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Afghanistan: Sicherheitskräfte der ehemaligen afghanischen Regierung außergerichtlich getötet
Taliban-Kämpfer in der afghanischen Stadt Masar-i-Scharif am 31. August 2021
© IMAGO / Xinhua
Taliban-Kämpfer haben am 30. August in der Provinz Daykundi 13 Angehörige der ethnischen Gruppe der Hazara getötet. Darunter waren elf Sicherheitskräfte der ehemaligen Regierung. Neun von ihnen wurden außergerichtlich hingerichtet, nachdem sie sich bereits ergeben hatten. Unter den Opfern war auch ein 17-jähriges Mädchen, das im Kreuzfeuer starb.
Neue Recherchen von Amnesty International belegen, dass die Taliban am 30. August im Dorf Kahor im Bezirk Khidir elf ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte sowie zwei Zivilpersonen getötet haben.
Augenzeug_innen berichteten Amnesty International, dass die Taliban neun Sicherheitskräfte außergerichtlich hingerichtet haben, nachdem sie sich bereits ergeben hatten. Diese Tötungen stellen laut Amnesty International Kriegsverbrechen dar. Bei einem Fluchtversuch sind zwei Zivilpersonen getötet worden, als die Taliban das Feuer auf eine Menschengruppe eröffnet hatten. Eine davon war ein 17-jähriges Mädchen.
Weitere Informationen hinzugefügt am 5. Oktober um 12:45 Uhr:
Amnesty International überprüfte Fotos und Videos, die nach den Tötungen aufgenommen wurden, und konnte das Dorf Kahor als Tatort identifizieren.
"Diese kaltblütigen Hinrichtungen sind ein weiterer Beweis dafür, dass die Taliban dieselben schrecklichen Menschenrechtsverstöße begehen, für die sie während ihrer früheren Herrschaft in Afghanistan berüchtigt waren", sagte Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International.
"Die Taliban verletzen immer wieder die Rechte derjenigen, die sie als ihre Gegner betrachten, und töten sogar diejenigen, die sich bereits ergeben haben. Sie behaupten, sie hätten es nicht auf ehemalige Angehörige der vorherigen Regierung abgesehen, doch diese Morde widersprechen diesen Behauptungen."
"Die Taliban müssen diese grausamen Racheakte sofort einstellen und dafür sorgen, dass die Mitarbeiter_innen der ehemaligen Regierung und ihre Familien sicher in Afghanistan leben können. Die neue Regierung muss deutlich machen, dass solche schweren Menschenrechtsverstöße nicht geduldet und die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt werden."
Von den Taliban begangene Menschenrechtsverstöße zu überprüfen, ist seit ihrer Machtübernahme im August 2021 zunehmend schwieriger geworden, da sie in vielen Regionen die Mobilfunkverbindungen gekappt haben. Kurz nach dem Zusammenbruch der Regierung in Kabul und nachdem die Taliban die Provinz Ghazni unter ihre Kontrolle gebracht hatten, hat Amnesty International dokumentiert, wie Taliban-Kämpfer neun Männer der ethnischen Gruppe der Hazara getötet haben.
Tötungen im Dorf Kahor
Am 14. August übernahmen die Taliban die Kontrolle über die Provinz Daykundi. Schätzungsweise 34 ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte suchten zunächst im Bezirk Khidir Schutz. Sie trugen militärische Ausrüstung und Waffen der Regierung bei sich. Als die Taliban die Kontrolle über weite Teile der Region übernahmen, erklärten sie sich jedoch bereit, sich zu ergeben.
Die ehemaligen Angehörigen der Regierungstruppen unter Führung von Mohammad Azim Sedaqat legten ihre Waffen in Anwesenheit der Taliban nieder. Am 29. August verhandelten die Männer über eine vollständige Kapitulation vor den Taliban.
Am nächsten Tag trafen schätzungsweise 300 Taliban-Kämpfer in einem Konvoi in der Nähe des Dorfes Dahani Qul ein, in dem sich die ehemaligen Sicherheitskräfte teilweise mit ihren Familienangehörigen aufhielten. Als die Sicherheitskräfte und ihre Familien versuchten, das Gebiet zu verlassen, blieb ein Fahrzeug in der Nähe des Dorfes Kahor stecken.
Als es von den Taliban-Kämpfern eingeholt wurde, eröffneten diese das Feuer auf die Menschen und töteten dabei die 17-jährige Masuma. Einer der ehemaligen Sicherheitskräfte schoss daraufhin zurück, tötete einen Taliban-Kämpfer und verwundete einen weiteren.
Die Taliban schossen weiter, als die Familien flohen, und töteten zwei ehemalige Sicherheitskräfte. Nachdem sich neun weitere Sicherheitskräfte ergeben hatten, brachten die Taliban sie umgehend in ein nahe gelegenes Flussgebiet und richteten sie hin.
Videos und Fotos, die Amnesty International eingesehen hat, zeigen die aufgereihten Leichen von elf Männern, von denen viele Schusswunden am Kopf aufweisen. Auf einem Video ist zu sehen, wie eine Leiche einen Hang hinaufgetragen wird, vermutlich am Flussbecken bei Kahor. Das Video konnte nicht eindeutig geolokalisiert werden, jedoch stimmt es mit den Berichten von Augenzeug_innen überein, die den Ort in der Nähe von Kahor beschrieben.
Die Namen und das geschätzte Alter der elf getöteten ehemaligen Sicherheitskräfte sind: Musa Amiri, 46; Khudad Jawahiri, 33; Esmatullah Zarigh, 34; Noor Ali Ibrahimi, 34; Habibullah, 33; Amanullah, 32; Reza Karimi, 31: Dawran, 26; Dur Mohammad, 41; Abdul Hamid Fahimi, 28: und Reza Joya, 33.
Die Zeit nach dem Massaker
Am 31. August, dem Tag nach den Tötungen, brachten Dorfbewohner_innen die Leichen nach Dahani Qul zu den Familien nach Hause, wo sie beerdigt wurden. Amnesty International hat vorliegende Informationen überprüft und konnte so die Lage von zwei der Gräber sowie die Identitäten der dort begrabenen Menschen bestätigen.
Die Taliban haben den verbliebenen Familienmitgliedern mitgeteilt, dass alle Geflohenen zurückkehren und sich innerhalb von drei Tagen ergeben sollen. Befragte gaben an, dass ein ranghoher Taliban sie warnte: "Ich habe in den letzten 20 Jahren Menschen getötet. Töten ist keine Schwierigkeit für mich. Ich werde wieder töten."
Sadiqullah Abed, der von den Taliban ernannte Polizeichef der Provinz Daykundi, leugnete am 1. September jegliche Tötungen und bestätigte stattdessen nur, dass ein Mitglied der Taliban bei einem Angriff in Daykundi verwundet worden sei.
Hintergrund
Nach dem Zusammenbruch der afghanischen Regierung Mitte August 2021 übernahmen die Taliban die Macht in Afghanistan. Amnesty International hat zum Schutz von Tausenden Afghan_innen aufgerufen, die ernsthaft von Repressalien der Taliban bedroht sind, von Akademiker_innen und Journalist_innen bis hin zu zivilgesellschaftlichen Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen.
In dem kürzlich veröffentlichten Bericht "Afghanistan’s fall into the hands of the Taliban" hat Amnesty International unzählige von den Taliban begangene Menschenrechtsverstöße und Völkerrechtsverbrechen festgehalten, wie zum Beispiel gezielte Tötungen von Zivilpersonen und Soldaten, die sich ergeben haben, sowie die Lieferblockade von humanitären Hilfsgütern.