Aktuell 15. Oktober 2021

Amerikas: Fünf Strategien, um rechtswidriges Verhalten der Polizei zu beenden

Das Bild zeigt mehrere schwer ausgerüstete Polizeikräfte, die eine Person umstellen, die am Boden sitzt

Polizeikräfte in der kolumbianischen Stadt Pasto nehmen bei einem regierungskritischen Protest am  28. Juni 2021 einen Demonstrierenden fest. 

Unrechtmäßige Gewaltanwendung, Diskriminierung und Straflosigkeit – in vielen Ländern Lateinamerikas und der Karibik ist die Polizei für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Amnesty International hat nun einen Bericht mit fünf Strategien veröffentlicht, um die Polizeiarbeit in den betreffenden Ländern menschenrechtskonform zu gestalten. 

Um die in vielen Teilen Lateinamerikas und der Karibik grassierende Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei zu beenden, müssen die Regierungen dieses Problem auf struktureller Ebene angehen, so Amnesty International in einem heute veröffentlichten Bericht

So sollten sie geeignete Vorschriften für Ermittlungen bei mutmaßlich von Polizist_innen begangenen Menschenrechtsverletzungen erarbeiten und befolgen, die Rolle befehlshabender Beamt_innen dabei genau untersuchen und mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um wirksame und unabhängige Mechanismen zur Erfüllung ihrer Rechenschaftspflichten einzuführen.

"Unsere mehrjährigen Recherchen in Lateinamerika und der Karibik zeigen, dass Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei in der ganzen Region die Norm und nicht die Ausnahme sind. In dem heute veröffentlichten Bericht machen wir fünf konkrete Vorschläge, um die Straflosigkeit bei diesen Menschenrechtsverletzungen zu beenden. Wir hoffen, dass er von Regierungsvertreter_innen und Menschenrechtsfachleuten gleichermaßen als praktischer Leitfaden genutzt wird, um spürbar für mehr Gerechtigkeit in der Region zu sorgen", sagte Erika Guevara-Rosas, Direktorin der Region Amerikas bei Amnesty International. 

Der Bericht Police in the spotlight: Towards police accountability for human rights violations in the Americas umreißt fünf Schlüsselempfehlungen, wie Staaten gegen Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei in der gesamten Region vorgehen sollten: 

  1. Die Staaten sollten unabhängige und wirksame Mechanismen für die Überwachung polizeilichen Handelns und der Erfüllung der Rechenschaftspflichten der Polizei einführen.
  2. Die Staaten sollten die wichtige Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen bei der Überwachung polizeilichen Handelns und in Verfahren zur Erfüllung der Rechenschaftspflichten der Polizei anerkennen und stärken.
  3. Die Staaten sollten sicherstellen, dass Ermittlungen zu möglichen rechtswidrigen Tötungen durch die Polizei im Einklang mit dem Minnesota-Protokoll der Vereinten Nationen über die Untersuchung potenziell rechtswidriger Tötungen durchgeführt werden.
  4. Die Staaten sollten rechtswidrige Polizeigewalt als strukturelles Problem behandeln.
  5. Die Staaten sollten in Gesetzen und Vorschriften die Verantwortlichkeit leitender Beamt_innen und anderer Vorgesetzter für rechtswidrige Polizeigewalt klar festschreiben.

"Keine dieser Empfehlungen kann für sich allein genommen wirksam sein. Aber gemeinsam und mit dem Reichtum an Entschlossenheit und Erfahrung, den es in Lateinamerika und der Karibik gibt, können sie einen soliden Fahrplan für eine verantwortliche, wirksame Polizeiarbeit bilden, die die Menschenrechte aller schützt", sagte Erika Guevara-Rosas.

Topshot auf Protestierende

In den letzten Jahren hat Amnesty International dokumentiert, dass die Polizei in Ländern wie Chile, Kolumbien, Honduras, Nicaragua oder Venezuela unrechtmäßige Gewalt angewendet hat, um Demonstrierende abzuschrecken und auseinanderzutreiben. In anderen Ländern setzte sie so Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie durch. Und auch bei Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung setzt die Polizei immer wieder unrechtmäßige Gewalt ein, beispielsweise in Brasilien oder Jamaika.

Die meisten derjenigen, die verdächtigt werden, für diese Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verantwortlich zu sein, genießen fast völlige Straffreiheit. An Orten wie Rio de Janeiro folgt die Polizei oft ihren eigenen Gesetzen: Sie ermittelt, nimmt fest und verurteilt Menschen zum Tode. El Salvador wiederum weist nicht nur die höchste Mordrate der Welt auf, sondern auch die höchste Rate an Tötungen durch die Polizei – Tendenz steigend.

Der neue Amnesty-Bericht stellt außerdem fest, dass die Betroffenen exzessiver oder anderweitig unrechtmäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei in Lateinamerika und der Karibik häufig aus Bevölkerungsgruppen stammen, die struktureller Diskriminierung ausgesetzt sind, wie etwa indigene und afro-stämmige Menschen, Migrant_innen und Geflüchtete, Bewohner_innen von Stadtvierteln mit niedrigem Einkommen oder LGBTIQ+. 

Amnesty-Video zu Polizeigewalt in Kolumbien:

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Auch wenn bei den meisten Tötungsdelikten durch die Polizei keine Frauen sterben, tragen sie das Leid, wenn Angehörige getötet werden oder dauerhafte Verletzungen davontragen. Frauen sind zudem direkt von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. In Ländern wie Mexiko beispielsweise üben Angehörige der Polizei oder der Streitkräfte in der Haft oder bei Verhören häufig sexualisierte Gewalt gegen Frauen aus. Darüber hinaus werden bestimmte Gruppen von Frauen, wie zum Beispiel Sexarbeiterinnen, in einer Reihe von Ländern besonders häufig gefoltert und misshandelt, unter anderem in der Dominikanischen Republik

Die Straflosigkeit für polizeiliche Übergriffe besteht häufig fort, weil die Ermittlungen zu diesen Verbrechen nicht unabhängig sind, nicht den Mindestanforderungen an Sorgfaltspflicht entsprechen und die Betroffenen, ihre Familien und die Zivilgesellschaft nicht einbezogen werden. Viele Ermittlungen in Brasilien wurden dadurch untergraben, dass die gerichtsmedizinischen und ballistischen Dienste von der Polizei kontrolliert werden. In Kolumbien hat das Fehlen unabhängiger Untersuchungen dazu geführt, dass Beweise manipuliert werden konnten, sodass rechtswidrige Tötungen als Todesfall bei Kampfhandlungen dargestellt wurden – ein Phänomen, das als "falsos positivos" bekannt geworden ist. 

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