Amnesty Report 07. April 2021

Katar 2020

Fünf Männer mit Schutzwesten und Bauarbeierhelmen gehen in der Mitte des Stadions auf die Kamera zu und tragen gemeinsam auf ihren Schultern einen schweren flachen rechteckigen Gegenstand. Um sie herum liegt Baumaterial und stehen Lastwagen. Die Stadiontribüne befindet sich noch im Aufbau. Mehre hohe Kräne stehen im Bildhintergrund.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020

2020 wurden neue Gesetze verabschiedet, die Arbeitsmigrant_innen einen besseren rechtlichen Schutz gewährten. Obwohl die Regierung Maßnahmen ergriff, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, waren Arbeitsmigrant_innen die Hauptleidtragenden der Pandemie. Die Behörden verschärften die Einschränkungen des Rechts auf Meinungsfreiheit erneut. Frauen wurden weiterhin sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben diskriminiert. Nach einer Pause von 20 Jahren wurden wieder Todesurteile vollstreckt.

Hintergrund

Die Spannungen in der Golfregion, die 2017 begonnen hatten, hielten an. Katars Beziehungen zu Bahrain, Ägypten, Saudi-Arabien sowie den Vereinigten Arabischen Emiraten blieben 2020 unterbrochen.

Emir Tamim bin Hamad bin Khalifa Al Thani ernannte im Januar Sheikh Khalid bin Khalifa bin Abdulaziz Al Thani zum Ministerpräsidenten und bildete ein neues Kabinett.

Im März 2020 ergriff die Regierung eine Reihe von Maßnahmen, um die Ausbreitung von Corona-Infektionen einzudämmen, wie zum Beispiel kostenlose Gesundheitsversorgung und finanzielle Unterstützung für Unternehmen. Der Emir änderte das Gesetz zur Verhütung von Infektionskrankheiten dahingehend, dass bei Verstößen gegen die Bestimmungen höhere Geld- und Gefängnisstrafen verhängt werden konnten. Außerdem schuf er eine Ermittlungsbehörde für den Gesundheitssektor, um entsprechende Fälle strafrechtlich zu verfolgen.

Im November kündigte der Emir an, die seit Langem versprochenen Wahlen zum Schura-Rat würden 2021 stattfinden. Es handelte sich dabei um eine beratende Versammlung, die als eine Art Parlament fungierte.

Rechte von Arbeitsmigrant_innen

2020 wurden bedeutende Reformen eingeführt, um Arbeitsmigrant_innen besser vor Missbrauch und Ausbeutung zu schützen. Arbeitgeber_innen hatten jedoch noch immer unverhältnismäßig weitreichende Befugnisse. So überwachten sie unter anderem weiterhin die Einreise und den Aufenthalt der Arbeitsmigrant_innen und konnten diese wegen "Weglaufens" bei der Polizei anzeigen. Nachdem der Minister für Verwaltungsentwicklung, Arbeit und Soziales im Jahr 2019 angekündigt hatte, man werde das Sponsorensystem (kafala) abschaffen, beschloss das Innenministerium im Januar 2020, die Genehmigungspflicht für eine Ausreise werde auch für Hausangestellte aufgehoben. Ausreisewillige müssen ihre Arbeitgeber_innen jedoch 72 Stunden vor ihrer Abreise benachrichtigen.

Im Juni kündigte das Ministerium für Verwaltungsentwicklung, Arbeit und Soziales an, man werde ein gemeinsames Büro mit dem Obersten Rat der Justiz einrichten, um Entscheidungen der neu geschaffenen Ausschüsse zur Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten leichter umsetzen zu können. Für Arbeitsmigrant_innen war der Zugang zur Justiz jedoch weiterhin schwierig und oft ergebnislos. Außerdem war unklar, unter welchen Bedingungen sie Geld aus einem Unterstützungsfonds erhalten könnten, der eingerichtet worden war, um Arbeitnehmer_innen zu bezahlen, denen ihre Löhne vorenthalten wurden.

Rund 100 Arbeitsmigranten, die am Bau eines Stadions für die Fußballweltmeisterschaft 2022 beteiligt waren, arbeiteten bis zu sieben Monate lang ohne Bezahlung. Die meisten von ihnen erhielten schließlich den Großteil ihres Grundlohns, einige von ihnen warteten Ende des Jahres aber immer noch auf die Auszahlung mehrerer Monatslöhne oder Zulagen.

