Informieren 16. Oktober 2023

Klimagerechtigkeit: Denkanstöße und machtkritische Betrachtungen zu wichtigen Begriffen

Eine Menschenmenge, in der viele Plakate hochhalten, auf denen die Menschen "Climate justice now", also "Klimagerechtigkeit jetzt" fordern.

Diese Übersicht liefert eine kritische Reflexion über verschiedene Begriffe, die mit dem Kampf gegen die Klimakrise verbunden sind. Leser*innen soll es damit ermöglicht werden, Machtstrukturen und koloniale Kontinuität im Allgemeinen zu reflektieren und zu verstehen.  

"Wir sitzen alle im selben Boot" - sowohl die frühen Klimabewegungen als auch die Politiker*innen des Globalen Nordens betrachteten die Klimakrise und ihre Lösung lange als ein Problem, für das alle die gleiche Verantwortung tragen und dass für alle die gleichen Folgen hat. 

Kolonialismus, Rassismus und die Klimakrise sind jedoch untrennbar miteinander verbunden. Die gegenwärtige Klimakrise zu Lasten der Menschen im Globalen Süden ist das Ergebnis von über 500 Jahren kolonialer Praktiken. Auch wenn wir alle im selben Boot sitzen, muss klargestellt werden, dass wir nicht die gleiche Verantwortung tragen, nicht am gleichen Platz im Boot sitzen und nicht die gleichen Annehmlichkeiten genießen. Wir haben auch nicht die gleichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten, wenn es darum geht, das Boot zu steuern. Außerdem werden Entscheidungen über die Richtung, die das Boot nehmen soll, nicht gemeinsam getroffen.

Im Kontext der kolonialen Kontinuität und Machtstrukturen werden Wörter und Ausdrücke, die mit Diskursen und Erzählungen verbunden sind, alles andere als zufällig gewählt. So wurden lange Zeit verschiedene Ausdrücke mit Völkern in Verbindung gebracht, um ihre Menschlichkeit und ihr Wissen in Frage zu stellen. Ausdrücke wie "farbige Menschen", um die Normativität der angeblich weißen Menschen zu bestätigen, "zivilisierte" und "primitive" Menschen, um ihre Naturverbundenheit in Frage zu stellen, usw. waren und sind auch heute noch Teil des Mainstream-Denkens.

Diese Übersicht liefert eine kritische Reflexion über einige Begriffe, die mit dem Kampf gegen die Klimakrise verbunden sind. Es wird den Leser*innen auch ermöglichen, Machtstrukturen und koloniale Kontinuität im Allgemeinen zu reflektieren und zu verstehen, warum es unmöglich ist, diese Themen von den Diskussionen zur Lösung der Krise zu trennen.

Die kritische Auseinandersetzung mit solchen Begriffen und über ihr Verständnis zu sprechen hilft, die Perspektive einiger Personen zu beleuchten, die nicht die Kapitän*innen dieses Bootes sind und nicht auf dem besten Platz sitzen, aber dies sollten.

Die Übersicht soll nicht die eine Definition von Terminologien und Begriffen im Kontext der Klimakrise wiedergeben, sondern eine kritische Betrachtung jedes Begriffes ermöglichen. Sie beleuchtet zentrale Begriffe der Klimadebatte insbesondere aus einer Perspektive des Antirassismus und der Dekolonisierung.      

 

Denkanstöße und machtkritische Betrachtungen zu wichtigen Begriffen rund um Klimagerechtigkeit:

Am stärksten betroffene Personen und Gebiete

Die Folgen der Klimakrise sind ungerecht verteilt: Obwohl die Länder und Menschen des Globalen Nordens historisch für den größten Anteil der Treibhausemissionen verantwortlich und damit Hauptverursacher*innen sowie Profiteur*innen der Klimakrise sind, sind es jedoch die Länder und Menschen des Globalen Südens, die am stärksten von den Folgen der Klimakrise betroffen sind.

