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Gambia 2023
© Amnesty International
Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023
Es gab erhebliche Fortschritte bei der Umsetzung des Rechts auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Betroffenen der massiven Menschenrechtsverletzungen während der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Yahya Jammeh. Dennoch kam es zu Verzögerungen beim Zugang zur Justiz und zu angemessenen Entschädigungsleistungen. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Medienfreiheit waren neben anderen Menschenrechten weiterhin durch drakonische Gesetze bedroht. Das Parlament verabschiedete ein Gesetz zur Verhinderung und Bestrafung von Folter. Das Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung wurde nicht wirksam durchgesetzt. Im Fall des Todes der mehr als 60 Kinder, die im Jahr 2022 nach der Einnahme eines Hustensafts gestorben waren, begann der Prozess vor Gericht. Überfischung und Fischmehlfabriken bedrohten das Recht auf eine gesunde Umwelt.
Hintergrund
Es liefen Gerichtsverfahren in Verbindung mit Verbrechen, die während der 22-jährigen Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Yahya Jammeh begangen worden waren. Im April 2023 wurde Ousman Sonko, ehemaliger Minister unter Yahya Jammeh, vor einem Bundesgericht in der Schweiz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Ihm wurde u. a. vorgeworfen, an Mord, Folter, Vergewaltigung und rechtswidriger Inhaftierung beteiligt gewesen zu sein bzw. diese Taten angeordnet, ermöglicht oder nicht verhindert zu haben. In Deutschland lief weiterhin ein Verfahren gegen einen mutmaßlichen ehemaligen Jungler (Mitglied einer paramilitärischen Todesschwadron während der Präsidentschaft von Yahya Jammeh), der an der Tötung von etwa 55 westafrikanischen Migrant*innen im Juli 2005 beteiligt gewesen sein soll. Im Dezember 2023 verabschiedete die Nationalversammlung ein Gesetz gegen Korruption.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Im April 2023 zeigte eine von der gemeinnützigen Organisation Journalists for Justice in Auftrag gegebene Studie Mängel im Programm für Wiedergutmachung der Kommission für Wahrheit, Versöhnung und Wiedergutmachung auf. Kritisiert wurden mangelnde Kommunikation, eine zu enge Opferdefinition, der Ausschluss einiger Überlebender sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie unzureichende finanzielle Entschädigungen. Die Studie bestätigte in Bezug auf Wiedergutmachungsleistungen für Überlebende sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt in Gambia die Bedenken einer von Betroffenen geleiteten Organisation und die Erkenntnisse eines Berichts aus dem Jahr 2022, den das International Center for Transitional Justice gemeinsam mit weiteren NGOs erstellt hatte.
Im Mai 2023 erklärte die Regierung, dass die Europäische Union 9 Mio. Euro zugesagt habe, um Gambia in Partnerschaft mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, das technische Unterstützung leisten wird, bei dem Prozess der Übergangsjustiz zu helfen. Zudem gab die Regierung einen Plan zur Umsetzung der von der Kommission für Wahrheit, Versöhnung und Wiedergutmachung gemachten Empfehlungen bekannt. Der Plan beinhaltete die Schaffung einer Sonderstaatsanwaltschaft und eines Hybridgerichts in Zusammenarbeit mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), um die Personen "mit der größten Verantwortung vor Gericht zu stellen". Im Juli 2023 erklärte die Regierung, dass sie eine Taskforce einrichten werde, der auch Mitglieder der Zivilgesellschaft angehören würden, um die von der Kommission für Wahrheit, Versöhnung und Wiedergutmachung bereits geleistete Arbeit zum Thema Verschwindenlassen weiter auszubauen.
Ebenfalls im Juli entschied der Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, dass Gambia das Recht auf Leben von Saul Ndow, einem Kritiker der Regierung von Yahya Jammeh, verletzt habe. Saul Ndow war dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen. In dem Gerichtsurteil hieß es weiter, dass – ungeachtet der Einsetzung der Kommission für Wahrheit, Versöhnung und Wiedergutmachung – die fast zehnjährige Verzögerung bei der strafrechtlichen Verfolgung der mutmaßlich Verantwortlichen nicht akzeptabel sei. Der Gerichtshof wies die Regierung außerdem an, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Im weltweiten Index der Pressefreiheit der NGO Reporter ohne Grenzen rangierte Gambia im Jahr 2023 weltweit auf Platz 46 und in Afrika auf Platz fünf. Reporter ohne Grenzen erklärte, dass das Land Fortschritte gemacht habe, forderte die Regierung jedoch auf, die drakonischen Gesetze abzuschaffen, die die Rechte auf Meinungs- und Medienfreiheit nach wie vor stark einschränkten. Paragraf 51 des Strafgesetzbuchs beispielsweise stellte Aufwiegelung gegen den/die Präsident*in unter Strafe, und Paragraf 59 beinhaltete den vagen Straftatbestand der Veröffentlichung von Falschnachrichten mit der Absicht, "die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen", was mit zwei Jahren Haft geahndet werden konnte.
