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50 Jahre nach dem Putsch in Chile: Heilung durch Erinnerung
Mahnwache in der chilenischen Stadt Valparaiso für die Opfer der Militärdiktatur (30. August 2023)
© IMAGO / Avalon.red
Es war einer der dunkelsten Tage in der Geschichte Chiles: Am 11. September 1973 putschte das Militär unter Führung von General Augusto Pinochet gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende. In den folgenden Jahrzehnten beging das Militärregime unzählige Völkerrechtsverbrechen und grausame Menschenrechtsverletzungen. Bis heute sind viele der Gräueltaten nicht aufgeklärt. Doch die durch die Diktatur verursachten Wunden können nur heilen, wenn Chile aus seiner Geschichte lernt. So kann die Basis für eine Gesellschaft geschaffen werden, in der die Menschenwürde wieder mehr geachtet wird. Dies erklärt Amnesty International anlässlich des 50. Jahrestages des Putsches.
Während Pinochets Herrschaft wurden in Chile die verfassungsmäßigen Rechte ausgesetzt. Der Kongress wurde aufgelöst und im ganzen Land der Ausnahmezustand verhängt. Folter und Verschwindenlassen wurden neben weiteren Praktiken zur Staatspolitik. Nach offiziellen Angaben waren 40.175 Menschen von den Gräueltaten betroffen, darunter Folteropfer, Hingerichtete, Inhaftierte und Opfer des Verschwindenlassens. Nach Angaben der "Organisation zur Beobachtung der juristischen Aufarbeitung" (Oberservatorio Justicia Transicional) stehen in mehr als 70 Prozent der Fälle von Hinrichtungen und Verschwindenlassen Gerechtigkeit, Wahrheit und Entschädigung noch aus.
Mitglieder der chilenischen Militär-Junta unter der Führung von General Augusto Pinochet (zweiter von links) wenige Tage nach dem Putsch vom 11. September 1973
© IMAGO / TT
Zwischen 1973 und 1990 wurden 3.216 Personen ermordet oder Opfer des Verschwindenlassens. Die menschlichen Überreste von schätzungsweise 1.469 Inhaftierten und Hingerichteten sind immer noch nicht gefunden worden. Es ist unerlässlich, dass der von Präsident Gabriel Boric angekündigte "Nationale Plan zum Auffinden der Opfer" die Umstände des Verschwindens und das Schicksal dieser Menschen aufklärt. Dieses Programm muss zudem mit den Familien koordiniert werden und finanziell so ausgestattet sein, dass es effektiv durchgeführt werden kann. Darüber hinaus muss es zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen all diejenigen führen, die für die Verbrechen verantwortlich waren oder die an den Taten beteiligt waren.
"Die Suche nach den verschwundenen Inhaftierten ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der Menschlichkeit. Ihren Verbleib zu klären, sie zu identifizieren und ihre menschlichen Überreste an ihre Familien zu übergeben, wird nicht nur den Angehörigen Erleichterung verschaffen, sondern auch dazu beitragen, die tiefe Wunde zu heilen, die die chilenische Gesellschaft in sich trägt. Um dies zu erreichen, müssen diejenigen, die beharrlich Informationen zu den Vorkommnissen zurückhalten, diese endlich aushändigen. Diese und andere von der Regierung kürzlich angekündigte Maßnahmen sind die Grundlage, damit der 'Nationale Plan zum Auffinden der Opfer' seine Aufgabe erfüllt", sagte Rodrigo Bustos, Geschäftsführer von Amnesty International in Chile.
Bombardierung des Präsidentenpalastes "La Moneda" durch das putschende Militär in Santiago de Chile (11. September 1973)
© Biblioteca del Congreso Nacional de Chile
Der chilenische Kongress muss unbedingt eine aktive Rolle dabei einnehmen, Gerechtigkeit voranzutreiben und die von der Regierung vorgeschlagenen Projekte zu unterstützen.
Und es gibt bereits auch Fortschritte. So ist beispielsweise nicht mehr länger geheim, welche Gesetze während des Pinochet-Regimes erlassen wurden. Auch die Aussagen der Folteropfer vor der Wahrheitskommission "Valech" werden nicht mehr länger unter Verschluss gehalten. In den Augen von Amnesty International können diese positiven Entwicklungen Chile auf den Weg bringen, ein Land zu werden, das sich seiner Vergangenheit stellt und seine erlittenen Traumata verarbeitet.
