Amnesty Report Madagaskar 24. April 2024

Madagaskar 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Haftbedingungen waren weiterhin schlecht. Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden nach wie vor eingeschränkt, und Sicherheitskräfte setzten exzessive Gewalt zur Auflösung von Protesten ein. Die staatlichen Behörden ergriffen keine wirksamen Maßnahmen, um Umweltschützer*innen vor Drohungen, Einschüchterung, Schikanen und willkürlicher Festnahme zu schützen. Extreme Wetterereignisse und Dürre führten zu zahlreichen Binnenvertriebenen und zunehmender Ernährungsunsicherheit. Frauen, LGBTI+ und Menschen mit Albinismus wurden diskriminiert. 

Hintergrund

Am 1. Dezember 2023 bestätigte das Oberste Verfassungsgericht (Haute Cour Constitutionnelle) die Wiederwahl von Andry Rajoelina zum Staatspräsidenten.

Rechte von Inhaftierten

Die Bedingungen, unter denen Inhaftierte in Gefängnissen, Polizei- und Gendarmeriestationen, psychiatrischen Einrichtungen und anderen Hafteinrichtungen festgehalten wurden, waren weiterhin schlecht. Im Mai 2023 besuchte der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter madagassische Gefängnisse und wies erneut mit Besorgnis auf die dort herrschende Überbelegung hin. Die Nationale Unabhängige Menschenrechtskommission (Commission Nationale Indépendante des Droits de l’Homme) war weiterhin unterbesetzt und unterfinanziert, sodass sie ihren Aufgaben nicht umfassend nachkommen konnte. Bei der Kommission handelt es sich um einen nationalen Präventionsmechanismus mit der Aufgabe, die Menschenrechtslage in Hafteinrichtungen zu überwachen und Empfehlungen für Verbesserungen auszusprechen.

Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl stoppten die Sicherheitskräfte die Wahlkampfaktivitäten von Oppositionsparteien. Am 4. April 2023 erklärte das Innenministerium, dass politische Versammlungen in geschlossenen Räumen abgehalten werden müssen und alle öffentlichen Demonstrationen gemäß Erlass 60-082 vom 13. August 1960 der vorherigen Bewilligung bedürfen. Der Erlass, der während der gesamten Dauer des Wahlkampfs angewandt wurde, entsprach nicht den internationalen Standards für das Recht auf friedliche Versammlung. Ziel des Innenministeriums war es, die Wahrnehmung dieses Rechts für die Oppositionsparteien einzuschränken. Von Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs (10. Oktober 2023) bis zum Wahltag (16. November 2023) wurden mindestens 20 Vorfälle dokumentiert, bei denen gegen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung verstoßen worden war.

Im Oktober 2023 verbot die Präfektur von Antananarivo Demonstrierenden der Oppositionsparteien das Betreten mehrerer wichtiger Bereiche der Hauptstadt. Journalist*innen wurden festgenommen und Präsidentschaftskandidat*innen der Opposition verletzt. Zudem sollen Berichten zufolge politische Aktivist*innen und Unbeteiligte willkürlich inhaftiert worden sein. Die Behörden missbrauchten das Strafrecht, um Personen, die abweichende Meinungen äußerten, festzunehmen, zu inhaftieren und zu bedrohen. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte äußerte sich besorgt über die Verschlechterung der Menschenrechtslage in Madagaskar und wies darauf hin, dass die Sicherheitskräfte unnötige und unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstrierende einsetzten. 

