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Bangladesch: Entschädigung und Gerechtigkeit für Textilarbeiter*innen überfällig
Textilarbeiterinnen demonstrieren in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka am Internationalen Tag der Menschenrechte gemeinsam mit ihren Angehörigen gegen Ausbeutung und für den Schutz ihrer Rechte (10. Dezember 2023).
© IMAGO / aal.photo
Textilarbeiter*innen in Bangladesch sind einem Klima der Angst und Unterdrückung ausgesetzt, kritisiert Amnesty International zum Tag der Arbeit am Ersten Mai. Unternehmen, die sich Menschenrechtsverstößen schuldig gemacht haben, bleiben straffrei, während der Staat die Rechte von Arbeiter*innen weiter einschränkt.
Trotz Arbeitsunfällen, die manchmal sogar mit dem Tod enden, müssen in Bangladesch nicht Unternehmen, sondern Arbeiter*innen Konsequenzen fürchten – das kritisiert Amnesty International zum Tag der Arbeit. Textilarbeiter*innen, die auf Missstände hinweisen, werden zum Schweigen gebracht: Sie werden mit willkürlichen Strafverfahren überzogen, ihre Proteste gewaltsam niedergeschlagen. Textilarbeiter*innen erhalten weiterhin Armutslöhne und sind mit unzähligen weiteren Verstößen gegen ihre Rechte konfrontiert, darunter Einschüchterung und Gewalt.
Zwischen Oktober und November 2023 starben mindestens vier Textilarbeiter*innen bei Protesten um den nationalen Mindestlohn, 131 Menschen wurden festgenommen, darunter führende Gewerkschafter*innen. Im Juni 2023 wurde Shahidul Islam getötet, der Präsident des Gewerkschaftsverbandes Bangladesh Garment and Industrial Workers Federation. Er hatte versucht, die Auszahlung von ausstehenden Löhnen einzufordern. Vor elf Jahren stürzte die Textilfabrik Rana Plaza ein, mehr als 1100 Textilarbeiter*innen starben, Tausende wurden verletzt. Kurz zuvor hatte es einen tödlichen Brand in der Bekleidungsfabrik Tazreen gegeben. Mindestens 112 Arbeiter*innen starben. Die Entschädigungsverfahren für beide Unglücke sind immer noch nicht abgeschlossen.
Kristina Hatas, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland, sagt:
"Die Regierung in Bangladesch muss dafür sorgen, dass Arbeiter*innen ihre Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit wahrnehmen können und ihnen faire Löhne gezahlt werden.
Auch europäische Unternehmen tragen eine Mitverantwortung dafür, unter welchen Bedingungen ihre Textilprodukte hergestellt werden. Die effektive Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes ist daher wichtig, damit Unternehmen tätig und Betroffene in einschlägigen Fällen entschädigt werden.
Der Umgang mit vergangenen Tragödien unterstreicht die äußerst prekären Bedingungen, denen die Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie auch heute noch ausgesetzt sind. Die Versuche, die Verantwortlichkeit von Unternehmen für den Einsturz von Rana Plaza und den Brand der Fabrik Tazreen auf nationaler und internationaler Ebene zu ermitteln, haben bisher noch zu keiner rechtskräftigen Verurteilung geführt. Auch der TÜV Rheinland, der das Fabrikgebäude einige Monate vor dem Einsturz begutachtet hat, hat bisher keine Verantwortung übernommen. Eine auf den Menschenrechten basierende Entschädigung für Arbeitsunfälle bleibt in Bangladesch ein ferner Traum. Wir fordern, dass die Regierung die Entschädigungsgrenzen für Arbeitsunfälle aufhebt, den Betroffenen eine angemessene Entschädigung gewährleistet und eine nationale Datenbank über Todesfälle und Verletzungen am Arbeitsplatz einrichtet."
Strafverfahren und Gewalt gegen Demonstrierende
Seit den Protesten 2023 wurden mindestens 35 Strafverfahren gegen Textilarbeiter*innen eingeleitet, wobei in den aufgenommenen Anzeigen rund 161 namentlich genannten Arbeiter*innen und schätzungsweise bis 44.450 ungenannten Arbeiter*innen die Teilnahme an den Protesten vorgeworfen wurde. Mindestens 131 Personen wurden im Zusammenhang mit diesen Fällen festgenommen, darunter mehrere Vorsitzende wichtiger Gewerkschaften.
In Gesprächen mit Amnesty International haben viele führende Gewerkschafter*innen berichtet, dass die Erwähnung von tausenden Demonstrierenden ohne Namensnennung zur pauschalen Drohung mit Entlassungen genutzt wird, um die Fabrikarbeiter*innen weiter einzuschüchtern.
Amnesty International hat einige der von der Polizei im Anschluss an die Proteste eingereichten Fallunterlagen geprüft. Die Akten belegen eindeutig die Anwendung rechtswidriger Gewalt durch die Polizei bei der Auflösung von Demonstrationen. Bis heute wurden keine Polizist*innen für die unrechtmäßige Anwendung von Gewalt und den Tod von Demonstrierenden zur Rechenschaft gezogen.
Unfälle und Todesfälle am Arbeitsplatz
Trotz einiger globaler Reformen, die auf die Rana-Plaza-Tragödie folgten, gibt es für Arbeitnehmer*innen in Bangladesch keine Sicherheit am Arbeitsplatz. Nach konservativen Schätzungen der Safety and Rights Society, einer NGO, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einsetzt, wurden zwischen 2013 und 2023 mehr als 5.608 arbeitsbedingte Todesfälle dokumentiert – ohne die Todesopfer des Rana-Plaza-Einsturzes. Allein 2023 kamen 875 Arbeitnehmer*innen bei Unfällen am Arbeitsplatz ums Leben.
Hintergrund
Das Recht auf Protest wird weltweit zunehmend bedroht. Amnesty International setzt sich mit der Kampagne "Protect the Protest" gegen die Unterdrückung von friedlichem Protest ein, solidarisiert sich mit den Betroffenen und unterstützt die Anliegen sozialer Bewegungen, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Amnesty International dokumentiert Fälle von Unterdrückung der Versammlungsfreiheit auf der weltweiten Karte der Kampagne "Protect the Protest".