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Puerto Rico 2023
© Amnesty International
Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023
Die Regierung setzte häufig exzessive Gewalt gegen Demonstrierende ein. Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen war durch 2023 eingebrachte Gesetzentwürfe gefährdet. LGBTI+ wurden nach wie vor diskriminiert und hatten nur eingeschränkt Zugang zu Wohnraum. Femizide blieben auch weiterhin straflos. Rassistische Diskriminierung blieb an der Tagesordnung. Gestiegene Lebensmittel- und Strompreise gefährdeten die Rechte der Menschen.
Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Die Regierung schüchterte Demonstrierende weiterhin ein und wandte bei Demonstrationen unverhältnismäßige Gewalt an. Von der Polizei ausgeübte Gewalt blieb häufig ungeahndet. Bei Demonstrationen gegen Vertreibung und Umweltzerstörung wurden 2023 mindestens 17 Personen festgenommen.
Am 29. Januar 2023 nahm die Polizei bei einer Demonstration, bei der die Einhaltung einer gerichtlichen Anordnung zum Abriss eines illegal errichteten Gebäudes in einem Küstenareal der Gemeinde Aguadilla gefordert wurde, fünf Frauen und einen Mann fest. Im Juli wurden fünf der Protestierenden wegen "Behinderung der Tätigkeiten einer öffentlichen Behörde" angeklagt.
Am 4. März 2023 nahm die Polizei bei Protesten drei Umweltschützer*innen fest. Sie hatten den bereits gerichtlich angeordneten Abriss und die Beseitigung von Schutt von einer illegalen Baustelle an einem Strand in der Gemeinde Rincón gefordert. Das Bauprojekt war schon seit 2021 Gegenstand von Protesten, weil rechtswidrig öffentlicher Grund genutzt worden war.
Am 6. Juli 2023 protestierten Bewohner*innen der zu Puerto Rico gehörenden Insel Vieques gegen die Versteigerung öffentlicher Grundstücke, weil diese ihrer Ansicht nach einem Anstieg der Immobilienpreise Vorschub leistete und so das Problem der Vertreibung von Anwohner*innen noch verschärfte. Laut dem örtlichen Verein La Colmena Cimarrona wurden einige Demonstrantinnen von der Polizei tätlich angegriffen.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Es gab 2023 mehrere Versuche, Gesetze zur Beschränkung von Schwangerschaftsabbrüchen zu verabschieden, nachdem der Oberste Gerichtshof der USA 2022 entschieden hatte, das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch nicht länger verfassungsrechtlich zu schützen. Im März 2023 wurde der Gesetzesvorschlag 1644 des Repräsentantenhauses zurückgezogen, der im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs 25 Jahre Haft für die Betroffenen vorgesehen hätte. Der 2021 eingebrachte Gesetzentwurf 495 wurde jedoch nach wie vor im Senat debattiert. Dieser sah die vorherige Erlaubnis von mindestens einem Elternteil oder Erziehungsberechtigten vor, bevor eine Person unter 18 Jahren einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen kann.
Im Mai 2023 forderten Parlamentsmitglieder die Regierung auf, Untersuchungen im Fall von vier Kliniken einzuleiten, die es versäumt haben sollen, die Behörden über von ihnen durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche bei Personen unter 15 Jahren zu informieren, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet gewesen wären. Derartige Gesetzesregelungen könnten dazu genutzt werden, Kliniken zu diskreditieren und den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu behindern.
Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)
Trans Menschen wurden nach wie vor diskriminiert. Im Juni 2023 lehnte das Repräsentantenhaus den Gesetzentwurf 764 ab, der für transgeschlechtliche Athlet*innen die Möglichkeit eingeschränkt hätte, in der von ihnen gewählten Geschlechterkategorie an Sportwettkämpfen teilzunehmen.
Ebenfalls im Juni 2023 versuchten Mitglieder der Legislative, eine Vorleseaktion für Kinder zu zensieren, weil Drag-Künstler*innen und trans Menschen daran beteiligt waren. Die Aktion konnte schließlich an einem anderen Veranstaltungsort stattfinden. Im August wurde der Gesetzentwurf 1821 des Repräsentantenhauses vorgelegt. Er sah eine Kriminalisierung von künstlerischen oder anderen Aktivitäten zur Kinder- oder Familienunterhaltung vor, die von Drag-Künstler*innen durchgeführt werden.