Für viele Schwarze Menschen, Indigene Menschen und Menschen of Color, die bereits strukturell benachteiligt sind, ist die Klimakrise kein Zukunftsproblem, sondern ein jetziges Problem. Es gibt zahlreiche Berichte über Naturkatastrophen, Dürren und daraus folgenden Hungersnöten in vielen Ländern des Globalen Südens als Folge der Klimakrise.

Menschen, die von Rassismus betroffen sind, haben zum Beispiel nicht dieselben Voraussetzungen beim Zugang zu Wohnraum, Land, medizinischer Versorgung oder Evakuierungsmöglichkeiten im Fall von Naturkatastrophen.

So sind beispielsweise Menschen aus dem Globalen Süden, und viel mehr Indigene Menschen, Menschen in den ländlichen Gebieten oder Menschen mit weniger wirtschaftlicher Mitteln, die deswegen wenig konsumieren, wenig reisen usw. stärker von der Klimakrise betroffen, obwohl sie einen niedrigeren CO2-Fußabdruck haben. Sie leben in Gebieten, in denen sie Umweltgefahren stärker ausgesetzt sind, z. B. in der Nähe von Kohlekraftwerken und Chemiewerken. Im Falle von Katastrophen haben sie weniger Zugang zu Versorgung und Hilfsmaßnahmen.

Dekolonisierung

Kolonisieren bedeutet, politische Dominanz auf einem Gebiet zu etablieren (siehe "die Erfindung des Kolonialismus" von Ronald Daus). Ziel der Kolonialisierung war es, die eigene Macht gegenüber anderen Nationen zu beweisen, aber primär ging es um einen systematischen Transfer von Ressourcen (natürliche und finanzielle Ressourcen, die durch Zwangsarbeit generiert wurden) aus den kolonisierten Gebieten.

Dekoloniales Denken erkennt an, dass die bestehende Weltordnung und die gegenwärtigen Lebensbedingungen auf dem europäischen Kolonialismus fußen. Dekoloniales Denken zielt darauf ab, bestehende Macht- und Unterdrückungsverhältnisse in Bezug auf den europäischen Kolonialismus zu analysieren, (un)sichtbare Gewaltprozesse zu entlarven und neue Lebenskonzepte zu formulieren und zu praktizieren.

Beispielsweise sind die Ereignisse, die in Deutschland zu Anlässen für Berichte zu Afrika genommen werden, bekanntermaßen negativ geprägt: gewaltsame Wahlprozesse, Ausbrüche von Epidemien, Kriege, Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Dürren. Dekolonisierungsprozesse wollen diese Ereignisse nicht verleugnen, sondern den reduktionistischen Charakter der daraus resultierenden Afrika-Bilder aufzeigen, ansprechen und ausgleichende Geschichte erzählen. Darüber hinaus wird der Zusammenhang zwischen solchen Ereignissen und der Politik in den Ländern des globalen Nordens aufgezeigt. Denn Diese Kriege haben auch als Ursachen koloniale Kontinuitäten. In ähnlicher Weise würde das Konzept des dekolonisierten Denkens im Kampf gegen die Klimakrise zum Beispiel verlangen, dass die Wahrnehmung von Menschen aus dem Globalen Süden und von Indigenen Menschen als bloße Betroffene verändert wird und dass ihre Expertise und ihre Fähigkeiten zur Lösungsfindung beizutragen, anerkannt werden. Genauso dürfen Katastrophen in Ländern des globalen Südens nicht als bloße Folgen der fehlenden Institutionen vor Ort oder des Unwissens der Menschen, die nur ans Überleben denken, dargestellt werden. Im Gegenteil, sollte nach einer dekolonialer Perspektive klargemacht werden, wie Koloniale Vergangenheiten und Kontinuitäten (z.B. durch Landraub, Überkonsum, Imperiale Lebensweise, etc.) zu Problemen in den Ländern des globalen Südens führen.

