zwischen dem 3. und 5. November wurden mindestens zehn Frauen in den Dörfern Misau und Misoke im Verwaltungsbezirk Walikale in der Provinz Nordkivu vergewaltigt. Es wird angenommen, dass es sich bei den Tätern um Kämpfer der FDLR handelte.

Kindersoldaten

Die bewaffneten Gruppen rekrutierten auch Kinder. Viele von ihnen waren sexueller Gewalt und grausamer und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt, während sie als Kämpfer, Träger, Köche, Führer, Spione oder Boten eingesetzt wurden.

Binnenvertriebene

Die Niederschlagung der bewaffneten Gruppe M23 im Jahr 2013 ermöglichte die schrittweise Schließung von Lagern für Binnenflüchtlinge im Umkreis der Stadt Goma. Aufgrund der zunehmenden Gewalt gegen Zivilpersonen durch andere bewaffnete Gruppen mussten jedoch neue Lager für Personen errichtet werden, die vor Menschenrechtsverstößen flohen. Zum 17. Dezember 2014 betrug die Zahl der Binnenflüchtlinge ungefähr 2,7 Mio. Menschen. Die meisten Vertreibungen wurden durch die bewaffneten Konflikte in den Provinzen Nordkivu, Südkivu sowie im Norden Katangas und im Distrikt Ituri ausgelöst.

Folter und andere Misshandlungen

Folter und andere Misshandlungen waren im ganzen Land weit verbreitet und wurden von den Sicherheitskräften häufig während rechtswidriger Festnahmen und Inhaftierungen angewendet. Es liegen Berichte über einige Todesfälle aufgrund von Folter vor. Sowohl die Polizei als auch Angehörige der Geheimdienste und der Präsidentengarde wurden beschuldigt, für Folter und andere Misshandlungen verantwortlich zu sein.

Gewalt zwischen ethnischen und religiösen Gruppen

Im Verwaltungsbezirk Tanganjika in der Provinz Katanga verschärften sich die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen der Batwa und der Luba und führten zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gemeinschaften. Dadurch verschlechterte sich die ohnehin schon durch die bewaffnete Gruppe der Mayi Mayi Bakata Katanga destabilisierte Sicherheitslage noch weiter. Es wurden gezielt Zivilpersonen ins Visier genommen und schwerwiegende Menschenrechtsverstöße begangen. Beide Gruppen waren für Tötungen, Entführungen und sexuelle Gewalt verantwortlich. Sie missbrauchten Kinder für die Verübung von Gewalttaten, plünderten Häuser und brannten sie nieder.

Im Juni und Juli 2014 wurden im Dorf Longa im Verwaltungsbezirk Kabalo in der Provinz Katanga 26 Frauen und Mädchen der Batwa gefangen genommen und vergewaltigt. Weitere 37 Frauen aus demselben Dorf wurden entführt und als Sex-Sklavinnen in Luala festgehalten. Bei den Tätern soll es sich um Luba-Milizen gehandelt haben. Mindestens 36 weitere Frauen wurden vergewaltigt, als sie versuchten, nach Nyunzu zu fliehen.

Straflosigkeit

Die Straflosigkeit leistete nach wie vor weiteren Menschenrechtsverletzungen und -verstößen Vorschub. Die Bemühungen der Justizbehörden, die Kapazitäten der Gerichte zur Durchführung von Verfahren auszuweiten, waren wenig erfolgreich. Dies galt auch für Verfahren, in denen es um Menschenrechtsverstöße geht. Auch Maßnahmen, mit denen sichergestellt werden sollte, dass die von der kongolesischen Armee und von bewaffneten Gruppen verübten Verbrechen im Sinne des Völkerrechts geahndet werden, erzielten nur wenige erkennbare Erfolge.

Am 5. Mai 2014 wurde das Urteil in einem Prozess gesprochen, in dem es um die Vergewaltigung von mehr als 130 Frauen und Mädchen sowie um Mord und Plünderung ging. Kongolesische Soldaten, die im November und Dezember 2012 vor den vorrückenden Rebellen der M23 geflohen waren, hatten diese Verbrechen in der im Osten gelegenen Stadt Minova und ihrem Umkreis begangen. Trotz überwältigender Beweise für die Massenvergewaltigungen in Minova, darunter Aussagen von Opfern und Zeugen, wurden nur zwei der 39 angeklagten Soldaten wegen Vergewaltigung verurteilt. Andere Angeklagte wurden wegen Mordes, Plünderung und Militärstraftaten schuldig gesprochen.

Der Anführer der M23, General Bosco Ntaganda, hatte sich im Jahr 2013 an die Botschaft der USA in Kigali gewandt und um Überstellung an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gebeten, der im Jahr 2006 einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. Andere M23-Anführer, die in Uganda und Ruanda im Exil waren, genossen weiterhin Straflosigkeit für die Verbrechen, die sie in den Verwaltungsbezirken Rutshuru und Nyiragongo begangen haben sollen.

Im Mai 2014 lehnte das Parlament einen Gesetzesvorschlag ab, dem zufolge das Römische Statut des IStGH in nationales Recht überführt werden sollte. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Vorschlag zur Einrichtung von Sonderstrafrechtskammern zur strafrechtlichen Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, die vor Inkrafttreten des Römischen Statuts begangen wurden.