Der Senat genehmigte den Gesetzentwurf 427, der Maßnahmen zur Verhinderung der Diskriminierung älterer LGBTI+ beim Zugang zu Wohnraum und in Altersheimen vorsah. Eine Untersuchung des Zentrums für investigativen Journalismus (Centro de Periodismo Investigativo) und des Nachrichtenmagazins El Nuevo Día hatte deutlich gemacht, dass diese Gruppe in Langzeitpflegezentren diskriminiert wird, weil die Mitarbeitenden nicht entsprechend geschult sind und es an Arbeitsanweisungen für einen respektvollen Umgang fehlt.
Der letzten Volkszählung im Jahr 2020 zufolge war Puerto Rico das Land im US-amerikanischen Rechtsraum mit dem geringsten Anteil an LGBTI+ (0,5 Prozent) und gleichgeschlechtlichen Paaren (0,2 Prozent), die nach eigenen Angaben ein Haus besaßen.
Rechte von Frauen und Mädchen
Nach Angaben der nichtstaatlichen Beobachtungsstelle für Geschlechtergleichstellung (Observatorio de Equidad de Género) in Puerto Rico wurden 2023 mindestens 72 Femizide und mutmaßliche Femizide registriert. Seit April 2023 erfasst das Statistische Institut von Puerto Rico auch Daten zu Femizide. Bis Ende 2023 verzeichnete es 19 Femizide.
Im Juni 2023 genehmigte das Repräsentantenhaus den Gesetzentwurf 1583, der nicht tödliches Strangulieren, Würgen und an der Atmung hindernde Positionierungen ohne Tötungsabsicht als Formen der schweren geschlechtsspezifischen Misshandlung anerkennt. Derartige Handlungen fielen zuvor unter Straftatbestände ohne Geschlechterperspektive. Ende 2023 lag der Gesetzentwurf noch beim Senat.
Im Mai 2023 schloss der Frauenausschuss des Repräsentantenhauses eine Untersuchung ab, in der festgestellt wurde, dass die Polizeibehörde Fälle von häuslicher Gewalt, in die Polizist*innen verwickelt waren, nicht ordnungsgemäß untersucht hatte.
Frauen und Mädchen waren nach wie vor von Menschenhandel bedroht, eine Straftat, die in Puerto Rico nur selten geahndet wurde. Regierung und Legislative setzten die Debatte über den im Juni 2023 vom Senat vorgelegten Gesetzentwurf 1237 fort. Er sah die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für Menschenhandel und einen strategischen Plan zur Bekämpfung dieses Verbrechens vor.
Diskriminierung
Rassistische Diskriminierung gab auch 2023 Anlass zur Sorge, und Rassismus gegen Schwarze Menschen war nach wie vor alltägliche Realität. Ein Gesetz aus dem Jahr 2021, das die Erhebung von Daten über Rassismus und eine Aufklärungskampagne zur Förderung eines antirassistischen Bewusstseins und der Akzeptanz von Menschen afrikanischer Abstammung vorsah, wurde nicht vollständig umgesetzt.
Die rassistische Gewalt im Land eskalierte, ohne dass die Behörden unverzüglich unabhängige, unparteiische und zielführende Untersuchungen zu den möglichen diskriminierenden Motiven durchführten. Im August 2023 sprach ein Gericht einen Mann von dem Vorwurf der Ruhestörung in einem Fall mutmaßlich rassistischer Gewalt frei. Dabei ging es um einen Nachbarschaftsstreit, bei dem die eine Partei die andere seit mindestens 2019 rassistisch diskriminiert und schikaniert haben soll.
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Die Wirtschaftslage und die Lebenshaltungskosten wirkten sich auf die Wahrnehmung der Bürgerrechte aus. Laut dem Verbraucherindex für Puerto Rico lag die Nahrungsmittelinflation im Oktober 2023 bei 5,1 Prozent.
Im Juni 2023 veröffentlichte die Statistikbehörde United States Census Bureau Schätzungen zur Resilienz der Bevölkerung in Puerto Rico, die auf Daten aus dem Jahr 2019 basierten. Aus diesen Schätzungen ging hervor, dass auf 46,1 Prozent der Bevölkerung von Puerto Rico drei oder mehr Risikofaktoren zutrafen, die zu einer verringerten Fähigkeit führen, einer Katastrophe standzuhalten bzw. sich von einer solchen zu erholen. Dazu zählten u. a. Armut, Behinderung, problematische Beschäftigungssituation und Alter.
Im Februar 2023 wurde ein neues Modell zur Stromabrechnung (mit einem Pauschal- und einem verbrauchsabhängigen Tarif) angekündigt, das dazu beitragen sollte, die Schulden der Energiebehörde (Autoridad de Energía Eléctrica de Puerto Rico) bei öffentlichen und privaten Gläubigern zu begleichen. Das neue Modell führte zu steigenden Stromkosten und einer Reihe von Protesten. In Puerto Rico gab es 2023 mehrere Stromausfälle.