Erderwärmung, Klimawandel und Klimakrise

Die Begriffe globale Erwärmung und Klimawandel werden oft als Synonyme verwendet, aber sie haben unterschiedliche Bedeutungen. Globale Erwärmung bezieht sich auf die steigende Temperatur auf der Erdoberfläche.

Klimawandel hingegen bedeutet mehr als nur eine Veränderung der Temperatur, sondern eine Veränderung der globalen Wettermuster insgesamt. Klimawandel umfasst die Erwärmung und die "Nebeneffekte" der Erwärmung wie schmelzende Gletscher, stärkere Regenfälle oder häufigere Dürren. Anders ausgedrückt: Globale Erwärmung ist ein Symptom des viel größeren Problems des vom Menschen verursachten Klimawandels.

Ein weiterer Unterschied zwischen globaler Erwärmung und Klimawandel besteht darin, dass globale Erwärmung mit dem raschen Anstieg von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in Verbindung gebracht wird, die durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas entstehen. Klimawandel hingegen umfasst sowohl die durch Menschen verursachten Ursachen als auch die natürlichen Ursachen.

Da die Begriffe "Erderwärmung" und "Klimawandel" nur eine wissenschaftliche Erklärung geben und nicht die Schwere und Dringlichkeit dieses Phänomens verdeutlichen, fordern viele die Verwendung des Begriffs "Klimakrise".

Aber auch hier gibt es noch einiges zu kritisieren: Der Begriff Klimakrise bezeichnet zwar den sozio-politischen und wirtschaftlichen Aspekt des Klimawandels und den dringenden Handlungsbedarf, lässt aber die darin enthaltene Dimension von (Un)gerechtigkeiten und Ungleichheiten unberücksichtigt. Der Klimawandel wird oft als ein Umweltproblem verstanden, das uns alle angeht und daher nicht als etwas, das in irgendeiner Weise mit Rassismus zu tun hätte. Wir sollten uns jedoch daran erinnern, dass der Kolonialismus, dieses rassistische System, das auf der massiven Ausbeutung der Natur und der Menschen beruhte, der Ausgangspunkt für die Klimakrise ist.

Extraktivismus

Extraktivismus bezieht sich auf jede Aktivität, die darin besteht, eine große Menge natürlicher Ressourcen zu gewinnen. Dabei geht es nicht nur um Mineralien und Öl, sondern auch um Landwirtschaft, Wald, Fischerei, kurz gesagt um alle natürlichen Ressourcen.

Dieses Phänomen begann vor mehr als 400 Jahren mit der industriellen Revolution in Europa und war einer der Gründe für den Kolonialismus. Die Kolonien, deren Völker eine gesündere Beziehung zur Natur hatten, wurden zu einem Mittel zur Finanzierung der Industrialisierung und der sozioökonomischen Expansion Europas umgewandelt. Die Natur verlor ihren spirituellen Wert und wurde zu einer Ressource, über die europäischen Nationen nach Belieben verfügen konnten. Dies ist auch der Grund, warum Europa eine historische Schuld an der Klimakrise trägt. Diese Entwicklung endete jedoch nicht mit der Unabhängigkeit der Länder des Globalen Südens, aus denen die Ressourcen stammten. Im Gegenteil, es ging weiter: diesmal mit der Beteiligung der Regierungen der Länder des Globalen Südens. Dies wird auch Neo-Extraktivismus genannt (ein Thema, das oft im Zusammenhang mit Lateinamerika diskutiert wird). Auch Regierungen im Globalen Süden machten die natürlichen Schätze zum Motor ihrer Ökonomie. Der Export von Holz und Kautschuk, für den ganze Wälder abgeholzt wurden, ist eine der wichtigsten Einnahmequellen vieler Länder des Globalen Südens. Doch wie schon während des Kolonialismus profitieren die Länder des Globalen Nordens, die multinationalen Unternehmen, die diese Rohstoffe verarbeiten, am meisten von diesem Export (siehe Artikel Beyond extractivism). Schlimmer noch: Er verschärft die Klimakrise in den Ländern des Globalen Südens, die die ohnehin schon marginalisierten Menschen noch stärker trifft.

