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Iran: Zunehmende Unterdrückung von Frauen und Mädchen durch Sittenpolizei und Massenüberwachung
© Amnesty International
Die iranischen Behörden verstärken erneut ihre Unterdrückung von Frauen und Mädchen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzen. In einer heute veröffentlichten Analyse dokumentiert Amnesty International das verstärkte landesweite Vorgehen der Behörden gegen Frauen und Mädchen, die in der Öffentlichkeit kein Kopftuch tragen wollen. Der Sprecher der iranischen Polizei kündigte Kontrollen und strafrechtliche Konsequenzen an. In Teheran und Rasht kam es zu heftigen Übergriffen gegen Frauen. Behörden verbannen Frauen ohne Kopftücher aus Hochschulen und öffentlichen Verkehrsmitteln, verwehren ihnen den Zugang zu Finanzdienstleistungen und schließen Unternehmen, die die Kopftuchpflicht nicht umsetzen.
Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für die MENA-Region bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Die sogenannte ,Sittenpolizei' im Iran war nie wirklich weg und geht nun erneut brutal gegen Frauen und Mädchen vor. Die Menschen im Iran lassen sich nicht dadurch täuschen, dass die 'Sittenpolizei' die Abzeichen von ihren Uniformen und Streifenwagen entfernt. Die Islamische Republik ermutigt ihre Sicherheitskräfte, Frauen und Mädchen weiter mit Gewalt zu unterdrücken. Diese Gewalt hat schon Jina Mahsa Amini das Leben gekostet. Durch Massenüberwachungstechnologien werden unverschleierte Frauen in ihren Autos und in Fußgängerzonen identifiziert. Die Repression ist daher heute noch umfassender und härter."
Der Sprecher der iranischen Polizei, Saeed Montazer-Almahdi, kündigte am 16. Juli zur Durchsetzung der Zwangsverschleierung verstärkte Kontrollen und strafrechtliche Konsequenzen an. Gleichzeitig wurden in den Sozialen Medien Videos veröffentlicht, in denen zu sehen war, wie in Teheran und Rasht Frauen von Beamten angegriffen wurden. Außerdem zeigen diese Videos, wie Sicherheitskräfte Tränengas auf diejenigen schossen, die den Frauen in Rasht bei der Flucht vor Festnahmen halfen.
Seit dem 15. April 2023 wurden mehr als eine Million Frauen, die ohne Kopftuch am Steuer gefilmt worden waren per Textnachrichten davor gewarnt, dass ihre Fahrzeuge beschlagnahmt werden könnte. Das belegen offizielle Angaben. Außerdem wurden zahlreiche Frauen von Universitäten entweder suspendiert, verwiesen oder von Abschlussprüfungen ausgeschlossen. Ihnen wurde der Zugang zu Bankdienstleistungen oder öffentlichen Verkehrsmitteln verwehrt. Hunderte von Geschäften wurden geschlossen, weil sich die Besitzer*innen nicht an die Gesetze zur Zwangsverschleierung hielten. Das verschärfte Vorgehen zeigt, wie unglaubwürdig die Behauptungen der iranischen Behörden waren, die "Sittenpolizei" aufgelöst zu haben. Diese kehrt begleitet von widersprüchlichen offiziellen Erklärungen auf die iranischen Straßen zurück.
"Das verschärfte Vorgehen gegen Frauen, die sich der Zwangsverschleierung widersetzen, zeigt: Die iranischen Behörden missachten die Menschenwürde und die Rechte von Frauen und Mädchen auf Selbstbestimmung, Privatsphäre, freie Meinungsäußerung sowie Religions- und Weltanschauungsfreiheit", sagt Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International. "Es macht auch deutlich, wie verzweifelt die Behörden versuchen, ihre Vorherrschaft und Macht über diejenigen zu behaupten, die es wagten, sich während des 'Frau. Leben. Freiheit.'-Aufstands gegen die jahrzehntelange Unterdrückung und Ungleichheit zu wehren."
Eine Frau aus der Provinz Isfahan, die in einer SMS aufgefordert worden war, ihr Auto für 15 Tage nicht zu benutzen, weil sie beim Autofahren ihr Kopftuch abgelegt hatte, berichtete Amnesty International: "Emotional und psychologisch haben all diese Drohungen, die sie [die Behörden] ausgesprochen haben, einen sehr negativen Einfluss auf uns... Die Islamische Republik will zeigen, dass sie bis zum Äußersten gehen kann, wenn es um die Durchsetzung der Zwangsverschleierung geht... Sie wollen gegenüber der internationalen Gemeinschaft den Eindruck erwecken, dass sie sich von der Gewalt abwenden, aber in Wirklichkeit führen sie solche Aktionen einfach diskreter durch. Sie verbreiten wirklich Existenzangst unter uns."