Es gab zwar Pilotprojekte, um in verschiedenen Unternehmen Ausschüsse zur Interessenvertretung von Beschäftigten zu bilden, doch im Gegensatz zu katarischen Staatsangehörigen durften Arbeitsmigrant_innen weiterhin keine Gewerkschaften gründen oder ihnen beitreten.

Nach ihrem Besuch in Katar im Juli äußerte die UN-Sonderberichterstatterin über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in ihrem Bericht ernste Bedenken angesichts der "strukturellen rassistischen Diskriminierung von ausländischen Staatsangehörigen" und forderte die Regierung auf, sie solle "dringend Maßnahmen gegen ein System ergreifen, das Menschen gemäß ihrer nationalen Herkunft faktisch in Kasten einteilt". Dies gelte auch für die Privatwirtschaft.

Im August unterzeichnete der Emir eine Reihe von Gesetzen, die einen diskriminierungsfreien Mindestlohn festlegen, der jährlich überprüft werden muss. Mit zwei weiteren Gesetzen wurde die Pflicht für Arbeitsmigrant_innen abgeschafft, eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" ihrer Arbeitgeber_innen einholen zu müssen, wenn sie den Arbeitsplatz wechseln wollen. Die neue Gesetzgebung ermöglichte es Arbeitsmigrant_innen, ihren Arbeitsplatz mithilfe eines Online-Verfahrens, das beim Ministerium für Verwaltungsentwicklung, Arbeit und Soziales angesiedelt war, frei zu wechseln. Zur Vorbereitung dieses Schritts hatte die Regierung im Juli eine Plattform eingerichtet, auf der Unternehmen und Arbeitnehmer_innen nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten suchen konnten.

Arbeitsmigrantinnen als Hausangestellte

Arbeitsmigrantinnen, die als Hausangestellte arbeiteten, waren trotz eines 2017 eingeführten Gesetzes für Hausangestellte weiterhin schweren Formen von Missbrauch und Ausbeutung ausgesetzt und hatten keinen Zugang zu Rechtsmitteln. Viele Arbeitgeber_innen zwangen die Frauen, täglich im Durchschnitt 16 Stunden zu arbeiten, verweigerten ihnen Ruhezeiten und einen freien Tag pro Woche und konfiszierten ihre Pässe, obwohl dies illegal war. Es herrschte ein Klima völliger Straflosigkeit, was diese Verstöße anging, und Täter_innen hatten keinerlei Konsequenzen zu befürchten. Es gab nur eine einzige Zufluchtsstätte für Hausangestellte, die Missbrauch und Ausbeutung entkommen wollten. Sie war 2019 eingerichtet worden, war jedoch immer noch nicht voll funktionsfähig. Für Hausangestellte, die ausgebeutet und missbraucht wurden, war es daher äußerst schwierig, ihren Arbeitsplatz zu verlassen, geschweige denn Anzeige gegen ihre Arbeitgeber_innen zu erstatten.

Recht auf Gesundheit

Die Corona-Krise machte die Verletzlichkeit von Arbeitsmigrant_innen in Katar deutlich. Obwohl die Regierung einige positive Maßnahmen ergriff und zum Beispiel kostenlose Gesundheitsversorgung und Tests für alle anbot, waren Arbeitsmigrant_innen besonders stark von der Pandemie betroffen. Ihr Infektionsrisiko war hoch, weil sie in überbelegten Unterkünften untergebracht waren, in denen häufig unhygienische Bedingungen herrschten. Von März 2020 an häuften sich die Fälle, in denen Beschäftigte keinen Lohn bekamen. Obwohl die Regierung finanzielle Hilfen für Unternehmen bereitstellte, um die Auswirkungen der Pandemie abzumildern, bezahlten Tausende Firmen ihre Arbeiter_innen nicht pünktlich. Die Regierung kündigte zwar Maßnahmen an, um Arbeitsmigrant_innen zu unterstützen. Einige derjenigen, die von Ausgangssperren betroffen waren, klagten jedoch, dass sie keine Lebensmittel und andere Versorgungsgüter erhielten.