Globaler Süden / Globaler Norden

Die Begriffe "Globaler Süden" und "Globaler Norden" beschreiben die historisch gewachsenen und gegenwärtigen Machtstrukturen auf globaler Ebene

Der Begriff Globaler Süden beschreibt Länder und Orte auf der Welt (zum Beispiel Länder in Afrika, Südostasien oder Süd- und Mittelamerika), die sich global betrachtet in einer politisch und wirtschaftlich benachteiligten Position befinden. Dieser Zustand rührt aus der europäischen Kolonialzeit und ihren bis heute andauernden Strukturen der Unterdrückung und Ausbeutung zugunsten der Länder des Globalen Nordens. Länder des Globalen Nordens befinden sich in einer privilegierten Machtposition und werden auch häufig als "westliche Welt" oder "Westen" bezeichnet. Die Einteilung in Süd und Nord wird unabhängig von der geografischen Verortung verstanden, denn auch Australien zählt zum Beispiel zu den Ländern des Globalen Nordens. Die Bezeichnung Globaler Süden soll wertende und fremdbestimmte Ausdrücke (wie z.B. "Entwicklungsländer") für die besagten Länder ersetzen.

Koloniale Kontinuitäten

Machtverhältnisse, die bereits während der kolonialen Zeit angefangen haben, sind heute immer noch wirksam und für verschiedene Formen von Unterdrückungen verantwortlich. Länder des Globalen Nordens unterdrücken weiterhin Länder des Globalen Südens. Nur die Umweltzerstörung in nicht-europäischen Ländern und die systematische Versklavung kolonisierter Menschen ermöglichten die historische Bereicherung, Industrialisierung und Technologisierung der Länder des Globalen Nordens. Das heißt, die europäischen Kolonialmächte bauten über fünf Jahrhunderte hinweg auf Kosten kolonisierter Menschen und Gebiete ihre wirtschaftliche, politische und ideologische Vormachtstellung auf. Diese Machtstrukturen sind auf globaler Ebene noch heute wirksam. Deswegen spricht man heute von kolonialen Kontinuitäten.

Im Umwelt- und Klimabewegungsdiskurs wirkt es zum Beispiel oft so, als gäbe es keinen Klimaaktivismus im Globalen Süden. Die am meisten gezeigten Akteur*innen der Klimabewegung sind weiß. Alle kennen z.B. Greta Thunberg, doch neben ihr stehen viele andere Menschen, die sich lange vor ihr gegen die Klimakrise engagiert haben. Menschen im Globalen Süden werden auch oft als Opfer dargestellt, für die unbedingt gehandelt werden muss. Natürlich sind sie am meisten betroffen, aber sie beobachten nicht passiv, wie alles auseinanderbricht. Diese Herangehensweise erhält den kolonialen Diskurs wonach Länder des Globalen Norden retten, und Länder des Globalen Süden gerettet werden. Das lässt sich zum Beispiel an diesem Vorkommen während des Weltwirtschaftsforums  in Davos erkennen, wo das Bild der ugandischen Klimaaktivistin Vanessa Nakate, als einzige BIPoC Person aus einem Gruppenbild von jungen Aktivistinnen rausgeschnitten wurde.

