Amnesty Report Jordanien 24. April 2024

Jordanien 2023

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Die Behörden gingen mit repressiven und vage formulierten Gesetzen gegen die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit vor und nahmen dabei u. a. politische Aktivist*innen, Journalist*innen, Arbeitnehmer*innen, Angehörige politischer Parteien und LGBTI+ ins Visier. Die Praxis der völkerrechtswidrigen Schuldhaft bestand fort. Zivilpersonen wurden weiterhin vor Militärgerichte gestellt. Ein neues Gesetz gewährte jordanischen Frauen, die mit nichtjordanischen Männern verheiratet waren, das Recht, ihre eigene Staatsangehörigkeit zu behalten, sie konnten diese jedoch nicht an den Ehepartner oder ihre Kinder weitergeben. LGBTI+ sahen sich Schikanen und Übergriffen ausgesetzt, die durch strafrechtliche Bestimmungen über "Unmoral" und durch die homofeindliche Rhetorik einiger Parlamentarier*innen in den Sozialen Medien noch weiter angefacht wurden. 

Hintergrund

Im Mai 2023 hob König Abdullah II. die im März 2020 mit Beginn der Coronapandemie verhängte Notstandsgesetzgebung auf. Die Behörden hatten ihre erweiterten Befugnisse genutzt, um die Menschenrechte zu beschneiden, einschließlich der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. 

Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) hielten sich 2023 in Jordanien 655.283 syrische, 66.686 irakische, 12.882 jemenitische und 7.578 sudanesische und somalische Flüchtlinge auf. Darüber hinaus lebten immer noch zwei Millionen palästinensische Flüchtlinge in Jordanien, die beim UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registriert waren. Im März 2023 berichteten der UNHCR und die Weltbank, dass die Armutsquote unter den syrischen Flüchtlingen 66 Prozent erreicht habe. Im Juli kündigten das Welternährungsprogramm und der UNHCR an, ihre Hilfeleistungen aufgrund von Finanzierungsengpässen kürzen zu müssen.

Willkürliche Inhaftierung

Lokale Gouverneur*innen wandten auch 2023 das Gesetz über Verbrechensverhütung von 1954 an, um Personen, die als "Gefahr für die Bevölkerung" eingestuft wurden, ohne Anklage oder die Möglichkeit, die Inhaftierung vor einer zuständigen Justizbehörde anzufechten, in Verwaltungshaft zu nehmen. Im Februar und März 2023 nahm der Gouverneur der Stadt Madaba mindestens zwei Aktivist*innen auf der Grundlage dieses Gesetzes willkürlich fest, nur weil sie friedlich ihre Rechte auf Meinungs- bzw. Versammlungsfreiheit wahrgenommen hatten. Im Juni 2023 wies der Innenminister die lokalen Behörden an, 503 Personen aus der Verwaltungshaft zu entlassen, die auf der Grundlage des Gesetzes über Verbrechensverhütung inhaftiert waren. Nach Angaben von Anwält*innen befanden sich diese Inhaftierten jedoch Ende des Jahres noch immer in Gewahrsam. 

Am 7. Mai 2023 nahmen Angehörige der Flughafensicherheit in der Hauptstadt Amman auf Ersuchen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) den türkisch-emiratischen Staatsbürger Khalaf al-Rumaithi fest. Er kam gegen Kaution frei und durfte ins Land einreisen, wurde aber am nächsten Tag erneut festgenommen und im Geheimen und trotz eines noch ausstehenden Gerichtsbeschlusses an die VAE ausgeliefert. Khalaf al-Rumaithi hatte ein Jahrzehnt lang im Exil in der Türkei gelebt, nachdem er in den VAE in dem als "VAE 94" bekannten unfairen Massenprozess in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war (siehe Länderkapitel VAE).

Schuldhaft

Die wachsende Arbeitslosigkeit und der Anstieg der Lebenshaltungskosten im Jahr 2023 beeinträchtigten den Zugang der Menschen zu lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen wie Lebensmitteln, Treibstoff und Wasser erheblich. In Ermangelung eines angemessenen Sozialschutzsystems mussten Hunderttausende Menschen Schulden machen, um über die Runden zu kommen. Mindestens 158.000 Menschen waren nach dem Vollstreckungsgesetz von völkerrechtswidriger Schuldhaft bedroht – das Gesetz sah bei unbezahlten Schulden von mehr als 5.000 Jordanischen Dinar (etwa 6.500 Euro) eine Haftstrafe von sechs Monaten vor.

