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Deutschland: Abschiebungen nach Venezuela sofort unterbinden
Demonstration für höhere Löhne in Venezuelas drittgrößter Stadt Valencia (16. Januar 2023)
© IMAGO / ZUMA Wire
Venezuela befindet sich in einer Krise des wirtschaftlichen Niedergangs, der humanitären Not und des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems. Bis August 2023 sind 7,7 Millionen Menschen aus dem Land geflohen, das entspricht etwa einem Viertel der Gesamtbevölkerung. Auch in Deutschland haben Schutzsuchende aus Venezuela Asyl beantragt. Amnesty fordert die Bundesregierung und die Landesregierungen auf, Abschiebungen nach Venezuela aufgrund der dortigen humanitären Lage zu unterbinden.
In Deutschland steigt die Zahl venezolanischer Schutzsuchender an: Im vergangenen Jahr stellten 1.841 Venezolaner*innen einen Asylantrag, 2023 waren es bis zum Monat Oktober bereits 2.916 Personen. Die überwiegende Mehrheit der venezolanischen Geflüchteten lebt in Sachsen, dem bisher der Großteil der Asylanträge zu diesem Herkunftsland zugewiesen wurde.
Amnesty International hat mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, dass sich die Schutzquote für Venezolaner*innen im Asylverfahren in den vergangenen Jahren auf zuletzt nur noch 21 Prozent mehr als halbiert hat, ohne dass eine Verbesserung der politischen wie humanitären Situation im Land erkennbar ist. Seit Beginn des Jahres wurden außerdem erstmals seit einigen Jahren wieder mehrere Personen aus Sachsen nach Venezuela abgeschoben.
In der humanitären Abwärtsspirale
In einer aktuellen Analyse dokumentiert Amnesty einen komplexen humanitären Notstand in Venezuela, der weiterhin zu einer stetigen Verschlechterung der Lebensverhältnisse führt und schwere Auswirkungen insbesondere auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Venezolaner*innen hat.
So verfügten 2022 nahezu 95 Prozent der Bevölkerung über kein ausreichendes Einkommen, um ihre lebensnotwendigen Grundbedürfnisse zu stillen, schätzungsweise mehr als 40 Prozent der Bevölkerung sind von Ernährungsunsicherheit betroffen. 70 Prozent hatten keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser und etwa 20 Prozent lebten ohne Strom. Das Gesundheitssystem in Venezuela ist zusammengebrochen.
Kritik bleibt lebensgefährlich
Kritik an der Regierung wird in Venezuela mit massiver Gewalt und Repression seitens der staatlichen Sicherheitskräfte unterdrückt. Amnesty hat über viele Jahre hinweg wiederholt dokumentiert, wie willkürliche Inhaftierungen, außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und andere Misshandlungen, Stigmatisierung von Oppositionellen durch regierungsnahe Medien, Einschüchterungen und exzessive Gewalt im Rahmen von Demonstrationen systematisch eingesetzt werden, um die Opposition und andere kritische Stimmen im Keim zu ersticken.
Nach Angaben venezolanischer Organisationen wurden seit 2014 mehr als 15.700 Personen willkürlich inhaftiert. Zwischen 286 und 319 Personen befanden sich im August 2023 weiterhin teilweise seit Jahren in politischer Haft. Zahllose weitere ehemalige Inhaftierte sind mit andauernden Strafprozessen ohne Hoffnung auf ein faires Verfahren konfrontiert.
Für die Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen bedient sich die Regierung von Nicolás Maduro außerdem der sogenannten "Colectivos", bewaffneten regierungstreuen Gruppierungen, deren Verbrechen ebenso wie jene der staatlichen Sicherheitskräfte nahezu komplett straffrei bleiben.
Eine von den Vereinten Nationen eingesetzte unabhängige Ermittlungsmission kam zu dem Schluss, dass es sich bei einigen dieser Menschenrechtsverletzungen um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln könnte. Die Mission legte außerdem Belege dafür vor, dass die systematische Repressionspolitik einem auf höchsten Regierungsebenen entworfenen Plan zur Ausschaltung von Widerspruch und Kritik folgt. Seit 2021 ermittelt der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Präsident Maduro.
Auch politisch motivierte willkürliche Verhaftungen werden bis zum heutigen Tag fortgesetzt, wie Amnesty in einem aktuellen Bericht dokumentiert hat. Betroffen sind nicht ausschließlich prominente Kritiker*innen der Regierung, sondern auch Personen, die sich bisher nicht in expliziter Weise politisch geäußert oder betätigt haben, sowie ihre Familienangehörigen und weitere Kontaktpersonen.
Schutzbedarfe von venezolanischen Geflüchteten
Zu den von Amnesty dokumentierten Fällen willkürlicher Verhaftungen und anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen gehören unter anderem politische Führungspersonen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Gewerkschaftsmitglieder, soziale Aktivist*innen, Journalist*innen, Teilnehmende an Protesten und Lehrer*innen. Die Organisation ist der Auffassung, dass insbesondere diese Gruppen gefährdet sind, im Falle einer Rückkehr nach Venezuela Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen zu werden, und sie ein besonderes Risikoprofil aufweisen, das die Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus rechtfertigt.
Das ernsthafte Risiko einer Verfolgung besteht weiterhin für alle Personen, die es in Venezuela wagen, Widerspruch zu äußern und ihre Menschenrechte einzufordern, sowie für all jene, die aufgrund ihrer tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen politischen Einstellung als Gegner*innen der Regierung angesehen werden. Die Verfolgungsgefahr kann sich nachgewiesenermaßen ebenso auf Familienangehörige und weitere mit ihnen in Verbindung stehende Personen erstrecken und eine Form der Vergeltung darstellen.
Amnesty fordert daher die deutsche Bundesregierung sowie die Landesregierungen dazu auf, einen sofortigen und umfassenden Abschiebungsstopp nach Venezuela zu beschließen.