Klimaaktivismus

Weiße Klima- und Umweltaktivist*innen klammern oft aus, dass rassistische Strukturen eine tragende Rolle in der Klimakrise spielen. Dadurch vergessen sie ihre auf der ganzen Welt aktiven Mitstreiter*innen. Durch diese Denkweise entstehen Forderungen, die sich lediglich auf den Globalen Norden beziehen und gleichzeitig die Menschen im Globalen Süden vergessen (siehe "Wie rassistisch ist die deutsche Klimabewegung"). Die Organisation Global Witness dokumentierte, wie in den letzten drei Jahren jeweils über 200 Umweltaktivist*innen ermordet wurden. Mehr als die Hälfte der 1.733 Morde im letzten Jahrzehnt sind in Brasilien, Kolumbien und auf den Philippinen zu verzeichnen. Doch wenn von Aktivismus die Rede ist, werden oft weiße Menschen z.B. Greta Thunberg oder Luisa Neubauer gezeigt. BIPoC und Menschen aus dem Globalen Süden hingegen, die sich für das Klima einsetzen, z.B. Wangari Maathai, Vanessa Nakate, Xiuhtezcatl Martinez, etc. werden kaum erwähnt. Sie werden innerhalb des Kolonialismus oft als Opfer und Hilfsbedürftige dargestellt. Zwar sind Menschen aus dem Globalen Süden am meisten von der Klimakrise betroffen, aber sie haben sich immer für die Bewältigung der Klimakrise aktiv eingesetzt. Einige Beispiele für starke, aber wenig gezeigte Bewegungen sind: Die Wet´suwet´en in Kanada, Die Sundarbans im Süden Bangladeshs, las Mujeres Wayuu im Norden Kolumbiens, das Green Belt Movement, Kenia.

Loss & Damage / Schäden & Verluste

Die Klimakrise hat in den Ländern des Globalen Südens, die aufgrund ihrer geografischen und wirtschaftlichen Lage ohnehin schon anfällig sind, die stärksten negativen Auswirkungen. Die Krise erhöht die Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen (Hurrikans, Überschwemmungen, Dürren, Anstieg des Meeresspiegels, Ozeanversauerung, Verlust der Artenvielfalt und Wüstenbildung), was zum Verlust von Menschenleben, Einkommensquellen, Eigentum, Land, Kulturen und Ökosystemen führt. Die schlechte Wirtschaftslage dieser Länder, die keine angemessene und ausreichende Reaktion auf Naturkatastrophen zulässt, wird durch die Krise noch verschärft. Menschen sind so noch gefährdeter. Aufgrund der ständigen Naturkatastrophen sind einige Länder des Globalen Südens gezwungen, sich immer wieder neu aufzubauen und somit fehlen die Mittel, um in Bildung, Gesundheit und andere Dienstleistungen zu investieren, mit denen sie ihre Lebensbedingungen verbessern könnten. Eine Studie von Christian Aid hebt die enormen wirtschaftlichen Auswirkungen hervor, die der Klimawandel auf die 65 am stärksten gefährdeten Länder der Welt haben wird: Wenn die globalen Temperaturen um 2,9 °C steigen, wird das durchschnittliche BIP dieser Länder bis 2050 um 20 % und bis 2100 um 64 % sinken.

Die Forderung nach Entschädigungen wurde bereits vor 30 Jahren von den besonders gefährdeten Ländern der Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) thematisiert und später von anderen Ländern des Globalen Südens übernommen. Sie fordern, dass die Länder des Globalen Nordens, die historisch gesehen am meisten emittiert haben (fast 80% aller weltweiten Emissionen), einen speziellen Fonds zur Kompensation negativer Folgen des Klimawandels und einen separaten internationalen Versicherungspool zur finanziellen Absicherung gegen die Folgen des Meeresspiegelanstiegs einrichten.

Dies führt jedoch zu Streitigkeiten in den internationalen Klimagesprächen. Die Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, sagte bei den UN-Klimaverhandlungen in Glasgow im Jahr 2021 dass die Forderung, "dass die Länder der kleinen Inseln für die Schäden der Klimakrise aufkommen sollen, sei so, als würde man die Insassen eines Autounfalls bitten, für die Schäden aufzukommen, und nicht den Fahrer". 