Die iranische Polizei hat seit dem 15. April 2023 fast eine Million solcher SMS-Warnungen an Frauen verschickt. Das gab ein Sprecher der Polizei am 14. Juni 2023 bekannt. Die Nachrichten gingen an Frauen, die unverschleiert in ihren Autos erwischt wurden. In 133.174 dieser SMS-Nachrichten forderte die Polizei die Stilllegung von Fahrzeugen für eine bestimmte Dauer, beschlagnahmte auf diese Weise 2.000 Autos und überstellte so landesweit mehr als 4.000 "Wiederholungstäterinnen" an die Justiz. Der Polizeisprecher fügte hinzu, dass 108.211 Berichte über die Durchsetzung der Schleierpflicht in Unternehmen gesammelt worden seien. Dabei seien 300 "Straftäterinnen" identifiziert und an die Justiz überstellt worden.
Dieses Vorgehen soll nun weiter gefestigt und noch geschärft werden, denn die Justiz- und Exekutivbehörden legten dem Parlament am 21. Mai 2023 den "Gesetzentwurf zur Unterstützung der Kultur der Keuschheit und des Hijab" vor. Dieser sieht vor, dass Frauen und Mädchen, die sich ohne Kopftuch im öffentlichen Raum und in den Sozialen Medien zeigen oder die "Nacktheit eines Körperteils zeigen oder dünne oder enge Kleidung tragen", mit einem Katalog von Strafen belegt werden können. Dazu gehören Geldstrafen, die Beschlagnahmung von Autos und Kommunikationsgeräten, Fahrverbote, Abzüge vom Gehalt, Einschränkung der Arbeitnehmer*innenrechte, Entlassungen und die Verwehrung von Bankdienstleistungen. Diese Strafen würden die Menschenrechte der Frauen und Mädchen, einschließlich ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte, stark beeinträchtigen.
Der Gesetzentwurf sieht außerdem Haftstrafen von zwei bis fünf Jahren, Reiseverbote oder Zwangsumsiedlungen an einen bestimmten Ort für Frauen und Mädchen vor, die sich "systematisch oder in Absprache mit ausländischen Geheim- und Sicherheitsdiensten" über die Gesetze zur Zwangsverschleierung hinwegsetzen.
Führungskräften in öffentlichen Einrichtungen und privaten Unternehmen, die unverschleierte Mitarbeiterinnen und Kundinnen auf ihrem Gelände zulassen, drohen Strafen, die von Geschäftsschließungen bis hin zu langen Haftstrafen und Reiseverboten reichen.
Der Gesetzentwurf sieht auch eine Reihe von Sanktionen gegen Sportler*innen, Künstler*innen und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vor, die sich den Verschleierungsgesetzen widersetzen, darunter Berufsverbote, Haft- und Geldstrafen sowie Auspeitschungen.
Gleichzeitig stützen sich die Behörden auf das islamische Strafgesetzbuch, um Frauen, die sich ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit zeigen, strafrechtlich zu verfolgen und mit erniedrigenden Strafen zu belegen. Amnesty International hat Urteile gegen sechs Frauen überprüft, die im Juni und Juli 2023 ergangen sind. Sie wurden wegen einer "antisozialen Persönlichkeitsstörung" dazu verpflichtet, an einer Zwangsberatung teilzunehmen, Leichen in einem Leichenschauhaus zu waschen oder Regierungsgebäude zu reinigen.
Dieser Angriff auf die Rechte von Frauen und Mädchen findet inmitten einer Flut von hasserfüllten Äußerungen von Beamten und staatlichen Medien statt: Das Ablegen des Kopftuchs wird als "Virus", "soziale Krankheit" oder "Störung" bezeichnet und die Entscheidung, sich ohne Kopftuch zu zeigen, mit "sexueller Verdorbenheit" gleichgesetzt.
Die iranischen Behörden müssen die Zwangsverschleierung abschaffen, alle Urteile im Zusammenhang mit der Verweigerung der Zwangsverschleierung aufheben, alle Anklagen gegen die Verfolgten fallen lassen und alle deswegen inhaftierten Personen bedingungslos freilassen. Die Behörden müssen die geplante Gesetzesverschärfung aufgeben, mit der Frauen und Mädchen wegen der Wahrnehmung ihrer Rechte auf Gleichberechtigung, Privatsphäre sowie Meinungs-, Religions- und Glaubensfreiheit zukünftig noch härter bestraft werden sollen.
"Die internationale Gemeinschaft darf nicht tatenlos dabei zusehen, wie die iranischen Behörden ihre Unterdrückung von Frauen und Mädchen weiter verstärken. Die Reaktion der Staaten sollte sich nicht auf eindringliche öffentliche Appelle und diplomatische Interventionen beschränken. Die Staaten sollten außerdem iranische Beamte für die massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen und Mädchen juristisch zur Rechenschaft ziehen, Die internationale Gemeinschaft muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um Frauen und Mädchen zu unterstützen, die vor geschlechtsspezifischer Verfolgung und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen aus dem Iran fliehen. Sie muss sicherstellen, dass diese Frauen und Mädchen Zugang zu schnellen und sicheren Asylverfahren haben und unter keinen Umständen in den Iran zurückgeschickt werden", erklärt Agnès Callamard.