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Kein Blut für Palmöl
"Alltägliche Repression." Soldaten kontrollieren den Zugang zu einer Gemeinde in Bajo Aguán.
© Delmer Membreño
Für die Agrarunternehmer in der Region Bajo Aguán geht es um große Geschäfte mit Palmöl und dem internationalen Emissionshandel. Den Preis zahlen die Kleinbauern im Nordosten von Honduras, wo der Konflikt um Land und Besitztitel eskaliert. Nicht nur die Armee ist dabei für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, sondern auch Paramilitärs und Söldner.
Von Kathrin Zeiske
In sanften Wellen schlängelt sich der Río Aguán durch das nach ihm benannte Tal. Jenseits der Sandbänke erschließen sich in sattem Grün riesige Palmölplantagen, begrenzt lediglich durch die ferne Silhouette der Berge am Horizont. Zwischen den Palmen hindurch blickt Gerardo Argueta in eine unendliche Weite. Unweigerlich schaudert er. "Irgendwo dort verstecken sich die Blauen." Nervös beschleunigt der Bauernaktivist aus Marañones seinen Wagen auf der staubigen Piste. "Los azules", die Blauen, so werden die Söldner der Privatarmee nach der Farbe ihrer Uniformen genannt. Sie haben schon über 50 Menschen in der Region auf dem Gewissen.
"Sie sind die Männer fürs Grobe", erklärt Argueta. "Das Militär hingegen übernimmt die alltägliche Repression gegen die Bauernfamilien, Razzien und Vertreibungen." Er zeigt auf die mobile Militärkontrolle, die sich in der Ferne auf der Landstraße abzeichnet. Schwere Mannschaftswagen, Warnkegel und Soldaten mit Maschinengewehren sind dort im gleißenden Licht der Sonne auszumachen. Der breitschultrige Mann tätigt einen Anruf. "Leg nicht auf, ok?", sagt er ins Mikrofon und stellt das Handy neben sich. "Eine Vorsichtsmaßnahme", murmelt er, während er langsam auf die Soldaten zufährt.
Das auf den ersten Blick so idyllisch anmutende Aguán-Tal hat sich in den Schauplatz eines blutigen Konflikts verwandelt. Einst schien man die komplexe Landfrage am Verhandlungstisch zu lösen. Die Angehörigen der Bauerngewerkschaften MUCA, MARCA und MCA, deren Väter vor zwei Jahrzehnten ihre kollektiven Anbauflächen und landwirtschaftlichen Betriebe verkauften, fordern dieses Land zurück. Desinformation, Druck und sogar Drohungen waren im Spiel, sagen sie. Damals in den neunziger Jahren, als zehntausende Hektar im Zuge von Wirtschaftsreformen und der Öffnung zum Weltmarkt an das staatliche Agrarinstitut (INA) veräußert wurden. Dieses verkaufte augenblicklich weiter – vor allem an die drei Unternehmer Miguel Facussé, Reynaldo Carnales und René Morales.
"Erst der ehemalige Präsident Mel Zelaya nahm unsere Forderungen ernst und lud die Großgrundbesitzer zu Gesprächen", erzählt Juan Chinchilla, führender Aktivist der Vereinigten Bauernbewegung von Aguán (MUCA). Agraringenieure nahmen Landvermessungen vor und bestimmten den Wert der Anpflanzungen in der fruchtbarsten Region von Honduras. Mit Geldern aus dem Petrocaribe-Ölabkommen mit Venezuela wollte Zelaya es zurückkaufen. "Der Putsch machte 2009 unsere Hoffnungen zunichte. Auch Miguel Facussé soll einer der Finanziers des Staatsstreiches gewesen sein."
Die dem Putschregime folgende "Regierung der Versöhnung" von Porfirio Lobo schickte im April 2010 kurzerhand Truppen, um der komplexen Landfrage ein jähes Ende zu setzen. Im August vergangenen Jahres wurden diese noch um 600 Mann der "Operation Xatruch II" aufgestockt, die sich mit Feldlazaretten und Großküchen zwischen den Plantagen installierten. "Diese Soldaten kämpften an der Seite der US-Truppen im Irak. Wie in der Operation Xatruch I gehen sie nun auch hier, im eigenen Land, gegen sogenannte Terroristen vor. Und diese Terroristen, das sollen wir sein." Juan Chinchilla schüttelt verbittert den Kopf und schiebt sich den hellen Strohhut aus der Stirn.