Die Rechte von Umweltschützer*innen auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden ebenfalls verletzt. Die Behörden ergriffen keine wirksamen Maßnahmen, um sie vor Drohungen und Angriffen durch Gegner*innen ihrer Aktivitäten oder seitens der Sicherheitskräfte zu schützen. Am 5. Juli 2023 wurde die Menschenrechtlerin und Umweltschützerin Angélique Decampe von einem Mann mit dem Tode bedroht, der gemeinsam mit zwei weiteren Personen ihre Wohnung aufsuchte. Die Drohungen standen im Zusammenhang mit ihrem Einsatz zum Schutz des Waldes von Vohibola vor Wilderern und illegalem Holzeinschlag. Gleichfalls im Juli nahmen die Sicherheitskräfte mehr als 80 Demonstrierende der Vereinigung für den Kampf des Südens (L’association LuSud LUSUD) in der Region Anosy fest, als sie eine Straße blockierten, um das in Madagaskar unter dem Namen der Tochtergesellschaft QIT Madagascar Minerals tätige Bergbauunternehmen Rio Tinto an der Fortsetzung seiner Abbauaktivitäten zu hindern. Alle Inhaftierten kamen im August wieder frei. Gegen die LUSUD-Sprecher Eugène Chrétien und Laurent Manjary, die während der Protestaktion nicht festgenommen worden waren, blieben jedoch Haftbefehle bestehen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Am 23. März 2023 nahmen die Behörden Lôla Rasoamaharo, Inhaber der Zeitung La Gazette de la Grande Ile, unter dem Vorwurf der Erpressung, der Verleumdung, der Bedrohung und der Beleidigung fest. Zuvor waren das Büro der Zeitung durchsucht und Materialien beschlagnahmt worden. Der Festnahme war ein langwieriger Streit zwischen Lôla Rasoamaharo und dem Bürgermeister von Antananarivo vorausgegangen, der über ihre jeweiligen Zeitungen ausgetragen worden war.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Nach Angaben der Nationalen Behörde für Risiko- und Katastrophenmanagement hatte der Zyklon Cheneso, der im Januar 2023 auf Madagaskar traf, rund 90.870 Binnenvertriebene und den Tod von mindestens 33 Personen in der südöstlichen Region des Landes zur Folge. Im Februar folgte dann Zyklon Freddy, der Ernten zerstörte und die Ernährungsunsicherheit in der Region verschärfte. Die Bereitstellung humanitärer Hilfe wurde durch Schäden an der Infrastruktur, die auch Gesundheitszentren betrafen, sowie die Abgelegenheit der betroffenen Gebiete behindert. 

Die Lage in der von Dürre betroffenen südlichen Region Grand Sud stabilisierte sich im Laufe des Jahres 2023 etwas und der Zugang zu humanitärer Hilfe verbesserte sich. Es herrschte jedoch weiterhin große Ernährungsunsicherheit. Aufgrund der Abhängigkeit der lokalen Bevölkerung von humanitärer Hilfe stellten zusätzliche klimawandelbedingte extreme Wetterereignisse eine größere Gefahr für sie dar. Über das Jahr hinweg setzte die Regierung Maßnahmen zur Verhinderung von Katastrophen durch Zyklone um. Sie betrafen die Warnung der Bevölkerung und die Evakuierung betroffener Gebiete. Allerdings erhielt die Regierung von den Industrieländern nicht die notwendige finanzielle Unterstützung, die das Pariser Abkommen für vom Klimawandel besonders betroffene Staaten vorsah. Dadurch war es für Madagaskar schwierig, sich an den Klimawandel anzupassen und klimabedingten Verlusten und Schäden vorzubeugen.

Rechte von Binnenvertriebenen

Die Anzahl der Binnenvertriebenen stieg an. Dies war sowohl langsam einsetzenden Klimafolgen (slow onset events), wie dem Anstieg des Meeresspiegels und der Temperaturen, als auch plötzlich eintretenden Ereignissen (rapid onset events) geschuldet. Laut der internationalen NGO Internal Displacement Monitoring Centre und Medienberichten begaben sich mehr als 2.000 Menschen aus der Region Grand Sud in städtische und ländliche Gebiete im Norden, um der Dürre zu entkommen. Es fehlten staatliche Schutzmaßnahmen für Binnenvertriebene, sodass diese verschiedenen Gefahren ausgesetzt waren, u. a. wurden Fälle von Menschenhandel und sexualisierter Gewalt gegen Frauen gemeldet. Zudem kam es zu Spannungen zwischen den Bewohner*innen der Aufnahmegemeinschaften und den Binnenvertriebenen, häufig wegen Streitigkeiten über die Landnutzung.

Diskriminierung

Frauen und Mädchen, LGBTI+, Menschen mit Albinismus und weitere Bevölkerungsgruppen waren 2023 Diskriminierung und Ungleichheit ausgesetzt.

Die reproduktiven Rechte von Frauen und ihr Zugang zur Gesundheitsversorgung waren eingeschränkt. Schwangerschaftsabbrüche blieben weiterhin unter allen Umständen strafbar. Geschlechtsspezifische Diskriminierung war weit verbreitet und betraf in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen, insbesondere im Bildungsbereich. Medienberichten zufolge führten vorgefasste Meinungen über Geschlechterrollen dazu, dass Mädchen in diesem Bereich Ungleichheit und Diskriminierung ausgesetzt waren.

LGBTI+ wurden in Gesetz und Praxis diskriminiert und ausgegrenzt. Im Mai 2023 wurde eine 56-jährige trans Frau von Militärangehörigen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität tätlich angegriffen.

Menschen mit Albinismus wurden immer wieder zum Ziel von Angriffen und zum Opfer von Ritualmorden. Im Laufe des Jahres 2023 gab es mindestens zwölf dokumentierte Entführungsfälle von Menschen mit Albinismus. Diese gründeten auf dem Aberglauben, Körperteile von Menschen mit Albinismus würden Glück bringen. 

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