Dies war Gegenstand mehrerer Diskussionen und Debatten. Mehrere Länder des Globalen Nordens lehnen immer noch die Idee eines speziellen Fonds für diesen Zweck ab und sind der Ansicht, dass die Entwicklungshilfefonds ausreichend sind. Die Frage der Schäden und Verluste sei eine Unterkomponente der Frage der Anpassung an die Krise, wie es in den Verhandlungen im Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) heißt. Viele bestehen darauf, für die Verluste und Schäden in den Ländern des Globalen Südens nicht zu haften und deswegen keine Entschädigung zahlen zu müssen. Bei der Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh 2022 wurde endlich die Einrichtung eines solchen Fonds beschlossen, der nun ausgestaltet und mit angemessenen finanziellen Mitteln ausgestattet werden muss.

Jedoch sollte bedacht werden, dass Schäden, die in der Vergangenheit sowohl durch den Kolonialismus als auch durch die Ausbeutung und Missbrauch von Menschen und Natur verursacht wurden, nicht im eigentlichen Sinne des Wortes wiedergutgemacht werden. Beispielsweise haben die transatlantische Versklavung, Kolonialismus, Apartheid und andere Machtstrukturen über Generationen hinweg viele Leben zerstört, die nicht wieder gutgemacht werden können. Die großflächige Entwaldung, der Verlust der Biodiversität und die Versauerung der Ozeane sind weitere Beispiele für Umweltschäden, die nicht einfach rückgängig gemacht werden können.

Die finanzielle Wiedergutmachung, egal wie hoch sie auch sein mag, sollte also als Symbol der Anerkennung für einen Ausgleich der Privilegien betrachtet werden. Wiedergutmachung sollte dann mit Maßnahmen und Strategien für heutige und zukünftige Generationen, insbesondere des privilegierten Globalen Nordens, einhergehen, um die Machtstrukturen wieder ins Gleichgewicht zu bringen sowie ein Bewusstsein für die Vorteile zu schaffen, die aus der früheren und anhaltenden Unterdrückung der Menschen im Globalen Süden gezogen werden.

Machtstrukturen, Machtgefälle und soziale Ungleichheiten

Mehrere Philosoph*innen haben sich mit der Definition von Macht beschäftigt, darunter Max Weber, der im deutschsprachigen Kontext als einer der bekanntesten gilt. Er definiert Macht als "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht". Machtstrukturen sind Arrangements (auf nationaler, regionaler oder sogar globaler Ebene) bzw. definieren die Art und Weise, wie Macht zwischen Individuen, Gemeinschaften oder Organisationen aufgeteilt wird. Es geht hier also um Privilegien und Ungleichheiten. 

Ideologisch werden bestimmte Identitäten normiert, was sich auf struktureller und institutioneller Ebene darin äußert, dass diejenigen, die dieser "Norm" entsprechen, mehr Zugang zu sozialen Institutionen haben als andere. Da es in unserer Gesellschaft zum Beispiel den Glauben gibt, dass Menschen ohne Behinderungen "die Norm" sind, berücksichtigen viele Institutionen z.B. nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit anderen Mobilitätsbedürfnissen. So fehlen beispielsweise häufig Rollstuhlrampen in Gebäuden oder auf Straßen und schaffen damit Behinderungen und verhindern Zugänge.

Machtstrukturen existieren in allen Gesellschaften und drehen sich um mehrere Achsen, darunter Geschlecht, Klasse, sexuelle Orientierung, Behinderung, Alter, Religionszugehörigkeit, Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, etc. Rassismus, Ableismus, Klassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung sind daher Manifestationen von Machtstrukturen innerhalb einer Gesellschaft. Je mehr eine Person in Schubladen gesteckt wird, durch die sie als "abnormal" oder "von der Norm abweichend" gilt, desto weniger Macht hat sie und desto mehr wird sie marginalisiert und benachteiligt.

