Amnesty Journal China 16. Dezember 2024

Unermüdlich in der Öffentlichkeit

Eine junge Uigurin im Porträt, sie trägt einen Pullover, ihre langen Haare fallen ihr auf die Schultern.

"Viele Menschen wollten nicht glauben, was meiner Mutter wiederfuhr": Gulhumar Haitiwaji setzt sich für die Rechte der Uiguren ein.

Gulhumar Haitiwaji setzte sich für ihre Mutter ein, als diese in der chinesischen Provinz Xinjiang inhaftiert war. Auch nach deren Freilassung engagiert sie sich für uigurische Traditionen.

Von Till Schmidt

Wie fühlt es sich an, wenn jemand aus der eigenen Familie urplötzlich verschwindet? Die Haitiwajis haben diese Erfahrung gemacht: 2016 wurde Gulbahar Haitiwaji aus Frankreich nach China gelockt – angeblich, um Formalitäten zu ihrem Rentenantrag zu klären. Dort angekommen wurde sie wegen "Unterstützung des uigurischen Separatismus" zu sieben Jahren "Umerziehung" verurteilt. Der Prozess gegen sie war eine Farce – er dauerte nur neun Minuten.

Die manipulativen Verhörmethoden und die Jahre ihrer Haft in Xinjiang schilderte Gulbahar Haitiwaji in ihrem Buch "Wie ich das chinesische Lager überlebt habe", das vor zwei Jahren auf Deutsch erschien. Bis heute leidet die Uigurin an den Folgen: "Fast jede Nacht habe ich Albträume: Ich bin zurück im ­Lager, muss Lieder singen und Propaganda rezitieren. Jedes Mal denke ich, ich werde niemals freikommen", sagte sie 2022 in einem Artikel des Amnesty Journals.

Drei Jahre zermürbende Haft

Dass Gulbahar Haitiwaji bereits nach drei Jahren zermürbender Haft freikam, ist nicht zuletzt dem unermüdlichen Engagement ihrer Familie zu verdanken. Vor allem ihre Tochter Gulhumar sorgte für öffentlichen Druck. Nachdem die damals 26-Jährige über Online-Videos vom Schicksal ihrer Mutter erfahren hatte, wandte sie sich zunächst an das französische ­Konsulat in Peking. Dort stieß Gulhumar allerdings auf taube Ohren: "Tagtäglich habe ich dort angerufen oder E-Mails geschickt. Jedes Mal wurde ich ignoriert oder abgewimmelt."

2018 startete Gulhumar eine Petition auf change.org. Dank einer Bekannten aus der Medienbranche gelang es ihr auch, ein Video über den Verbleib ihrer Mutter zu veröffentlichen. Die systematische Internierung von Uigur*innen in Xinjiang war damals kaum dokumentiert. "Viele Menschen wollten nicht glauben, was meiner Mutter wiederfuhr", sagt Gulhumar Haitiwaji. Mit ihrem Video auf der Newssite Konbini, die sich vor allem an junge Menschen richtet, erreichte ihre Petition deutlich mehr Menschen als zuvor.

Es frustrierte mich, wie stark die chinesische Propaganda und Einschüchterung auch in Paris verfing.

Gulhumar
Haitiwaji

Über Freunde und Bekannte erfuhr Gulhumar von weiteren Fällen internierter Angehöriger in Xinjiang. Doch selbst unter den Uigur*innen in Paris erhielt sie kaum Unterstützung – "aus Angst vor dem langen Arm Chinas", sagt Gulhumar Haitiwaji. Manche wandten sich sogar von der Familie ab, Solidarität erfuhr sie nur vereinzelt. "Es frustrierte mich, wie stark die chinesische Propaganda und Einschüchterung auch in Paris verfing."

Ohne große Erwartungen schrieb Gulhumar 2017 einen Brief an den französischen Staatspräsidenten François Hollande, ohne eine Reaktion zu erhalten. Im August 2019 meldete sich ihre Mutter dann plötzlich per Telefon: Sie habe einen neuen Pass und werde in zwei Tagen wieder zurück in Frankreich sein.

Seither informieren Gulbahar und Gulhumar Haitiwaji unermüdlich die Öffentlichkeit: "Mit unseren Schilderungen wollen wir unseren Teil zur Geschichtsschreibung über die Unterdrückung der Uigur*innen beitragen", sagt Gulhumar Haitiwaji. Mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern bereitet sie derzeit ihre Auswanderung in die USA vor. Dort erhofft sie sich eine bessere Einbindung in die uigu­rische Community und offenere Ohren für ihr Anliegen. Als ­dezidiert politische Person hat sich Gulhumar Haitiwaji nie ­verstanden: "Ich interessiere mich vor allem für die uigurische Geschichte und unsere kulturellen Traditionen." Für die chinesischen Behörden ist selbst das zu viel.

Till Schmidt ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

Weitere Artikel