In Honduras sei es ein Verbrechen, Bauer zu sein, fährt er fort. "Wir sind Vogelfreie. Dabei sind es die Agrarunternehmer und nicht die Bauern, die illegal Land besetzen. Doch Militär und Polizei schützen ihre Interessen." Mit schwerem Geschütz stehen über 3.000 Soldaten den rund 3.500 Bauernfamilien gegenüber. Gegen 150 Aktivisten liegen Haftbefehle vor. "Die Zeiten, in denen wir am Wochenende mit der Familie Ausflüge unternahmen, sind vorbei. Wir sind gefangen in unseren Siedlungen." Juan Chinchilla spricht aus eigener Erfahrung: Im vergangenen Jahr wurde er auf der Landstraße zwischen den Fincas entführt und entkam nur knapp dem Tod.
Doch auch in den Siedlungen sind die Menschen nicht vor Übergriffen sicher. Seit der Ankunft des Militärs in Bajo Aguán werden immer wieder illegale Zwangsräumungen durchgeführt – ohne dass die Frage der Besitztitel geklärt wäre. "Ihr verdient alle den Tod", sagten die Soldaten, als sie die Siedlung Rigores räumten und mit schweren Maschinen Schule und Kirche dem Erdboden gleichmachten. "Sie rafften in unseren Häusern zusammen, was sie tragen konnten", erzählt die Bewohnerin Sofia López. Die Militärs schütteten Rattengift über die Lebensmittelvorräte. "Wir sollten bloß nicht zurückkehren." Doch die Bewohner bauten die Gemeinde wieder auf. Neue Holzhütten stehen zwischen den vereinzelten Urwaldriesen auf weiten Kuhweiden. Über den hohen Himmel zieht ein Raubvogel seine Kreise. Sofia López schaut zu ihm hinauf. "Wo sollen wir denn auch hin", sagt sie seufzend.
Das Haupteinkommen aus den Palmölplantagen in Bajo Aguán, die als kollektive Cash Crops die Bananenplantagen des vergangenen Jahrhunderts ersetzten, bezieht nun vor allem der Multimillionär Miguel Facussé. Seine Firmengruppe Dinant produziert Palmöl sowohl für den Export wie auch für eigene Lebensmittelfirmen, die mit ihren Produkten den honduranischen Markt dominieren. Der umtriebige Unternehmer erhält dabei nicht nur die Gewinne, sondern auch internationale Kredite für Emissionsreduktionen im Sinne des Kyoto-Protokolls. Die staatliche Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) sowie eine französische Energiegesellschaft zogen Verträge erst wegen Protesten von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen im April vergangenen Jahres zurück.
"Doch im Aguán-Tal geht es nicht nur um 'Land Grabbing', Biodiesel und Emissionshandel", konstatiert Juan Almendárez, ein renommierter honduranischer Arzt und Menschenrechtsaktivist und irgendwann auch mal Präsidentschaftskandidat einer kleinen linken Partei. "Es ist ein Versuchsfeld, um gegen die sozialen Bewegungen vorzugehen, die sich durch den Putsch zu einer großen außerparlamentarischen Opposition entwickelt haben. 'Ihr werdet so enden wie die im Aguán – mausetot', wird Aktivisten in der Hauptstadt per SMS gedroht."
Almendárez und sein Team versuchen stillschweigend, die medizinische Versorgung in der besetzten Region aufrechtzuerhalten. Nicht selten sterben Kinder in den organisierten Dörfern, weil sie keinen Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung haben. Vor allem, wenn mit der Regenzeit die Malariaepidemien einsetzen. Denn an Geld für Medikamente mangelt es den landlosen Bauern. Hunger und Armut bestimmen ihren Alltag.
Heute ist der Arzt in La Confianza, "Die Zuversicht", zu Besuch. Eine Siedlung aus Plastikverschlägen unter hohen Palmreihen, die ihr ein üppiges dunkles Überdach geben. Frauen in Gummistiefeln kochen an offenen Lehmöfen. Männer mit Macheten schlagen kurz hinter den behelfsmäßigen Hütten schwere Stauden der rot-gelben Palmfrüchte von den Bäumen. "Die Menschen werden vertrieben oder sogar getötet, damit sie nicht ihre legitimen Ansprüche auf Land geltend machen. Es ist die gleiche Strategie wie in Kolumbien; die Bevölkerung wird mit Terror überzogen. Gleichzeitig werden sie in den Medien zu einer Guerilla gemacht, die es gar nicht gibt."