Unfaire Gerichtsverfahren

Das Justizsystem war wenig leistungsfähig und litt unter Ressourcenmangel. Die Gerichte waren häufig nicht unabhängig von äußeren Einflüssen, und Korruption war weit verbreitet. Rechtshilfe war nicht verfügbar, sodass viele Angeklagte ohne Rechtsbeistand blieben. Außerdem wurden die Rechte von Angeklagten häufig verletzt.

Haftbedingungen

Das Strafvollzugssystem war weiterhin unterfinanziert. Die Untersuchungshäftlinge und verurteilten Straftäter waren in maroden Gebäuden untergebracht, und es herrschten Überbelegung und unhygienische Zustände. Viele Inhaftierte starben infolge von Mangelernährung oder weil sie keine angemessene medizinische Versorgung erhielten.

Die unsichere Lage für Häftlinge wurde noch dadurch verstärkt, dass Frauen nicht von Männern, Untersuchungshäftlinge nicht von verurteilten Straftätern und Militärangehörige nicht von Zivilpersonen getrennt untergebracht waren.

Menschenrechtsverteidiger

Die Niederschlagung der bewaffneten Gruppe M23 trug zu einer leichten Verbesserung der Situation von Menschenrechtsverteidigern in den Verwaltungsbezirken Rutshuru und Nyiragongo bei. Trotzdem waren Menschenrechtsverteidiger und Gewerkschafter im ganzen Land weiterhin Drohungen, Einschüchterungsversuchen und Festnahmen durch Sicherheitskräfte und bewaffnete Gruppen ausgesetzt. Einige sahen sich zur Flucht gezwungen, nachdem sie wiederholt Morddrohungen per SMS, mittels anonymer Telefonanrufe oder bei nächtlichen Besuchen von Bewaffneten erhalten hatten.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Im ganzen Land kam es weiterhin zu willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen. Angehörige der Polizei, Geheimdienste und Armee führten willkürliche Festnahmen durch. Sie erpressten auch regelmäßig Geld und Wertgegenstände von Zivilpersonen während der Strafvollzugsmaßnahmen oder an Kontrollposten.

Einige Gefolgsleute der politischen Opposition, die an Demonstrationen teilgenommen hatten, auf denen zum politischen Dialog aufgerufen und gegen Versuche zur Änderung der Verfassung protestiert worden war, wurden willkürlich festgenommen und misshandelt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Das Recht auf freie Meinungsäußerung war erheblich eingeschränkt. Insbesondere Kritik an der geplanten Verfassungsänderung wurde drastisch unterdrückt. Friedliche Zusammenkünfte und Demonstrationen wurden routinemäßig verboten oder von den Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst.

Besonders Angehörige der politischen Opposition, Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen und Journalisten sahen sich Repressalien ausgesetzt. Einige wurden festgenommen und misshandelt, andere nach unfairen Verfahren, die auf konstruierten Anklagen beruhten, inhaftiert. So wurde der Regierungsgegner Jean-Bertrand Ewanga, Mitglied der Oppositionspartei Union pour la Nation Congolaise (UNC), wegen Beleidigung des Präsidenten inhaftiert. Der Fernsehsender Canal Futur, der dem Oppositionsführer Vital Kamerhe gehören soll, blieb auf Anordnung der Behörden das ganze Jahr über geschlossen.

Nachdem das Gemeinsame UN-Menschenrechtsbüro (UN Joint Human Rights Office – UNJHRO) einen Bericht über staatlichen Mord und Fälle von Verschwindenlassen während einer Polizeioperation in Kinshasa veröffentlicht hatte, wurde der Leiter von UNJHRO, Scott Campbell, am 16. Oktober 2014 vom Innenminister zur Persona non grata erklärt und des Landes verwiesen. Andere Mitarbeiter des UNJHRO berichteten ebenfalls, dass sie nach Veröffentlichung des Berichts Drohungen erhalten hätten.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Zwischen dem 4. April und Anfang September 2014 wurden mehr als 170000 Bürger der DR Kongo aus der Republik Kongo in die DR Kongo ausgewiesen. Unter ihnen befanden sich Flüchtlinge und Asylsuchende. Einige der ausgewiesenen Personen sollen dem Vernehmen nach in Kinshasa festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten worden sein.

Die Regierung stellte nur wenig Hilfe für Flüchtlinge und Asylsuchende zur Verfügung. Im September 2014 lebten mehr als 100 Familien auf den Straßen von Kinshasa – ohne Zelte, medizinische Versorgung, Nahrungsmittel oder sonstige Unterstützung.

Internationale Strafverfolgung

Am 7. März 2014 sprach der IStGH Germain Katanga, Kommandeur der Patriotischen Widerstandskräfte von Ituri (Force de Résistance Patriotique en Ituri – FRPI), schuldig, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen zu haben. Die Verbrechen waren am 24. Februar 2003 während eines Angriffs auf das Dorf Bogoro im Verwaltungsbezirk Ituri verübt worden. Am 23. Mai wurde er zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Am 9. Juni bestätigte die Vorverfahrenskammer II des IStGH die Anklage gegen Bosco Ntaganda wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in den Jahren 2002 und 2003 im Verwaltungsbezirk Ituri verübt worden sein sollen.

Der mutmaßliche Kommandeur des bewaffneten Flügels der FDLR, Sylvestre Mudacumura, befand sich noch immer auf freiem Fuß, obwohl der IStGH am 13. Juli 2012 einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte.

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