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Zermürbt von den Zensoren
Caixin-Chefredakteurin Hu Shuli in Peking
© Mark Leong /Redux / laif
China ist das Land mit den meisten Zeitungen weltweit. Doch politische Zensur und wirtschaftlicher Druck machen Journalisten das Leben schwer.
Von Felix Lee, Peking
Wieder einmal hatte ein renommierter chinesischer Journalist die Nase voll von der staatlichen Gängelung. Von einem "sauberen Bruch" sprach Yu Shaolei, als er vor einem Jahr seinen Job bei der Zeitung Southern Metropolis Daily in der südchinesischen Stadt Guangzhou kündigte. Dieser Schritt sei für ihn "schon lange überfällig" – und das, nachdem er 16 Jahre für die Zeitung gearbeitet hatte. Sein Kündigungsschreiben stellte der Kulturredakteur ins Netz. "Ich werde alt und knie schon so lange nieder, dass ich es nicht mehr aushalten kann", heißt es darin.
Yu Shaolei ist nicht der einzige Journalist, der vor Chinas Zensur kapituliert hat. Seitdem Xi Jinping 2013 Präsident des bevölkerungsreichsten Landes der Welt wurde und die ohnehin schon strenge Zensur noch verschärfte, haben Schätzungen zufolge Tausende Journalisten ihren Job aufgegeben – oder ihre Kündigung erhalten. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Volksrepublik auf Platz 176 von 180 Staaten. China gehöre zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Journalisten weltweit, schreibt die Organisation: Zurzeit sind es 21; hinzu kommen 81 Onlineaktivisten und Bürgerjournalisten.
Zwar herrscht in China durchaus mediale Vielfalt, es gibt mehr als 2.000 Tageszeitungen. Die meisten befinden sich jedoch in staatlicher Hand und sind weitgehend gleichgeschaltet. Ihre Redakteure erhalten in der Regel am Morgen von den Propagandaabteilungen der örtlichen Behörden eine Anweisung, über welche Themen sie schreiben dürfen und über welche nicht.
Dennoch erschienen in den vergangenen Jahren immer wieder kritische Berichte, nicht zuletzt über soziale Missstände in der Provinz. Die Nanfang-Zeitungsgruppe aus dem südchinesischen Guangdong, zu der auch die Southern Metropolis Daily gehört, tat sich dabei besonders hervor. Die Provinz ist weit entfernt von Peking, zudem liegt Hongkong vor der Tür: In der ehemaligen britischen Kronkolonie herrscht bis heute ein liberaleres Klima als im Rest des Landes. Das färbte ab.
Seit einigen Jahren aber gerät auch diese Mediengruppe heftig unter Beschuss. So kam es 2013 bei der Southern Weekly zu einem Aufstand der Mitarbeiter, weil der oberste Zensor der Provinz ohne Absprache mit der Redaktion einen Leitartikel zum chinesischen Neujahrsfest austauschen ließ. Ein Teil der Belegschaft trat aus Protest in den Streik. Wenige Tage später wurde der Chefredakteur entlassen, in den Wochen danach sämtliche Ressortleiter. Von diesem Schlag hat sich die Zeitungsgruppe bis heute nicht erholt. Im Gegenteil: "Viele sind freiwillig gegangen", berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter, der ebenfalls nicht mehr als Journalist arbeitet. "Der Druck war einfach zu groß."
Dabei gab es vor einigen Jahren durchaus Hoffnung auf presserechtliche Liberalisierung. Anfang 2008 war das, als die Olympischen Spiele in Peking bevorstanden. Kurz zuvor hatte die chinesische Führung in einer Verfassungsreform das Recht auf Meinungsfreiheit gestärkt und eine Reihe restriktiver Bestimmungen aufgehoben.
"Heute kann in China jeder seine Meinung äußern, solange er nicht den Sturz der Regierung, die Spaltung des Landes sowie pornografisches und gewaltverherrlichendes Gedankengut propagiert", verkündete die Regierung damals. Kurz vor Beginn der Spiele hob die chinesische Führung auch sämtliche Einschränkungen auf, die zuvor für ausländische Journalisten gegolten hatten – so etwa die Regelung, dass Korrespondenten bei Recherchen und Interviews die örtlichen Behörden um Erlaubnis bitten müssen.
Doch die Freiheit währte nicht einmal drei Jahre. Als 2011 in Ägypten und Tunesien Massendemonstrationen zum Sturz der autoritären Herrscher führten, kursierten auch in China Gerüchte, dass es zu Umsturzversuchen kommen könnte. Die Führung reagierte prompt: Als ausländische Journalisten an einem zentralen Ort in Peking erschienen, weil es dort angeblich Proteste geben sollte, gingen Sicherheitskräfte rabiat gegen die Korrespondenten vor; man drohte ihnen mit dem Entzug der Arbeitserlaubnis. Seitdem ist die Recherchefreiheit wieder eingeschränkt.
Sehr viel härter von der staatlichen Gängelung betroffen als Auslandskorrespondenten sind jedoch einheimische Journalisten, die für Zeitungen arbeiten, die unmittelbar der kommunistischen Führung unterstellt sind. Gewisse Freiräume gab es lediglich für einige Wirtschafts- und Finanzpublikationen. Die Logik dahinter: Ein gewisser Grad an Recherchefreiheit sollte dazu beitragen, Wirtschaftskriminalität und Korruption aufzudecken.
So gelang es der Journalistin Hu Shuli von der Zeitschrift Caijin und später Caixin, unabhängigen Journalismus auch in China zu etablieren. Sensible politische Themen, die die Parteiführung verärgern könnten, greift sie zwar nicht auf. Doch ebenso lehnt sie Gefälligkeitsartikel für Regierungsbeamte, Kader der Kommunistischen Partei und Anzeigenkunden ab.
Hinzu kommt, dass auch die staatlich kontrollierten Zeitungen schwarze Zahlen schreiben müssen. Mit der bloßen Wiedergabe trockener Stellungnahmen der Parteiführung aber schien das irgendwann nicht mehr möglich, sodass sich selbst die Staatsblätter gezwungen sahen, immer wieder kritische Artikel abzudrucken. "Diese Zeiten sind vorbei", berichtet ein Journalist der englischsprachigen Zeitung China Daily. Selbst die Finanztitel seien nun politischem Druck ausgesetzt.
Gleiches gilt für den Onlinejournalismus. Fast eine Milliarde Nutzer groß ist Chinas Netzgemeinde, die sich über Mikroblogplattformen wie Weibo oder Kurznachrichtendienste wie Weixin (WeChat) informiert. Doch auch hier griff der Staat rasch durch: Soziale Medien wie Facebook, Twitter und die meisten Google-Dienste sind schon seit Jahren gesperrt. Die chinesischen Dienstleister mussten sich verpflichten, Einträge mit sensiblen Inhalten zu löschen sowie mit den Sicherheits- und Zensurbehörden zu kooperieren.
Um neue Schlupflöcher rasch zu schließen, verabschiedete die Führung vor ein paar Jahren ein Gesetz, das die Weitergabe von "heiklen Informationen" unter Strafe stellte – mit gravierenden Folgen: Jedes Gespräch mit einem ausländischen Journalisten etwa kann chinesischen Staatsbürgern zum Verhängnis werden. Genau das ist einer Mitarbeiterin der Deutschen Welle, Gao Yu, widerfahren. Ein Gericht verurteilte die heute 74-Jährige 2015 zu sieben Jahren Haft. Dabei war sie lediglich ihrer Arbeit nachgegangen.
Dieser Artikel ist in der Ausgabe Juni/Juli 2017 des Amnesty Journals erschienen.