Die kolumbianische Tageszeitung "El Tiempo" hatte bereits vor drei Jahren berichtet, dass Agrarunternehmer Miguel Facussé ehemalige Angehörige des paramilitärischen Dachverbandes Vereinigte Selbstverteidigungskräfte von Kolumbien (AUC) nach Honduras abwerbe. "Ganz wie in Kolumbien weist die Region auch immer stärkere Aktivitäten im Drogenhandel auf", fährt der Arzt mit den graumelierten Haaren fort. Auf den Fincas sind Landepisten für Sportflugzeuge angelegt, und nicht selten werden ausgebrannte Flugzeuge von den Bauern gefunden. "Honduras hat sich nach dem Putsch mehr und mehr zum Narco-Staat entwickelt."
Juan Almendárez hält inne, um einen jungen Mann mit gelbgestreiftem Hemd und glitzernder Baseballkappe zu behandeln. Mit hölzernen Krücken hat dieser den schmalen Pfad im dichten Gras bewältigt und wischt sich die Schweißperlen aus dem dünnen Schnurrbart. "Im Krankenhaus von Tocoa behandeln sie uns nicht, wenn wir sagen, dass wir aus den Gemeinden kommen", sagt Neftali Esquivel. Ob der Bauer jemals wieder in der Landwirtschaft arbeiten kann, daran will er jetzt lieber nicht denken. Er habe noch einmal Glück gehabt, meint er. "Gib ihm einen Schuss", hörte Neftali damals einen der Söldner des Plantagenbesitzers Miguel Facussé sagen, nachdem sie ihm ins Bein geschossen und mit Gewehrkolben fast zu Tode geprügelt hatten. "Der ist fertig", antwortete ihm sein Kollege und gab Neftali einen letzten Tritt. Sein Bein wurde bis heute nicht operiert.
Noch einmal Glück gehabt hat auch der 16-jährige Santo Bernabé Crúz aus dem Nachbardorf. Das, was der schmale Junge erlebt hat, lässt ihn nachts oft nicht schlafen. Bei einer Räumung wurde er von Soldaten verschleppt. "Sie schlugen mich mit Knüppeln und zogen mir eine Plastiktüte über den Kopf. Dann schleiften sie mich in die Plantagen." Dort begegneten ihnen die blauuniformierten Männer Facussés, mit denen sie Witze über den Gefangenen machten. Vor einer frisch ausgehobenen Grube blieben sie stehen. "Das ist dein Grab, sagten sie und übergossen mich mit Benzin." Schließlich übergaben sie Santo aber der Polizei in der staubigen Kleinstadt Tocoa. Mit den Worten "Du bist noch jung, lass dir das eine Lehre sein", zogen sie von dannen.
Menschenrechtsverletzungen wie diese sollen nun wesentlich schneller an die Weltöffentlichkeit gelangen. Dafür wurde von Vertretern verschiedener Nichtregierungsorganisationen das Permanente Menschenrechtsobservatorium (OPDH) in Tocoa gegründet. "Denn die bestehenden Menschenrechtsorganisationen sitzen in Tegucigalpa und können oft erst nach einer Woche anreisen, um Vorfälle aufzunehmen", konstatiert OPDH-Sprecher Wilfredo Paz. Amnesty International schaltete im Februar eine Urgent Action für ihn, da er Morddrohungen erhielt. Dass der Aguán "befriedet" sei, wie es von der Regierung Lobo dargestellt wird, hält Wilfredo Paz für eine Farce. "Großgrundbesitzer, Finanzministerium und Banken haben einen Plan ausgearbeitet, nach dem die mittellosen Familien ihr Land selbst zurückkaufen sollen – mit horrenden Zinsen; eine Schuldenfalle und kein ernst zu nehmendes Angebot."
So drohen erneut Vertreibungen. Doch Loli Piñeda, Bauerngewerkschafterin aus Marañones, ist zuversichtlich. "Wir geben nicht auf. Bei allem, was wir erleiden, hoffen wir, dass unsere Kinder einmal ein besseres Leben führen werden. Auf eigenem Land und in Frieden", fügt sie hinzu. Und der Druck aus dem Ausland wächst: Ende Mai waren Beobachter des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte, der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) und der Europäischen Union bei einer Anhörung verschiedener Nichtregierungsorganisationen zugegen. Sie konstatierten vorherrschende Straflosigkeit und den mangelnden Willen der Regierung zu einer politischen Lösung des Konfliktes in Bajo Aguán.
Die Autorin ist Journalistin und lebt in Mexiko.