Denn das Erinnern ist eine grundlegende Säule, um zu verhindern, dass sich solche furchtbaren Geschehnisse wiederholen. Auch 50 Jahre nach dem Putsch hat Chile immer noch kein Gesetz, das die Gedenkstätten schützt, und auch kein nationales Erinnerungsarchiv. Es ist unerlässlich, dass die Behörden die Initiative für ein Archiv umsetzen, klare Richtlinien für dessen Funktionsweise präsentieren und die Zivilgesellschaft einbeziehen.
Zudem ist es dringend erforderlich, dass die Einrichtung eines Netzwerks von Gedenkstätten ermöglicht und der Schutz und Erhalt der Orte von Menschenrechtsverletzungen sichergestellt werden. Die Regierung hat kürzliche eine Politik der nationalen Erinnerung und des Erbes angekündigt. Dies ist zu begrüßen, und der Kongress sollte diese Initiative unbedingt unterstützten.
"Die Gedenkstätten müssen geachtet, gepflegt und gewürdigt werden, damit sie ihre Bildungsfunktion erfüllen können. Die Existenz dieser Orte wird zukünftigen Generationen dabei helfen, die dort begangenen Gräueltaten niemals zu vergessen und mit der Überzeugung aufzuwachsen, dass sich so etwas nicht wiederholen darf", erklärte Rodrigo Bustos.
Ruben Ruíz floh nach dem Militärputsch in Chile 1973 nach Deutschland und engagierte sich dort bei Amnesty International (YouTube-Video von 2011)
© Amnesty International
Während die Opfer und ihre Familien sowie einige Menschenrechtsorganisationen nach Jahrzehnten immer noch nach Gerechtigkeit suchen, verbreiten manche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und einige chilenische Behörden unverantwortliche Hassreden. Dieses Verhalten ist gefährlich, denn es verharmlost das Leid der Opfer, spricht ihnen das Recht auf Wahrheit ab, verbreitet Desinformation, schwächt die Institutionen und begünstigt die Straflosigkeit und die Gefahr einer Wiederholung.
"Wir dürfen nicht zulassen, dass Vergessen und Hassreden sich in der Gesellschaft breit machen. Die Erinnerung muss lebendig gehalten werden, um zu verhindern, dass zukünftige Generationen die gleichen Gräueltaten erleben müssen, die wir in der Vergangenheit erlebt haben. Die klare Ablehnung von Menschenrechtsverletzungen und ein engagiertes Voranschreiten in Richtung Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und Entschädigung wären ein machtvolles Signal, das wir als Land verdient haben", sagte Rodrigo Bustos.
Amnesty-Protestaktion für die Verurteilung von Augusto Pinochet in London, wo der ehemalige chilenische Diktator in einer Klinik festgenommen worden war (Archivaufnahme von 1998).
© IMAGO / Avalon.red
Weitere Informationen von Amnesty International zum Putsch in Chile
Nach dem Putsch entsandte Amnesty eine Delegation nach Chile, um Menschenrechte zu beobachten. Das Ergebnis ist der auf amnesty.org zu findende Bericht "Chile: An Amnesty International Report 1974"
Amnesty legte Einspruch ein bei ungerechten Gerichtsverfahren und konnte so oft Strafminderungen erzielen. In den Jahresberichten der 1970er Jahre berichtete Amnesty über Folter, Verletzung des Rechts auf faire Gerichtsverfahren, außergerichtliche Tötungen und gewaltsamen Verschwindenlassens.
Hier eine Auswahl von älteren Amnesty-Berichten auf amnesty.org:
Disappeared Prisoners in Chile (1977)
Chile: The human rights legacy (1991)
Chile: Reports of torture since March 1990 (1991)
"Life under Pinochet" (eine Reihe von persönlichen Erfahrungsberichten von Überlebenden aus dem Jahr 2013)
Artikel auf amnesty.de:
"Gegen die Schweine in Uniform": Porträt aus dem Jahr 2011 über Ruben Ruíz, der 1973 von Chile nach Deutschland floh, wo er sich Amnesty International anschloss und ab dem Jahr 2000 mehr als zehn Jahre lang bis zu seinem Tod Sprecher der Ratinger Amnesty-Gruppe war