Eine 24-jährige Frau berichtete Amnesty International, dass sie ihren 60-jährigen Vater bei der Aufnahme eines Kredits zur Deckung der Lebenshaltungskosten unterstützt habe. Ihr Vater war nicht in der Lage, das Darlehen zurückzuzahlen, sodass beiden eine Haftstrafe drohte, weil die Schulden 5.000 Jordanische Dinar überstiegen. 

Recht auf freie Meinungsäußerung

Gegen mindestens 43 Personen wurden auf der Grundlage repressiver und vage formulierter Gesetze wie dem Gesetz über Internetkriminalität, dem Terrorismusbekämpfungsgesetz und dem Strafgesetzbuch Ermittlungen bzw. Gerichtsverfahren eingeleitet, weil ihre Online-Äußerungen den Behörden missfielen. Unter ihnen waren acht politische Aktivist*innen und ein Journalist. Neun dieser Personen wurden 2023 wegen konstruierter oder vager Vorwürfe vor das Staatssicherheitsgericht gestellt, das ein Militärgericht ist. Zu den Anklagen zählten "Untergrabung der Regierung", "Verbreitung falscher Nachrichten, die das Ansehen des Staates untergraben" und "Anstiftung zu religiöser Zwietracht". 

Im Januar 2023 klagte das Staatssicherheitsgericht Sofian al-Tal, Abed Tawahia und Omar Abu Rassa' wegen "Untergrabung der Regierung" an, was mit bis zu 20 Jahren Gefängnis geahndet werden kann. Die politischen Aktivisten waren im Dezember 2022 festgenommen worden, weil sie geplant haben sollen, die Jahresansprache des Königs öffentlich zu kritisieren.

Am 9. August 2023 erhöhte die Berufungskammer des erstinstanzlichen Gerichts in Amman die Haftstrafe für den Journalisten Ahmad al-Zobi von drei Monaten auf ein Jahr. Er war wegen "Anstiftung zu religiöser und ethnischer Zwietracht und zu Konflikten zwischen verschiedenen Teilen der Nation" schuldig gesprochen worden, weil er im Zusammenhang mit einem Streik der Transportfahrer*innen gegen die steigenden Kraftstoffpreise einen Staatsbediensteten auf Facebook kritisiert hatte. Am 21. August wies der Justizminister den Antrag von Ahmad al-Zobi auf ein Berufungsverfahren vor dem Kassationsgericht ab.

Am 12. August 2023 verabschiedete der König ein neues Gesetz über Internetkriminalität, welches das Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet weiter unterdrückte. Mit dem Gesetz wurden härtere Gefängnisstrafen von mindestens drei Monaten und Geldstrafen von bis zu 32.000 Jordanischen Dinar (etwa 42.000 Euro) eingeführt. Vertreter*innen zweier unabhängiger Nachrichtenplattformen teilten Amnesty International mit, dass sie wegen Paragraf 33 des Gesetzes ihre Kommentarfunktionen entfernt hätten. Laut Paragraf 33 können Staatsanwaltschaft und Gerichte die Betreiber von Websites und Social-Media-Plattformen bzw. Personen, die öffentliche Online-Accounts unterhalten, auffordern, als gesetzeswidrig erachtete Inhalte zu entfernen oder zu blockieren. Außerdem können sie von ihnen verlangen, Nutzer*innen bzw. Personen, die Inhalte veröffentlichen, vorübergehend zu sperren und relevante Informationen auszuhändigen, einschließlich der persönlichen Daten der Nutzer*innen. 