Im Juni 2023 verurteilte die gambische Pressegewerkschaft den Angriff auf zwei Journalisten bei einer politischen Veranstaltung und forderte die Polizei auf, den Vorfall zu untersuchen und der Straflosigkeit ein Ende zu setzen. Nach Angaben der Pressegewerkschaft war noch keiner der 15 Angriffe auf Journalist*innen, die sie von 2017 bis 2022 dokumentiert hatte, untersucht worden.
Folter und andere Misshandlungen
Im März 2023 verabschiedete die Nationalversammlung ein Gesetz zur Verhütung von Folter. Ziel des Gesetzes war es, Folter und anderweitige Misshandlungen zu verhindern und für Rechenschaftspflicht zu sorgen.
Rechte von Frauen und Mädchen
Das Gesetz über Sexualdelikte führte Vergewaltigung in der Ehe trotz entsprechender Forderungen von Menschenrechtsverteidiger*innen nach wie vor nicht als Straftatbestand auf.
Im März 2023 erklärte die Leiterin des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), dass jedes zweite junge Mädchen in Gambia weiblicher Genitalverstümmelung unterzogen worden sei. Zwar sei diese Praxis 2015 untersagt worden, doch werde das Verbot nur unzureichend durchgesetzt. Nur zwei Fälle seien vor Gericht gekommen, und es habe keine Verurteilungen gegeben. Die UNFPA-Leiterin lenkte außerdem den Blick auf das Thema "Periodenarmut" (period poverty) und merkte an, dass sich viele Frauen und Mädchen in Gambia die für die Menstruationshygiene benötigten Produkte nicht leisten könnten, dies sei insbesondere in ländlichen Gegenden der Fall.
Im August 2023 wurden drei Frauen von einem Gericht in der Region Central River zu einer Geldstrafe von 15.000 Dalasi (etwa 200 Euro) oder einem Jahr Haft verurteilt, weil sie bei acht Mädchen Genitalverstümmelungen vorgenommen hatten. Dies war das erste Mal, dass in Gambia Personen wegen weiblicher Genitalverstümmelung verurteilt wurden.
Unter der Leitung des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) startete 2023 ein Projekt, das Frauen einen besseren Zugang zu Land verschaffen soll. Aus ersten Daten, die Ende 2022/Anfang 2023 zusammengetragen wurden, ließ sich schließen, dass das gambische Gesetz Frauen zwar dieselben Eigentumsrechte einräumt wie Männern, die traditionellen Praktiken und Bräuche jedoch häufig vom verbrieften Recht abwichen – zum Nachteil der Frauen.
Aus einem vom Gender Management Information System, einer Meldestelle für Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt, veröffentlichten Bericht ging hervor, dass in Gambia zwischen Januar und Juli 2023 117 Fälle von Vergewaltigung und 310 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt gemeldet wurden.
Recht auf Gesundheit
Im Oktober 2023 kam ein von 19 Familien angestrengter Prozess gegen das Gesundheitsministerium, den Generalstaatsanwalt, die Arzneimittelkontrollbehörde und ein indisches Pharmaunternehmen vor Gericht, nachdem im Jahr 2022 mehr als 60 Kinder mutmaßlich infolge der Einnahme eines aus Indien stammenden Hustensafts gestorben waren. Nachdem festgestellt wurde, dass der Hustensaft nicht wie gesetzlich vorgeschrieben bei der Arzneimittelkontrollbehörde registriert worden war, entließ die Regierung zwei Führungskräfte der Behörde und erklärte, dass sie rechtliche Schritte gegen das indische Pharmaunternehmen erwäge.
Recht auf eine gesunde Umwelt
Die Regierung legte 2023 ein mit 25 Mio. US-Dollar finanziertes Programm mit dem Namen PROREFISH Gambia auf, um die Klimaresilienz des Fischereisektors zu stärken. Das Programm soll im Zeitraum von 2023 bis 2029 in Zusammenarbeit mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem gambischen Landwirtschaftsministerium und dem Ministerium für Fischerei und Wasserressourcen umgesetzt werden.
Im Mai 2023 veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, der die negativen Auswirkungen der Überfischung in Sanyang, welche u. a. auf Fischtrawler ausländischer Firmen und eine vor Ort ansässige Fischmehlfabrik zurückzuführen war, auf die sozioökonomischen und ökologischen Rechte der Menschen in der Küstenstadt aufzeigte.