Machtstrukturen existieren auf verschiedenen Ebenen, von regional bis global. Der Kolonialismus hat Machtstrukturen geschaffen, die bis heute fortbestehen, z. B. die patriarchalische und paternalistische Haltung der europäischen Länder, die sich in die inneren Angelegenheiten der Länder Afrikas, Lateinamerikas oder Asiens einmischen, und die Vernachlässigung oder das Ignorieren der Expertise dieser Länder, z. B. bei der Lösung der Klimakrise.

Verbündete*r sein im Kampf gegen Rassismus/Allyship

Allyship bedeutet, ein*e Verbündete*r zu sein. Die Bewegung "Anti Oppression Network" definiert Allyship als eine aktive, konsequente und mühsame Praxis des Verlernens und Neubewertens, bei der eine Person in einer privilegierten und machtvollen Position versucht, sich mit einer marginalisierten Gruppe zu solidarisieren. Verbündetes Handeln ist somit ein lebenslanger Prozess des Beziehungsaufbaus, der auf Vertrauen, Beständigkeit und Verantwortung zu marginalisierten Personen und/oder Personengruppen beruht.

Allyship ist nicht, sich selbst als "weiße Retter*in" zu definieren. Die Handlungen und Bemühungen der Verbündeten müssen von den Menschen, mit denen sie sich verbünden wollen, anerkannt werden. Allyship ist keine selbstverherrlichende Aktion, sie ist auf die direkte und indirekte Unterstützung von Menschen am Rande der Gesellschaft ausgerichtet. Im Falle von Rassismus besteht Allyship darin, sich der Existenz von Rassismus und der eigenen Privilegien als weiße Person bewusst zu werden. Das Bewusstsein beseitigt jedoch nicht den Rassismus, weshalb gehandelt werden muss. Es geht darum, gegen das rassistische System zu kämpfen, von dem man als weiße Personen profitiert, ohne die negativen Auswirkungen des Alltagsrassismus zu spüren. Damit unterscheidet sich Allyship von der Zivilcourage, die sich auf das Handeln im Alltag konzentriert. Für Allyship muss die Solidarität über den Alltag hinausgehen und das Handeln muss in Richtung der Bekämpfung rassistischer Strukturen gehen.

Im Kontext von Klimagerechtigkeit bedeutet "verbündet sein" auch, dass die Menschen, die am meisten vom Status Quo profitieren, sich ihrer Privilegien im Zusammenhang mit dem täglichen Konsum und ihrer Lebensweise bewusstwerden und sich im Kampf für Klimagerechtigkeit solidarisieren und handeln. Da das Bewusstsein für den eigenen Lebensstil allein nicht ausreicht, muss Allyship im Bereich Klimagerechtigkeit den Schwerpunkt auf den Kampf gegen koloniale Strukturen und die Einbeziehung der Betroffenen in die Suche nach einer Lösung für die Klimakrise legen.

Gute Verbündete sollten anerkennen, dass sie Privilegien besitzen und daher in vielen Fällen eine einfachere Ausgangsposition haben als weniger privilegierte.

Autor*innen des Glossars: 

Audrey Vanessa Noukeu Petnguen

Audrey Vanessa Noukeu Petnguen (Pav Noukeu) kommt ursprünglich aus Kamerun, aber lebt seit mehrerer Jahren in Deutschland. Sie ist Policy Advisor mit Schwerpunkt Dekolonisierung der EZ und Humanitäre Hilfe.

Mariette Nicole Afi Amoussou

Nicole Amoussou stammt aus Benin. Sie ist Beraterin und Trainerin im Bereich der entwicklungspolitischen Bildung. Sie ist Mitgründerin und Vorstandsvorsitzende des Vereins PLACE e.V. und Initiatorin der Plattform Schwarze Akademie. Seit 2012 berät und begleitet sie Institutionen und Nichtregierungsorganisationen im Bereich der Dekolonisierung, der Reflexion kolonialer Denkmuster und der Dekonstruktion von Wissen.

Letzte Aktualisierung:

16. Oktober 2023

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