Amnesty Journal Honduras 10. Juni 2024

Schritt für Schritt zur Aufklärung

Wandgemälde an einer Straße in Honduras, abgebildet ist die MR-Verteidigerin Berta Cáceres, neben ihrem Porträt steht  auf Spanisch "Lasst uns die ganze Menschheit aufwecken."

Ein Wandgemälde zitiert Berta Cáceres: "Lasst uns die ganze Menschheit aufwecken" (Honduras, La Esperanza, Januar 2024)

Im März 2016 wurde die Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres in Honduras ermordet. Die Hintergründe des Mordkomplotts wurden nie vollständig aufgeklärt. Doch gibt es Hinweise, dass eine Überweisung der niederländischen Entwicklungsbank FMO eine Rolle spielte.

Aus La Esperanza von Knut Henkel (Text und Fotos)

Utopia" steht in dicken Lettern über dem Eingang zum Tagungszentrum, daneben die sechs Buchstaben COPINH. Die Initialen stehen für "Rat indigener und ziviler Organisationen aus Honduras". Die überaus aktive zivilgesellschaftliche Organisation hat ihren Sitz in der Stadt La Esperanza, nur ein paar Dutzend Kilometer entfernt von der Grenze zu El Salvador. Mitgründerin und langjährige Koordinatorin von COPINH war Berta Cáceres, die sich unter anderem gegen das Staudammprojekt Agua Zarca des Bauunternehmens DESA wehrte. Am 2. März 2016 wurde die charismatische Umweltaktivistin in ihrem Haus in La Esperanza von einem Killerkommando erschossen. Die Strafverfolgung verlief schleppend. Zwar wurden inzwischen einige Täter und Mittelsmänner verurteilt, nach Auffassung von COPINH und der Familie von Berta Cáceres blieben jedoch bislang einige Drahtzieher des Mordkomplotts im Dunkeln. Das soll sich bald ändern.

Eine holprige Schotterpiste führt an Neubauten und landwirtschaftlichen Betrieben vorbei zu dem abgelegenen Zentrum, das in einem weitläufigen Flachbau untergebracht ist. Dort arbeiten Bertha Zúñiga Cáceres, die Tochter von Berta Cáceres, und der Sozialwissenschaftler Camilo Bermúdez. Der drahtige 32-Jährige ist der Leiter der Rechtsabteilung von COPINH und die treibende Kraft hinter zwei Klagen, die die Organisation und die Familie Cáceres in Amsterdam eingereicht haben. Denn Bermúdez wirft einer niederländischen Bank vor, mit ihren Zahlungen die Verfolgung und Ermordung von Berta Cáceres erst ermöglicht zu haben.

Landrechte vielfach verletzt

"Wir haben zwei Verfahren gegen die niederländische Bank FMO angestrengt: ein zivilrechtliches, in dem es um den Verdacht der Fahrlässigkeit geht, und ein strafrechtliches, in dem wegen potenzieller Mittäterschaft an dem Mord ermittelt wird", sagt Bermúdez. Er erwartet einen baldigen Prozessbeginn. Für die halbstaatliche Entwicklungsbank mit Sitz in Amsterdam sind beide Verfahren ein Desaster. Das Finanzunternehmen, an dem der niederländische Staat mit 51 Prozent die Mehrheit hält, hat im Jahr 2014 einen Kredit in Höhe von 15 Millionen US-Dollar für den Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca an das ausführende Bauunternehmen DESA vergeben und muss nun nachweisen, sich dabei an die internationalen Ausschreibungs- und Vergabestandards gehalten zu haben.

Nach Ansicht von Camilo Bermúdez könnte das Geld für den Auftragsmord aus einer Überweisung der FMO von mehr als 1,7 Millionen US-Dollar stammen. Das legen Textnachrichten aus den ausgewerteten Mobiltelefonen der Mörder und des DESA-Geschäftsführers David Castillo nahe. Demnach wurde das Geld über ein Konto der Deutschen Bank in New York nicht an den FMO-Kreditnehmer DESA überwiesen, sondern an das Zementunternehmen Concretos del Caribe S.A., und Zugriff auf dieses Konto hatten sowohl der DESA-Geschäftsführer David Castillo als auch DESA-Finanzchef Daniel Atala Midence. Castillo wurde bereits zu 22 Jahren und sechs Monaten Haft wegen Mittäterschaft an dem Mord verurteilt. Gegen Atala Midence, der der einflussreichen Bankiersfamilie Atala Zablah angehört, erließ die Generalstaatsanwaltschaft im Dezember 2023 einen Haftbefehl. 

