Amnesty Report Montenegro 29. März 2022

Montenegro 2021

Zwei Personen mit Warnwesten laden mithilfe einer Hebebühne eine große Kiste seitlich aus einem Flugzeug aus.

Arbeiter entladen eine Lieferung chinesischer Impfstoffe von Sinopharm auf einem Flughafen in Podgorica, Montenegro, am 1. Mai 2021.

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Völkerrechtliche Verbrechen sowie Angriffe auf Journalist_innen blieben weiterhin straflos. Die Fälle frauenfeindlicher Hassreden wie auch die ethnische Spaltung und die religiöse Intoleranz nahmen zu. Die Regierung setzte versprochene Reformen nicht um.

Hintergrund

Die labile multiethnische Koalitionsregierung begann, Verfehlungen und Missstände der Vergangenheit aufzuarbeiten, einschließlich der Einflussnahme der Politik auf Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz sowie der Verflechtungen von Staat und organisiertem Verbrechen.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

Die NGO Human Rights Action forderte den neuen Obersten Staatsanwalt auf, die bisher nicht umgesetzte Strategie zur Strafverfolgung von Kriegsverbrechen aus dem Jahr 2015 zu überarbeiten und Maßnahmen zur Beendigung der Straflosigkeit zu ergreifen. In einem Fall, der aus Bosnien und Herzegowina übergeben worden war, wurden Untersuchungen eingeleitet.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) schloss die Prüfung eines Falls ab, in dem Montenegro den Familienangehörigen bosniakischer Flüchtlinge Gerechtigkeit vorenthalten hatte. Die Flüchtlinge waren 1992 von der montenegrinischen Polizei an bosnisch-serbische Kräfte ausgeliefert und daraufhin ermordet worden. Ein Urteil des EGMR stand Ende 2021 noch aus.

Der Minister für Justiz und Menschenrechte wurde im Juni 2021 entlassen, weil er sich geweigert hatte, einen Regierungsbeschluss zur Anerkennung des Völkermords von Srebrenica zu akzeptieren.

Folter und andere Misshandlungen

Der EGMR sprach sowohl Momčilo Baranin als auch Branimir Vukčević eine Entschädigung in Höhe von 7.500 Euro zu und stellte fest, dass ihre Misshandlung durch die Polizei während der Proteste gegen die Regierung im Oktober 2015 nicht wirksam untersucht worden sei. Die Beschwerde von Milorad Martinović erklärte der EGMR dagegen für erledigt, da Montenegro zwei Polizisten strafrechtlich verfolgt und eine Entschädigung gezahlt habe. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie Milorad Martinović von etwa 20 nicht identifizierten Bereitschaftspolizisten angegriffen wurde. Im Juli 2021 wurden erneut Polizisten mit Sturmhauben, die keine sichtbaren Erkennungszeichen trugen, dabei gefilmt, wie sie eine Person misshandelten.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Im April 2021 beteiligten sich Polizei und Staatsanwaltschaft zum ersten Mal an der Kommission zur Überwachung von Gewalt gegen die Medien.

Im Dezember 2021 nahm das Parlament Änderungen des Strafgesetzbuchs an, die den Schutz von Journalist_innen und Medienschaffenden verbesserten. Im Verlauf des Jahres berichteten 25 Journalist_innen über tätliche bzw. verbale Angriffe, darunter auch Morddrohungen.

Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit

Im September 2021 versuchten Anhänger_innen der früheren Regierung und weitere Personen, die Amtseinführung des neuen Oberhaupts der serbisch-orthodoxen Kirche zu verhindern. Die Polizei reagierte darauf mit dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen.

Geschlechtsspezifische Gewalt

Im April 2021 forderten NGOs ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung, nachdem frauenfeindliche Hasskommentare gegen die Gesundheitsministerin sowie Politikerinnen und andere Frauen gerichtet worden waren.

Der Trend eines Anstiegs der häuslichen Gewalt als Folge der Coronapandemie setzte sich fort. Nur wenige Fälle wurden strafrechtlich verfolgt, und die Kapazitäten der Anlaufstellen blieben unzureichend.

Diskriminierung

Im Juni 2021 warnte der Europarat vor einer zunehmenden ethnischen Spaltung. Montenegrinische und serbische Staatsangehörige wurden wegen Anstiftung zu ethnischem Hass strafrechtlich verfolgt. Albaner_innen und Bosniak_innen erhoben den Vorwurf, dass die Coronamaßnahmen, die eine Schließung von Cafés in Tuzi vorsahen, diskriminierend seien. Im November 2021 wurde die bosniakische Aktivistin Sabina Talović bei einem rassistisch motivierten Angriff verletzt.

Rund 30 Prozent der in Podgorica lebenden Rom_nja und Balkan-Ägypter_innen erhielten keine soziale und wirtschaftliche Unterstützung im Rahmen der Coronahilfsmaßnahmen. Im Vorfeld einer Straßenverbreiterung stellte die Gemeinde Bijelo Polje 26 Rom_nja-Familien keine angemessenen Alternativunterkünfte zur Verfügung und bot ihnen stattdessen eine unzureichende Ablösezahlung an. Die Behörden gewährten Rom_nja und Ägypter_innen ohne Ausweispapiere keine Unterstützung und setzten sie damit dem Risiko der Staatenlosigkeit aus.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Im März 2021 waren zwei Frauen die ersten, die nach dem Gesetz über die Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Partner_innen verheiratet wurden. Vier weitere Paare folgten. Ebenfalls im März wurde ein transgeschlechtliches Mitglied der NGO LGBT Forum Progress von Unbekannten attackiert und schwer verletzt.

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