Im April trieb die Polizei zahlreiche nepalesische Arbeitsmigranten zusammen und teilte ihnen mit, sie würden auf das Coronavirus getestet und dann in ihre Unterkünfte zurückgebracht. Stattdessen kamen die Männer aber in Haftzentren und wurden dort mehrere Tage lang unter entsetzlichen Bedingungen festgehalten, bevor man sie ohne eine Erklärung oder ein ordentliches Verfahren nach Nepal abschob.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Ein im Januar 2020 verabschiedetes, vage formuliertes Gesetz schränkte das Recht auf Meinungsfreiheit weiter ein, indem ein breites Spektrum von Äußerungen und Veröffentlichungen unter Strafe gestellt wurde. So können "parteiische" Radio- und Fernsehsendungen oder Veröffentlichungen mit bis zu fünf Jahren Haft und einer Geldstrafe von 100.000 QAR (rund 23.000 €) belegt werden.

Die Behörden übten Machtbefugnisse weiterhin willkürlich aus und verhängten ohne Gerichtsverfahren Reiseverbote und andere Sanktionen gegen Personen. In einigen Fällen geschah dies offenbar als Strafe für deren politische Meinungen oder friedliche Aktivitäten.

Rechte von Frauen und Mädchen

Frauen wurden durch Gesetze und im täglichen Leben weiterhin diskriminiert. Das Familienrecht benachteiligte sie unter anderem dadurch, dass es für Frauen viel schwieriger war, eine Scheidung einzureichen, als für Männer. Wenn eine Frau sich scheiden ließ oder von ihrem Mann verlassen wurde, war dies mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden.

Nach einem Besuch in Katar wies die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen in ihrem Bericht darauf hin, dass Frauen unter 25 Jahren für Alltagsgeschäfte wie einen Vertragsabschluss oder eine Auslandsreise die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds benötigten. Weil dies dazu führe, dass Frauen die Häuser ihrer Familien nicht ohne die Erlaubnis ihres gesetzlichen männlichen Vormunds verlassen könnten, sei "de facto der Tatbestand der Freiheitsberaubung durch ihre Familien erfüllt".

Am 2. Oktober holten die katarischen Behörden am Flughafen in Doha mehrere Frauen vor dem Abflug aus Flugzeugen und unterzogen sie zwangsweise gynäkologischen Untersuchungen, um festzustellen, ob eine von ihnen entbunden hatte, nachdem ein neugeborenes Mädchen am Flughafen ausgesetzt worden war. Der Vorfall löste einen Aufschrei auf internationaler Ebene aus, woraufhin sich die katarischen Behörden entschuldigten und eine Untersuchung des Vorfalls einleiteten.

Recht auf Privatsphäre

Eine vom Innenministerium entwickelte App zur Nachverfolgung von Corona-Infektionen wies eine schwerwiegende Sicherheitslücke auf, die sensible persönliche Daten von mehr als 1 Mio. Nutzer_inen preisgab. Nachdem die Behörden auf die Schwachstelle aufmerksam gemacht worden waren, wurde der Fehler schnell behoben. Diese und viele andere Apps waren jedoch weiterhin problematisch, da sie keine Sicherheitsvorkehrungen für Datenschutz enthielt.

Todesstrafe

Nach 20 Jahren Pause wurden von April 2020 an wieder Todesurteile vollstreckt.

Veröffentlichungen von Amnesty International

Qatar: Migrant workers unpaid for months of work on FIFA World Cup stadium (Press release, 11 June)
Qatar: New laws to protect migrant workers are a step in the right direction (Press release, 30 August)
Qatar: "Why do you want to rest?": Ongoing abuse of domestic workers in Qatar (MDE 22/3175/2020)
Qatar: Migrant workers in labour camps at grave risk amid COVID-19 crisis (Press release, 20 March)
COVID-19 makes Gulf countries’ abuse of migrant workers impossible to ignore (Campaigns, 30 April)
Qatar: Migrant workers illegally expelled during COVID-19 pandemic (Press release, 15 April)
Qatar: Repressive new law further curbs freedom of expression (Press release, 20 January)
Qatar: Arbitrary executive action puts lives on hold (MDE 22/2772/2020)
Qatar: Contact tracing app security flaw exposed sensitive personal details of more than one million (Press release, 26 May)
Bahrain, Kuwait and Norway contact tracing apps among most dangerous for privacy (Press release, 16 June)

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