Im November 2023 nahmen Sicherheitskräfte mindestens drei Personen unter dem neuen Gesetz über Internetkriminalität fest, weil sie im Internet ihre Ansichten zu dem Konflikt im Gazastreifen geäußert und die Rechte von Palästinenser*innen verteidigt hatten. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, "zu Aufwiegelung, Zwietracht und Hass angestiftet", "verleumderische Informationen gesendet, weitergeleitet oder veröffentlicht", "eine offizielle Einrichtung diffamiert" und "Bilder, Informationen oder Neuigkeiten über Ordnungskräfte veröffentlicht" zu haben.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Im Mai 2023 schüchterten die Behörden zahlreiche Mitglieder der Partnerschafts- und Rettungspartei so stark ein, dass sie von ihren Posten zurücktraten. Dies hatte zur Folge, dass die Zahl der Gründungsmitglieder auf unter 1.000 sank, die Mindestzahl, die nach dem Parteiengesetz von 2022 für die Registrierung einer Partei erforderlich ist. Ein Rechtsanwalt und Mitglied der Partei erklärte gegenüber Amnesty International, dass die Partei alle Bedingungen für die Registrierung erfüllt habe, einschließlich der Mindestzahl von Mitgliedern, die noch nie wegen Verbrechen gegen "Ehre, Moral und Sicherheit" verurteilt wurden. Dennoch löste der unabhängige Wahlausschuss die Partei eine Woche nach ihrer ersten Jahresversammlung auf und begründete dies damit, dass 130 Mitglieder wegen Straftaten unter dem Parteiengesetz verurteilt worden seien. Nachdem die beschuldigten Parteimitglieder dem Wahlausschuss Nachweise für ihre Unschuld vorgelegt hatten, strengte die Partei eine Klage vor dem Verwaltungsgericht an.

Die Behörden machten keine Anstalten, zur Wahl eines neuen Vorstands für die Gewerkschaft der Lehrkräfte aufzurufen, nachdem der vorherige Vorstand im Jahr 2020 per Gerichtsbeschluss aufgelöst worden war. Eine Anwältin erklärte gegenüber Amnesty International, dass die Behörden mehrere Angehörige des ehemaligen Vorstands zwangsweise in den Vorruhestand versetzt hätten, um ihre Teilnahme an Wahlen zu verhindern.

Frauenrechte

Im Januar 2023 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das jordanischen Frauen, die mit einem nichtjordanischen Mann verheiratet sind, das Recht einräumt, ihre Staatsangehörigkeit zu behalten. Zuvor mussten Frauen in solchen Fällen ihre Staatsangehörigkeit aufgeben und konnten sie erst bei Verwitwung oder Scheidung zurückerhalten. Allerdings konnten Frauen ihre Staatsangehörigkeit nach wie vor nicht an den Ehepartner oder ihre Kinder weitergeben.

Im März 2023 billigte das Parlament Änderungen des Arbeitsgesetzes, die u. a. Geldstrafen von 2.000–5.000 Jordanischen Dinar (etwa 2.600–6.500 Euro) für Personen vorsahen, die für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verantwortlich waren.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Die Behörden griffen weiterhin auf vage definierte strafrechtliche Bestimmungen über "Unmoral" zurück, um lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen ins Visier zu nehmen, obwohl gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen nicht unter Strafe standen.

Im Juli 2023 machten einige Parlamentarier*innen in den Sozialen Medien gegen LGBTI+ mobil und forderten die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Beziehungen, was zu einer Welle von Hassreden und Drohungen gegen LGBTI+ und ihre Unterstützer*innen führte. Zwei Aktivist*innen berichteten Amnesty International, dass Sicherheitskräfte die Organisator*innen einer geplanten Filmvorführung mit LGBTI-Inhalt derart einschüchterten und drangsalierten, dass diese die Veranstaltung absagten.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Jordanien zählte nach wie vor zu den am stärksten von Wassermangel betroffenen Ländern der Welt. Berichten zufolge wurden 2023 die Wasserressourcen in einem nicht nachhaltigen Tempo verbraucht. Gleichzeitig wurde erwartet, dass der Klimawandel die zur Verfügung stehenden Wasservorräte noch deutlich verringern wird.

Im September 2023 kündigte die Regierung eine Kürzung der Wasserzuschüsse für Haushalte an, die mehr als 6 Kubikmeter Wasser pro Monat verbrauchen. 

Die jordanische Regierung veröffentlichte 2023 keinen neuen nationalen Klimaschutzbeitrag (Nationally Determined Contribution – NDC). Im Jahr 2021 hatte die Regierung ihr makroökonomisches Ziel zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 von 14 Prozent auf 31 Prozent angehoben. Die Behörden erklärten jedoch, dass erhebliche finanzielle Unterstützung nötig sei, um sie in die Lage zu versetzen, dieses Ziel zu erreichen bzw. die erforderlichen Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen.

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