Eine junge Frau mit offenem Haar, Ohrringen, vor einer Häuserwand.

Macht dort weiter, wo ihre Mutter aufgehört hat: Bertha Zúñiga Cáceres

Das ist nicht zuletzt ein Erfolg der unermüdlichen Arbeit von COPINH. Die Organisation brachte den Mordfall immer wieder in die Öffentlichkeit und machte auch hinter den Kulissen Druck. Kaum ein Fall erhielt in Honduras ähnliche Aufmerksamkeit. Das Foto der 2015 mit dem Goldman-Umweltpreis ausgezeichneten Berta Cáceres hängt auch acht Jahre nach ihrem Tod an Plakatwänden und ziert Hauswände in La Esperanza und im Rest des Landes. Im Mai 2022 erklärten die Abgeordneten des Parlaments Cáceres zur Nationalheldin, und seit ein paar Monaten lächelt sie einem auch auf dem 200 Lempira-Geldschein entgegen.

Konzessionen am heiligen Fluss

Dass dieser Heldinnenstatus dazu führt, die Hintergründe des Mordes lückenlos aufzuklären, bezweifelt Bertha Zúñiga Cáceres, die 2017 die Nachfolge ihrer Mutter als COPINH-Koordinatorin antrat. "Nur ein Beispiel: Trotz aller Proteste und internationaler Aufmerksamkeit nach dem Mord ist die Konzession für den Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca am Fluss Gualcarque nach wie vor gültig", kritisiert Zúñiga. Für die Lenca, eine indigene Bevölkerungsgruppe, die rund 130.000 Menschen in der Grenzregion von Honduras und El Salvador umfasst, ist der Gualcarque ein heiliger Fluss.

Im traditionellen Siedlungsgebiet der Lenca sind derzeit noch 50 weitere Konzessionen für Wasserkraft- und Bergbauprojekte gültig. COPINH macht sich dafür stark, dass sie annulliert werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Organisation sind zahlreiche Landkonflikte, die Lenca-Gemeinschaften betreffen. Die Organisation vertritt rund 200 Gemeinden, deren Landrechte verletzt wurden und bietet ihnen juristische Beratung an. Wenn nötig, vertrete man die Gemeinden auch vor Gericht, sagt Camilo Bermúdez.

Bei ihm laufen alle Initiativen zur Aufklärung des Mordes an Berta Cáceres zusammen. Er hofft, dass Daniel Atala Midence bald festgenommen wird, denn vieles deute darauf hin, "dass er einer der Verantwortlichen für den Mord an Berta Cáceres ist". Es sei das Ziel der Familie Cáceres und der Organisation COPINH, alle Verantwortlichen für den Mord zu belangen und Wege aufzuzeigen, wie man sich in einem Land ohne funktionierende Justiz wehren kann, ergänzt Bertha Zúñiga Cáceres.

Acht Jahre nach dem Mord scheint dieses Ziel näher zu rücken. Die Regierung von Xiomara Castro hat sich mehrfach zur lückenlosen Aufklärung der Hintergründe des Mordes an Berta Cáceres bekannt. Ein Prozess gegen Atala Midence ist zumindest in den Bereich des Möglichen gerückt. Allerdings dürfte seine einflussreiche Familie hinter den Kulissen immensen Druck ausüben. Die Bankiersdynastie initiierte nicht nur den Bau des Wasserkraftwerks Agua Zarca, sondern ­finanzierte auch zahlreiche andere Großprojekte, von denen keines politisch unumstritten war.

Doch die COPINH-Aktivist*innen sind gewappnet. "Wir wollen mit öffentlichen Aktionen die Zivilgesellschaft mobilisieren", erklärt Camilo Bermúdez. Aufgrund der Popularität der Umweltaktivistin stehen die Chancen dafür gut. Das wiederum könnte die Arbeit des niederländischen Rechtsanwalts Wout Albers erleichtern, der die Familie Cáceres und COPINH in den beiden Verfahren gegen FMO in Amsterdam vertritt. Ein Prozess gegen Atala Midence in Honduras könnte möglicherweise auch Details der fragwürdigen Finanzierung des Wasserkraftwerks und Hintergründe des Mordes ans Licht bringen.

Knut Henkel arbeitet als freier Korrespondent in Lateinamerika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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